Sechs Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei hat mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz der erste Spitzenvertreter der Europäischen Union Ankara besucht. Bei Treffen mit Premierminister Binali Yıldırım und Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan ging Schulz einen Schritt auf die Türkei zu. "Mein Besuch ist ein Signal, dass wir sehr an einer engen und intensiven Kooperation mit der Türkei interessiert sind", sagte er in Ankara. "Wir müssen wieder beginnen, miteinander anstatt übereinander zu reden." Zuvor war Schulz als einer der deutlichsten Kritiker Erdoğans aufgetreten.
Das Verhältnis zwischen der EU und ihrem Beitrittskandidaten hatte nach dem gescheiterten Militärputsch einen Tiefpunkt erreicht. Erdoğan warf Europa vor, auf Seiten der Putschisten zu stehen, weil sich der Westen nicht sofort mit der Regierung in Ankara solidarisiert hatte. Stattdessen wurde Kritik an den Massenverhaftungen und Suspendierungen in der Türkei geäußert, die auf den Putschversuch folgten.
Schulz sprach in Ankara von Irritationen
Schulz hatte Erdoğan unter anderem vorgeworfen, einen "Ein-Mann-Staat" zu errichten, in dem alle Kritiker Erdoğans zu Feinden erklärt würden. In Ankara sprach er nun von Irritationen. Das Vorgehen der türkischen Behörden habe mehr Fragen als Antworten aufgeworfen. "Richtig ist, dass die EU und die Türkei sich schon näherstanden", sagte Schulz. Nun müsse es darum gehen, wieder Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Er lobte das "mutige Einstehen" der Türken für die Demokratie in der Nacht des Putschversuchs. "Die Botschaft ist, wir sind an eurer Seite, wir haben Verständnis für die tiefe Erschütterung, die der Putschversuch erzeugt hat."
Schulz sagte auch, er sehe keine unüberwindlichen Hürden im Streit über die türkischen Anti-Terror-Gesetze. Ihre Änderung ist für die EU Voraussetzung dafür, Türken von der Visumpflicht zu befreien. Derzeit allerdings bewege sich wegen der Differenzen in dieser Frage nichts, sagte Schulz. Premier Yıldırım bekräftigte, seine Regierung werde die Anti-Terror-Gesetze nicht lockern. Am Donnerstag kam es in Ankara zu einer Regierungsumbildung. Innenminister Efkan Ala war am Vorabend überraschend zurückgetreten. In türkischen Medien hieß es, Erdoğan sei unzufrieden mit Ala gewesen. Im Kampf gegen mutmaßliche Hintermänner des Putsches agiere er zu zögerlich - die Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und sein Netzwerk verantwortlich. Es gelang den Sicherheitsbehörden auch nicht, schwere Anschläge zu verhindern. Seit einem Jahr attackieren Attentäter des IS das Land. Auch kurdische PKK-Separatisten verüben wieder Anschläge. Süleyman Soylu, bisher Arbeitsminister, wurde neuer Innenminister.