Abstimmung über Hilfen für Athen:Merkel verfehlt Kanzlermehrheit

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Der Bundestag hat dem zweiten Griechenland-Hilfspaket mit breiter Mehrheit zugestimmt - doch die symbolträchtige Kanzlermehrheit hat die Regierungskoalition verfehlt. In ihren eigenen Reihen konnte Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Werben für das milliardenschwere Hilfspaket nicht alle überzeugen.

Kanzlerin Angela Merkel hat bei der Abstimmung über neue Griechenland-Hilfen die symbolträchtige Kanzlermehrheit verfehlt. Notwendig war sie nicht. Insgesamt votierten 304 Bundestagsabgeordnete aus CDU, CSU und FDP für das zweite Hilfsprogramm. Zusammen mit den Stimmen von Grünen und SPD erhielt das Paket eine breite Mehrheit. Insgesamt stimmten für die Hilfsgelder in Höhe einer dreistelligen Milliardensumme in Berlin 496 Abgeordnete. 90 Parlamentarier waren dagegen, fünf enthielten sich.

Aus CDU, CSU und FDP stimmten allerdings nur 304 Bundestagsabgeordnete für das neue Griechenland-Paket, wie das Parlament mitteilte. Die Kanzlermehrheit liegt bei 311 Stimmen. Bei der Union gab es 13 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen, bei der FDP votierten vier Abgeordnete gegen das Gesetz, es gab eine Enthaltung.

Wie die SZ aus Unionsfraktionskreisen erfuhr, hatten sich sechs Abgeordnete krank gemeldet - selbst wenn diese für die Vorlage gestimmt hätten, hätte die Regierung also die Kanzlermehrheit verfehlt. Die schwarz-gelbe Koalition verfügt im Bundestag über 330 Mandate. Mehrere Abgeordnete hatten allerdings bereits vor der Wahl angekündigt, dem Rettungspaket nicht zustimmen zu wollen,

Vor der Abstimmung warb Kanzlerin Angela Merkel trotz aller Risiken für das Milliarden-Paket. "Eine hundertprozentige Erfolgsgarantie kann niemand geben", sagte die Kanzlerin in einer Regierungserklärung im Bundestag. Der vor den Griechen liegende Weg sei lang und wahrlich nicht ohne Risiko.

Merkel zeigt Verständnis für die Skepsis gegenüber weiteren Griechenland-Hilfen, verteidigte das neue Milliardenpaket für die Hellenen aber. Es sei eine durchaus berechtigte Frage, ob es der Euro-Zone ohne Griechenland nicht besser ginge, sagte die CDU-Vorsitzende. "Ich kenne die Stimmen derer, die fragen, ob Griechenland nicht ein Fass ohne Boden sei, ein hoffnungsloser Fall", sagte Merkel.

Trotzdem wies sie in ihrer Rede Forderungen auch aus den eigenen Reihen nach einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone zurück - mit Blick auf die unkalkulierbaren Folgen. "Niemand kann abschätzen, welche Folgen eine ungeordnete Insolvenz für uns alle und auch für die Menschen in Deutschland hätte." Merkel warb für den Kurs der Bundesregierung. Wichtig seien nun unumkehrbare Schritte für eine Stabilitätsunion zugunsten des Euro.

Deutschland will den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM schneller als bisher geplant mit Kapital ausstatten. Merkel kündigte an, dass in einem ersten Schritt Deutschland elf Milliarden Euro noch in diesem Jahr einzahlen wolle. Die andere Hälfte von elf Milliarden Euro solle 2013 folgen. Voraussetzung für diesen Schritt sei aber, dass die anderen Euro-Länder mitzögen.

Brüderle spricht von "europapolitischer Schwerstarbeit"

Zugleich forderte Merkel Griechenland erneut zu umfassenden Strukturreformen auf. Griechenland müsse die in Athen gefassten Beschlüsse umsetzen. Sie wolle nicht darum herumreden, dass es immer wieder Probleme in Athen gegeben habe. Worten seien "keine oder zu wenig Taten" gefolgt. Die EU-Kommission wolle dieser Entwicklung nun Einhalt gebieten und die Überwachung der Reformen verstärken, sagte die Kanzlerin.

