Liberale:Die Auferstehung der FDP

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Viele hatten sie schon für tot erklärt. Doch Parteichef Christian Lindner hat der FDP wieder neues Leben eingehaucht. Jetzt kann er triumphieren.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Anfang ist es unbändiger Jubel, der hier ausbricht. Fast zehn Prozent vermelden die ersten Prognosen. Die FDP zurück im Bundestag - und dann mit einem solchen Ergebnis? Natürlich fühlt sich das großartig an für eine Partei, die schon für tot erklärt wurde. Glück, Genugtuung, Befreiung - es ist von allem etwas, das sich jetzt auf den vielen zufriedenen Gesichtern in der Berliner Parteizentrale abzeichnet. Sie haben hier etwas geschafft, was viele für unmöglich hielten. "Bin ich froh!", ruft einer im dunklen Anzug, mit gelbem Schal. Einem Schal, der so grell leuchtet, als wolle er dem gelben Pullunder des verstorbenen liberalen Vormanns Hans-Dietrich Genscher Konkurrenz machen.

Auch Christian Lindner wird von Jubel begleitet, als er kurz vor sieben mit dem gesamten Präsidium auf die Bühne klettert. Sprechchöre, rhythmisches Klatschen, das ganze Programm gibt es für den Parteichef. Und der erinnert zuallererst mit sehr leiser Stimme daran, dass die vergangenen vier Jahre die erste Wahlperiode ohne liberale Stimme im Bundestag gewesen seien, wie er formuliert. "Es soll zugleich die letzte gewesen sein", fügt er unter unbändigem Jubel seiner Parteifreunde hinzu. Doch sonst meidet es Lindner, auf die Pauke zu hauen. Er hat nicht vergessen, wie es ist abzustürzen. Aus diesem Grund hat er früh am Abend die Parole ausgegeben, beim schlechten Ergebnis der SPD bloß nicht in Jubel oder Gelächter zu verfallen.

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"Wir kennen das; wir wollen das auch so machen", erzählt später einer aus dem Vorstand. Und Lindner selbst sagt, in einem Land, das Schadenfreude kenne, habe sich Schönes ereignet: "Nach einem Scheitern ist ein Neuanfang möglich. Wir danken dafür." Und wieder jubelt der Saal. Sie sind einfach nur froh in den ersten Minuten - obwohl der Erfolg der AfD auch den Liberalen wehtut. Allein, der Schreck darüber soll den eigenen Triumph nicht überlagern. Es wissen sowieso alle, dass die AfD zur großen Herausforderung wird. Lindner sagt dazu in einem Moment der Stille: "Wir haben eine neue Chance bekommen, und wir wissen, dass sich damit auch Verantwortung verbindet." Dieser werde man sich stellen.

Mehr möchte er zu möglichen Bündnissen noch nicht sagen. "Wir sind überglücklich", sagen die Bescheideneren an diesem Abend. "Wir sind wieder da", rufen die, die bei der Katastrophe dabei waren, der Wahlniederlage 2013. Und dann gibt es auch noch ein paar junge Männer, die "Wir sind wieder wer" rufen, ganz besoffen vom Glück und ignorant gegenüber einem Satz, bei dem unangenehme Töne mitschwingen. Töne, die Parteichef Lindner in seinem Wahlkampf mit viel Verve der AfD zuschrieb. Jener Partei, die er eigentlich überrunden wollte. Das hat er nun nicht geschafft.

Aber im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, das früher Thomas-Dehler-Haus hieß, wird trotzdem gefeiert. Gelacht, gefrotzelt, getanzt. Viel, viel Erleichterung spielt da mit. Ein Blick vier Jahre zurück, auf jenen Abend des 22. September 2013, hilft beim Verständnis dafür. Damals hatte die FDP voller Angst gekämpft, die Liberalen hatten in den letzten Tagen sogar bei der Kanzlerin persönlich um Hilfe gebeten. Doch dann, als alle im Berliner Congress Center zusammen kamen, ereilte die Partei der Genickschlag.

