Giftgaseinsatz in Syrien:Auf der roten Linie

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Opfer des mutmaßlichen Giftgasangriffs syrischer Regierungstruppen nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus werden von ihren Angehörigen identifiziert (Foto: AP)

Verurteilen, prüfen, mit Verbündeten beraten: Die US-Regierung reagiert verhalten auf die Berichte über den mutmaßlichen Giftgaseinsatz des Assad-Regimes mit Hunderten Toten. Trotz wachsender Kritik hält Präsident Obama an seiner Zaudertaktik fest.

Von Matthias Kolb

Heiß, schwül, menschenleer - im August gibt es angenehmere Orte als Washington. Während die meisten Abgeordneten und Senatoren in ihre Wahlkreise flüchten, bleiben einige Beamte und Journalisten schwitzend zurück. Aber im Weißen Haus wird natürlich gearbeitet und so tritt auch Barack Obama immer wieder vor die Mikrofone. Es war an einem dieser heißen Washingtoner Augusttage, als der US-Präsident jene Formulierung wählte, die ihn bis heute verfolgt.

"Wir haben dem Assad-Regime und den anderen Akteuren deutlich gesagt, dass eine rote Linie überschritten würde, wenn Chemiewaffen eingesetzt würden", erklärte Obama bei einer Pressekonferenz am 20. August 2012. Sollte Syriens Machthaber Giftgas einsetzen, hätte dies "enorme Konsequenzen", so Obama. Vielleicht lag es am damals nahenden Duell mit dem Republikaner Mitt Romney, dass dem sonst so sprachversierten Präsidenten nicht ganz klar war, welch klares Bild er mit der "roten Linie" zeichnete - und welche Erwartungen er damit auslöste.

Ein Jahr später blickt die Welt schockiert auf die Bilder und Videos aus Syrien, die die Opfer eines brutalen Angriffs mit noch unbekannten Kampfstoffen zeigen sollen. Die Opposition wirft dem Assad-Regime vor, Giftgas eingesetzt zu haben und so 1300 Menschen getötet zu haben.

Quälende Rituale

Und wie reagiert Washington? Ein hochrangiger, aber anonym bleibender US-Beamter sagte dem Wall Street Journal, es gebe "starke Hinweise" darauf, "dass es eine Attacke mit Chemiewaffen war, ausgehend von der syrischen Regierung". Doch ansonsten wiederholen sich die quälenden Rituale der vergangenen Wochen: Die Regierungsvertreter bemühen sich, mit vielen Worten wenig zu sagen, die Journalisten fragen in immer neuen Formulierungen nach der "roten Linie" und der republikanische Senator John McCain fordert, Assad in die Schranken zu weisen.

Doch momentan spricht alles dafür, dass Obama bei seiner Taktik des zögerlichen Abwartens bleibt. "Ich spreche nicht über rote Linien, ich ziehe keine roten Linien", sagte etwa Jennifer Psaki, die Sprecherin von Außenminister John Kerry. Und auch Regierungssprecher Josh Earnest hielt sich in der gestrigen Pressekonferenz mit bemerkenswerter Sturheit an die Sprachregelung und wiederholte unermüdlich seine wichtigsten Botschaften.

  • "Die US-Regierung verurteilt den Angriff aufs Schärfste, allerdings braucht es noch mehr Zeit, um die genauen Umstände zu untersuchen."
  • "Syriens Regime muss den Chemiewaffenkontrolleuren der UN Zugang zu dem betroffenen Gebiet gestatten, damit diese dort eine Inspektion vornehmen können."
  • "Mit den internationalen Partnern arbeitet Präsident Obama daran, dass Präsident Assad seine Macht abgibt - und natürlich nimmt Washington hier eine Führungsrolle ein."

