Polen:Zehntausende demonstrieren gegen strenges Abtreibungsverbot

Polen: Zwischen Trauer und politischem Protest: Demonstranten versammeln sich am Samstag vor dem Verfassungsgerichtshofs in Warschau.

Zwischen Trauer und politischem Protest: Demonstranten versammeln sich am Samstag vor dem Verfassungsgerichtshofs in Warschau.

(Foto: Czarek Sokolowski/AP)

Izabela ist im fünften Monat schwanger - und stirbt. Weil sich Ärzte wohl wegen des Abtreibungsverbots weigern, sie rechtzeitig zu operieren.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es waren Kundgebungen mit Verzögerung, als am Wochenende Zehntausende Polinnen und Polen in 78 Städten wegen des Todes einer 30 Jahre alten Polin protestierten. Den Tod sahen die Demonstranten als vermeidbar an - und als direkte Folge des von der nationalpopulistischen Regierung im Herbst 2020 durchgesetzten Abtreibungsverbotes. Die massiven Proteste begannen, nachdem erst Tage zuvor bekannt wurde, dass bereits Ende September im Süden Polens eine 30 Jahre alte Frau starb, weil sich Ärzte offenbar nicht trauten, sie rechtzeitig lebensrettend zu operieren.

Izabela, verheiratet und Mutter der neun Jahre alten Maja, war im fünften Monat schwanger. Bei einer Untersuchung wurden Trisomie 21 (Down-Syndrom) und Schäden am Fötus festgestellt, Izabela entschloss sich gleichwohl, die Schwangerschaft fortzuführen. Am 21. September aber brach das Fruchtwasser. Izabela kam ins Krankenhaus von Pszczyna (Pless) südlich von Kattowitz. Textnachrichten an ihre Mutter zufolge (die sie im Fernsehsender TVN zeigte) weigerten sich die Ärzte wegen des Ende 2020 radikal verschärften Abtreibungsrechts, eine Abtreibung vorzunehmen. "Das Baby wiegt 485 Gramm. Im Moment kann ich wegen des Abtreibungsgesetzes nur liegen. Es gibt nichts, was sie tun können. Sie werden warten, bis es stirbt oder etwas anfängt. Wenn nicht, kann ich Sepsis erwarten" - eine Blutvergiftung. Einer anderen Nachricht an ihre Mutter zufolge sah sich Izabela als "Inkubator" betrachtet, als Brutmaschine.

Auch nachdem ihr Fieber auf 39,9 Grad stieg und Mitpatienten abermals das Personal alarmierten, geschah offenbar nichts. Erst als eine Untersuchung feststellte, dass der Fötus nicht mehr lebte, beschlossen die Ärzte einen Kaiserschnitt. Doch Izabela starb am 22. September auf dem Weg in den OP, erklärte inzwischen die Staatsanwaltschaft. Izabelas Tod wurde erst Ende Oktober bekannt, nachdem ihre Familie beschloss, über die Anwältin Jolanta Budzowska und im Fernsehsender TVN24 an die Öffentlichkeit zu gehen.

Fast postwendend begannen quer durch Polen Proteste, die am Wochenende ihren Höhepunkt erreichten. Allein in Warschau protestierten am Samstag bis zu 30 000 Menschen gegen das Abtreibungsrecht, das seit einem Urteil des politisch kontrollierten Verfassungsgerichtes vom 22. Oktober 2020 Abtreibungen selbst bei Schäden des Fötus verbietet.

Theoretisch sind Abtreibungen erlaubt, um das Leben der Mutter zu retten, wie Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki betonte. Und Marek Suski, Vize-Fraktionschef der Regierungspartei PiS, kommentierte: "Menschen sterben. Das ist eine biologische Tatsache. Leider kommen medizinische Irrtümer vor ... manchmal sterben Frauen bei der Geburt ... es hat nichts mit irgendeiner Gerichtsentscheidung zu tun."

Doch die Realität sieht Frauenrechtlern zufolge anders aus. Ärzte fürchteten sich vor dem "Terror des geltenden Gesetzes" und schreckten vor jeder Abtreibung zurück, berichtete die Föderation für Frauen und Familienplanung und beklagte das Los von Polinnen "in einem theoretisch demokratischen Land im Herzen Europas, wo religiöser Fundamentalismus Frauenrechte mit Füßen tritt".

Allein am Samstag protestierten den Organisatoren zufolge Menschen in 78 Städten mit Schweigemärschen und an die Regierung und das von ihr kontrollierte Verfassungsgericht gerichteten Protesttransparenten wie "Mörder!" oder "Ihr habt Blut an den Händen!". Am Sonntag und Montag sollten die Proteste weitergehen. Die fundamentalistische Gruppe "Pro - Recht auf Leben" brachte unterdessen im polnischen Parlament einen Gesetzentwurf ein, der Abtreibung als Mord definieren und Strafen bis zu lebenslänglicher Haft einführen will.

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