Forderungen der USA, anderer Länder sowie des Internationalen Währungsfonds IWF nach einer höheren Brandschutzmauer gegen die Krise erteilte Merkel erneut eine Absage. Die Bundesregierung sehe derzeit keine Notwendigkeit für eine Debatte zur Erhöhung der Kapazitäten des Euro-Rettungsschirms EFSF oder des geplanten dauerhaften Rettungsschirms ESM.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, warb in den eigenen Reihen für eine breite Rückendeckung für das zweite Griechenland-Paket. Wichtig sei, dass die schwarz-gelbe Koalition eine eigene Mehrheit bekomme, sagte der CDU-Politiker. Auch international werde auf das Ergebnis der Abstimmung geschaut.

Der Koalitionspartner FDP verteidigte das Krisenmanagement Merkels gegenüber Vorwürfen aus der Opposition. Die Kanzlerin, Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und die ganze Regierung leisteten "europapolitische Schwerstarbeit", sagte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle. SPD und Grünen warf er vor "Probleme nur mit Geld zuschütten" zu wollen.

Gysi vergleicht Griechenland-Hilfen mit Versailler Vertrag

Griechenland sei ein abschreckendes Beispiel für "den schuldenfinanzierten Wohlfahrtsstaat in seiner ganzen Pracht", sagte Brüderle. Die Griechen müssten nun Maß halten beim Schuldenmachen, bei Demonstrationen und im Ton gegenüber den europäischen Partnern.

Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück warf der Regierung hingegen vor, mit den bisherigen Maßnahmen für Griechenland "auf ganzer Linie gescheitert" zu sein. Daran trage auch Kanzlerin Merkel "gerüttelt Maß an Mitschuld". Fast zwei Jahre nach der Verabschiedung des ersten Hilfspakets für Athen im Mai 2010 stehe man "exakt am selben Punkt wie vor zwei Jahren", sagte der SPD-Politiker.

Am neuen Paket kritisierte Steinbrücuk, dass viele Details unklar seien und Athen vermutlich deutlich länger öffentliche Unterstützung brauchen werde. Trotz der Vorbehalte kündigte Steinbrück an, seine Fraktion werde dem zweiten Hilfspaket dennoch zustimmen, da dies dem wirtschaftlichen und politischen Interesse Deutschlands entspreche. Außerdem gehe es "um das Ganze", also um Europa insgesamt.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast warf der Bundesregierung vor, in der europäischen Schuldenkrise zu zögerlich vorzugehen. Das zweite Hilfspaket für Griechenland sei "nötig und sinnvoll", komme aber "sehr, sehr spät", kritisierte Künast. "Das Feuer der Krise ist durch Ihr Zögern und Zaudern noch richtig angefacht worden", rief sie Merkel zu. Zudem attackierte sie die Sparauflagen für Athen. "So wie Sie es machen, Frau Merkel, wird Griechenland am Ende kaputt gespart", sagte Künast voraus. Die Grüne plädierte für ein europäisches Investitionsprogramm, eine "Art Marschallplan" für Griechenland.

Auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi brachte das Bild des "Marschallplans" ins Spiel, der nun hilfreich wäre. Er kritisierte die Reformvorgaben für Griechenland heftig - und verglich sie mit Reparationsforderungen an Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. "Sie machen bei Griechenland Versailles, die brauchen aber Marshall", sagte Gysi warf er der Regierung vor. Er verwies darauf, dass die Siegerforderungen im Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg zu weitgehend gewesen seien, was einer der Gründe für das Erstarken der Nationalsozialisten gewesen sei. Die westlichen Alliierten seien nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Marshallplan zum Aufbau dagegen viel klüger gewesen.

Gysi sprach von einer "verheerenden Kürzungspolitik" etwa bei Mindestlöhnen und Einkommen in Griechenland. Dies werde das Land weiter in die Katastrophe führen. Der Linke-Fraktionschef hielt der Bundesregierung vor, die Euro-Rettungsbemühungen kämen Banken und Hedgefonds zugute, die keinerlei Haftung für ihre Risiken tragen müssten.

Die Parlamentarier wollten nach 17:00 Uhr mit der Abstimmung über das neue Hilfsprogramm beginnen. Es umfasst bis zu 130 Milliarden Euro. Hinzu kommen 24,4 Milliarden Euro, die aus dem ersten Hilfsprogramm für Griechenland vom Mai 2010 nicht ausgeschöpft wurden.

Die Zustimmung des Parlaments gilt als sicher, weil SPD und Grüne grundsätzlich für die Hilfen sind. Offen war, ob Schwarz-Gelb die symbolisch wichtige eigene Kanzlermehrheit von mindestens 311 Stimmen erreichen kann.

© Süddeutsche.de/AFP/dapd/dpa/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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