Doch der wackere Auftritt von Josh Earnest kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zweifel an Obamas Syrien-Politik wachsen. Zur Erinnerung: Im Juni hatte der US-Präsident erklärt, dass das Assad-Regime durch den Einsatz von Sarin die "rote Linie" zumindest so weit überschritten habe, dass Washington nun Waffen an die Rebellen liefern wird. Doch dieser Schritt hat nicht verhindern können, dass der Bürgerkrieg mit mehr als 100.000 Opfern weiter eskaliert . Und während Syrien zerfällt, werden auch Frankreich und Großbritannien immer zögerlicher, was ihre Waffenlieferungen an die Rebellen angeht.

Immer offener wird die Glaubwürdigkeit der USA und der Obama-Regierung angezweifelt. Wo bleiben die "enormen Konsequenzen" gegenüber Damaskus, von denen der US-Präsident im August 2012 sprach? Nicht nur der einflussreiche Kolumnist Jeffrey Goldberg zweifelt, dass Baschar al-Assad und dessen Unterstützer in Teheran und Moskau Angst vor der Supermacht USA habe: "Warum sollte Assad den größten Giftgasangriff auf die Rebellen genau dann befehlen, wenn die UN-Waffenkontrolleure in Damaskus sind? Die Antwort ist einfach: Er glaubt, dass niemand - nicht die UN, nicht Obama, nicht die Arabische Liga - etwas unternehmen wird, um ihn zu stoppen."

Andere Beobachter wie Ross Douhat von der New York Times fragen, wie es Washington den eigenen Bürgern und dem Rest der Welt erklären will, dass man sich 2011 in Libyen engagierte, aber nun den Massakern in Syrien sowie der Eskalation in Ägypten mehr oder weniger tatenlos zusieht.

Dabei sind die Gründe für Obamas abwartende Haltung wohl bekannt: Der US-Präsident weiß, dass sein Land nach zwei langen Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan kriegsmüde ist und möchte verhindern, dass Amerika in einen weiteren Konflikt hingezogen wird. Der Demokrat möchte sich auf das nation building at home konzentrieren und lieber in die heimische Infrastruktur investieren - ein Militär-Einsatz in Syrien könnte monatlich Milliarden verschlingen. Zudem sind Obama Emotionen und vorschnelle Entscheidungen fremd, weshalb er lieber wartet, dass sich die Dinge geklärt haben - und zweifelsfrei bewiesen ist auch jetzt noch nicht, dass das Assad-Regime in der Nacht auf Mittwoch Giftgas einsetzte.

Unabsehbare Folgen einer Intervention

Hinzu kommt die komplexe Situation in Syrien: Die Folgen einer stärkeren US-Intervention - egal ob in Form einer Flugverbotszone oder durch die Lieferung von schwererem Gerät - sind unabsehbar. Die Sorge, dass westliche Waffen in die Hände von Islamisten geraten, ist sehr begründet. Praktikable Vorschläge hat auch in den Washingtoner Thinktanks kaum jemand, wie Ex-General James Mattis frustriert im Wall Street Journal anmerkt: "Wir haben keine Strategie für Nahost. Die Krisen haben den intellektuellen Nebel weggeblasen und man sieht, dass nichts da ist."

In dieses Bild passt die schriftliche Antwort des höchstrangigen US-Soldaten, General Martin Dempsey, an den demokratischen Abgeordneten Eliot Engel: Es gebe "erheblichen Spielraum, um den gemäßigten Gegnern von Präsident Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg zu helfen". So könnte die syrische Luftwaffe zerstört oder deutlich mehr humanitäre Hilfe geleistet werden.

Allerdings warnt der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs Dempsey, dass es in Syrien nicht darum gehe, sich auf die eine oder andere Seite des Bürgerkriegs zu stellen: "Es geht eher darum, eine von mehreren Seiten zu wählen." Zudem wäre eine US-Militärintervention nicht entscheidend für den Konflikt und könnte auch nicht die ursächlichen Spannungen zwischen den Volks- und Religionsgruppen beseitigen.

Barack Obama dürfte dies genauso sehen.

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