Einer bewahrte damals Haltung. Besser gesagt: Er zeigte so wenig Rührung, Betroffenheit und Schmerzen, dass man sehr schnell ahnen konnte, wie sehr er hier nicht etwa litt, sondern die Niederlage als tiefe Genugtuung erlebte. Es war Christian Lindner, damals stellvertretender Parteichef, der in der Stunde der Katastrophe mit allem abrechnete, was geschehen war. Als sich die damaligen Spitzenleute der Partei in den Katakomben noch vor dem Gang auf die Bühne fürchteten, erklärte Lindner im Saal schon, dass die FDP die hohen Erwartungen an den Liberalismus nicht erfüllt habe - "nicht in der Kompetenz, nicht im Stil, nicht in der Verkörperung der zentralen Anliegen".

Vier Jahre und zwei Tage später jubeln diesem Lindner alle zu, die noch ein Plätzchen in der Parteizentrale ergattert haben. Und man muss den smarten 38-Jährigen nicht mögen oder gut finden, um zu dem Schluss zu kommen, dass dieser Erfolg sein Werk ist. Es war seine Courage, diese Partei nicht aufzugeben; es war seine Entscheidung, die Partei nicht neu zu gründen. Es war seine Truppe, mit der er sich auf den Weg machte. Und es ist sein Gesicht gewesen, mit dem die FDP im Wahlkampf für eine Rückkehr gekämpft hat. Am Abend sagt einer aus dem engsten Umfeld des neuen Parteihelden: "Wir alle haben in diesen vier Jahren nicht immer geglaubt, dass es klappt. Er hat das."

Was macht man, wenn Koalitionen möglich werden, vielleicht sogar möglich werden müssen?

Richtig ist, dass Lindner die Rückkehr sehr konsequent organisiert hat. Es gibt aus der alten Riege, die damals in Regierung und Fraktion das Sagen hatte, keinen mehr, der heute noch dabei ist. Der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki, der Pfälzer Volker Wissing und der Ex-Vizepräsident des Bundestages, Hermann Otto Solms, sind die Einzigen, die diese Zeit überdauert haben. Und das hat viel damit zu tun, dass jeder der drei mit der alten Führungstruppe noch in der alten Zeit gebrochen hatte. Ansonsten gehören der Parteispitze nur Leute an, die am Wiederaufbau aktiv beteiligt waren - sei es die ehemalige Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, sei es die Bremerin Lencke Steiner oder der FDP-Chef von Sachsen-Anhalt, Frank Sitta. Sie alle zählen nicht zu den Ideologen.

Noch bemerkenswerter ist freilich ein Luxus, den Lindner genießen konnte wie sonst wahrscheinlich noch nie ein FDP-Parteichef. Er konnte sich sein engstes Team so umfassend selbst aussuchen, dass er jeden Quertreiber, jeden Gegner, auch jeden Zweifler früh ausschließen konnte. Im Nachhinein klingt das wie eine Petitesse. Aber wer sich an die Intrigen und Grabenkämpfe erinnert, die diese Partei vor Lindners Antritt beherrschten, begreift erst den Unterschied. Dass dann auch der Terminkalender noch mitspielte, ist wahrscheinlich das Einzige, was Lindner in den vergangenen vier Jahren nicht beeinflussen konnte. Erst kamen die Landtagswahlen im Osten, bei denen für die Liberalen ohnehin nichts zu gewinnen gewesen wäre. Dann folgten die Abstimmungen in Hamburg und Bremen, die erste Hoffnung schenkten. Und dass in diesem Jahr Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ein neues Landesparlament wählten, war ein dramaturgisches Geschenk, dass kein Regisseur für sie hätte erfinden können.

Doch obwohl an diesem Abend alle feiern und selbst Lindner ein bisschen Überschwang zeigt, spüren sie, wie plötzlich das Wort Verantwortung auftaucht. Vier Jahre lang konnten sie FDP in Reinform propagieren, von Montag an wird neben diesem Leben ein zweites Platz nehmen. Was macht man eigentlich, wenn Koalitionen möglich werden, vielleicht sogar möglich werden müssen? Lindner hat in den vergangenen Tagen betont, man werde die eigenen Überzeugungen nicht über Bord werfen. Das sollte selbstbewusst klingen. Aber so einfach wird das Leben nicht bleiben. Selbst in der Nacht des großen Jubels spüren das viele - auch wenn sie darüber noch nicht reden möchten.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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