Berlin:Neue Kontroversen zum Mietendeckel: Wenig Verstöße

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Sebastian Scheel (Linke), Senator für Stadtentwicklung und Wohnen, spricht. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Neun Monate nach Inkrafttreten des umstrittenen Berliner Mietendeckels halten sich offenbar die meisten Vermieter an die Regelungen. Bis Ende Oktober seien bei...

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Berli (dpa/bb) - Neun Monate nach Inkrafttreten des umstrittenen Berliner Mietendeckels halten sich offenbar die meisten Vermieter an die Regelungen. Bis Ende Oktober seien bei den Bezirken 1722 Verstöße angezeigt worden, sagte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) der Deutschen Presse-Agentur. Angesichts von rund 1,5 Millionen Wohnungen, für die ein Mietenstopp gilt, ist diese Zahl vergleichsweise gering.

In 1014 Fällen ging es Scheel zufolge um Verstöße gegen das Verbot, die Bestandsmieten zu erhöhen, und in 197 Fällen um das Überschreiten von Mietobergrenzen bei der Neuvermietung. 479 Mal beschwerten sich Mieter, weil sich Wohnungseigentümer nicht an die gesetzliche Verpflichtung hielten, Auskunft über bestimmte Parameter der Wohnung zu geben. Anhand dieser Kriterien - Baujahr, Ausstattung und Lage - bemessen sich die staatlich festgelegten Mietobergrenzen.

Die Fraktionen im Abgeordnetenhaus zogen eine höchst unterschiedliche Zwischenbilanz des Mietendeckel. Vertreter der rot-rot-grünen Koalition sprachen in einer Plenumssitzung am Donnerstag von einem Erfolgsmodell im Kampf gegen steigende Mieten. Die Opposition war sich hingegen einig darin, dass der Deckel der völlig falsche Weg sei, um dem Wohnungsmangel Herr zu werden und bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen.

Seit 23. Februar sind im Zuge des bundesweit einmaligen Gesetzes die Mieten für rund 1,5 Millionen Wohnungen in Berlin bis 2025 auf dem Stand von Juni 2019 eingefroren. Sie dürfen ab 2022 höchstens um 1,3 Prozent jährlich steigen. Wird eine Wohnung wieder vermietet, muss sich der Vermieter an Obergrenzen und zuletzt verlangte Miete halten.

Am kommenden Montag (23. November) tritt die zweite Stufe des Gesetzes in Kraft: Überhöhte Bestandsmieten sind dann gesetzlich verboten und müssen gesenkt werden. Das gilt, wenn eine Miete mehr als 20 Prozent über den festgelegten Obergrenzen liegt. Betroffen sind laut Senat rund 340 000 Wohnungen.

Senator Scheel verteidigte die Regelungen. Sinn des Gesetzes sei es, Fehlentwicklungen auf dem Mietmarkt mit stark steigenden Wohnkosten für viele Menschen etwas entgegenzusetzen, sagte er im Parlament. Das könne Politik nicht „kaltlassen“. „Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum“, unterstrich er. „Wohnraum ist keine Ware wie jede andere, er ist kein Spekulationsgut. Er ist Lebensraum und hat existenzielle Bedeutung für die Menschen in dieser Stadt.“ Den jüngsten Rückgang der Angebotsmieten im Gegensatz zu anderen Städten führe er auf den Mietendeckel zurück.

Bei der nun folgenden zweiten Stufe mit der Absenkung überhöhter Mieten seien die Vermieter am Zug, sagte Scheel der dpa. „Senken sie die Miete nicht von sich aus ab, verstoßen sie gegen das Gesetz. Das kann mit einem Bußgeld bestraft werden.“ Mieter müssten im Streitfall nicht selbst eine Klage gegen den Vermieter führen, sondern könnten den Vorgang an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen melden. Diese werde dann von Amts wegen tätig, so Scheel.

In der Parlamentsdebatte wurden die nach wie vor konträren Positionen zum auch bundesweit umstrittenen Deckel deutlich. „Der Mietendeckel verschafft den Menschen nicht nur eine Atempause, er trägt auch zum sozialen Frieden bei“, sagte die Grünen-Wohnungsexpertin Katrin Schmidberger. Sie sprach von einer „radikalen Notbremse gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung“. Ähnlich äußerten sich die SPD-Vize- Fraktionsvorsitzende Ülker Radziwill. Eine öffentlich-rechtliche Mietpreisregulierung sei dringend nötig auf dem Wohnungsmarkt, denn: „Verdrängung wurde zur größten Sorge für die Berlinerinnen und Berliner.“

Der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, hielt dagegen: „Dass Mieter am Helene-Weigel-Platz in Marzahn oder im Märkischen Viertel nicht von Mietpreissenkungen profitieren, aber am Kurfürstendamm im schicken Altbau oder am Kollwitzplatz die Mieten massiv gesunken sind, ist zutiefst ungerecht und unsozial.“ Gräff kritisierte unter Berufung auf Wohnungsportale, dass sich mit dem Deckel das Angebot von Mietwohnungen in Berlin um 40 Prozent verringert habe. Berlin brauche mehr als neue 300 000 Wohnungen bis 2030. Die Antwort darauf müsse mehr Neubau sein und kein Mietenstopp.

Scheel wollte das Argument, der Mietendeckel würge den Wohnungsbau ab, nicht gelten lassen. 19 000 Fertigstellungen im Vorjahr seien ein Höchststand. 65 000 weitere neue Wohnungen seien schon fest geplant, und der Senat werde alles tun, damit sie tatsächlich gebaut würden.

FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja meinte, der Deckel habe den angespannten Berliner Mietenmarkt „ins Chaos gestürzt“: Folge seien „Schattenmieten, Schwarzmärkte, Investitionsstau und ein drastischer Rückgang des ohnehin schon knappen Wohnungsangebots.“ Harald Laatsch, Sprecher für Bauen und Wohnen der AfD-Fraktion, sprach von Verfassungsbruch und zeigte sich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel im kommenden Jahr kassiert.

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