White Island:Warum sich die Insel in eine Todeszone verwandelt hat

  • Bei der Eruption kamen mindestens sechs Menschen ums Leben. Unter den zahlreichen Verletzten sind auch vier Deutsche.
  • Womöglich wurde vor dem Vulkanausbruch auf der neuseeländischen Insel White Island gegen Sicherheitsstandards verstoßen.
  • Ein Vulkanologe vermutet, dass es zu einer Dampfexplosion gekommen ist.

Sören Müller-Hansen

Geoff Hopkins ist Pfarrer auf der neuseeländischen Nordinsel, zu seinem 50. Geburtstag neulich schenkte ihm seine Tochter, eine Geologie-Studentin, einen Ausflug. Auf die Insel White Island, 50 Kilometer vor der Küste der Nordinsel. Nachdem die beiden ihren Trip beendet hatten, bestiegen Vater und Tochter ein Boot, es drehte noch eine Runde, für einen letzten Blick auf den Vulkankrater. Genau da brach der Vulkan aus.

"Ich hörte ein Keuchen über dem Boot und blickte nach oben", erzählte Hopkins dem New Zealand Herald. "Ich sah eine graue und weiße Wolkenwand, die ziemlich hoch und ziemlich schnell über den Felskrater aufstieg." Erst habe er sie als schön empfunden, dann als bedrohlich.

Als sich der Staub lichtete, der blaue Himmel zurückkehrte, da sah Hopkins sie dann - fliehende Menschen, die vom Strand ins Wasser rannten, um dem Ausbruch zu entkommen. Sie seien schreiend auf sein Boot gehievt worden, sagt Hopkins. Er und seine Tochter hätten die Verletzten mit Wasser begossen, sie aus ihrer Kleidung herausgeschnitten und versucht, sie zu beruhigen. "Sie alle waren fürchterlich verbrannt."

Die Zahl der Toten ist am Dienstag auf sechs gestiegen. Acht Menschen seien vermutlich noch tot auf der Insel, teilte die Polizei mit, ihre Leichen bleiben vorerst dort. Experten zufolge besteht eine 50-prozentige Chance für einen weiteren kleinen Ausbruch. Unter den Verletzten befinden sich auch vier Deutsche. Ihr Reiseveranstalter hatte sie trotz erhöhter Warnstufe für einen Tagesausflug auf die Insel gebracht.

Und genau das ist nun die große Frage: Warum befanden sich überhaupt Menschen auf der Insel, 47 insgesamt? Das neuseeländische Institut für geologische Gefahren (GeoNet) hatte vor drei Wochen die Warnstufe für einen Ausbruch auf der Skala von null bis fünf auf die Stufe zwei erhöht. Das bedeutet: moderate bis erhöhte vulkanischer Aktivität.

Premierministerin Jacinda Ardern sagt nun: "Es hat anscheinend in den vergangenen 30 Jahren immer Touren gegeben. In dieser Zeit war der Vulkan immer aktiv und auch in dieser Warnstufe. Aber es ist ein sehr unberechenbarer Vulkan. Wir wissen, dass es größere Fragen geben wird." Ob die Katastrophe hätte verhindert werden können, ist eine davon. Die Polizei hat Ermittlungen eingeleitet. Es gehe auch um die nächste größere Frage, nämlich ob "jemand für die Tode und Verletzungen strafrechtlich verantwortlich gemacht werden kann", sagt Chefermittler John Tims.

Warnstufe zwei schließt auch mögliche Ausbrüche nicht aus. Dennoch war es weiterhin erlaubt, die in Privatbesitz befindliche Insel zu betreten. Geo-Net hatte nicht nur gewarnt, sondern auch geschrieben: "Die aktuelle vulkanische Aktivität stellt keine direkte Gefahr für Besucherinnen und Besucher dar."

Einen Ausbruch richtig vorherzusagen, ist äußerst kompliziert. Wissenschaftler müssen einen Vulkan genau kennen, um die Prozesse unter der Erdkruste zu verstehen. Anruf bei Eleonora Rivalta, Vulkanologin am Helmholtzzentrum für Geowissenschaften in Potsdam. "Es gibt nicht nur einen Typ von Vulkanausbrüchen", sagt sie. "Vulkane sind sehr unterschiedlich und werden unterschiedlich stark überwacht. Die Wahrscheinlichkeit, wie genau wir einen Ausbruch vorhersagen können, unterscheidet sich von Vulkan zu Vulkan."

Grundsätzlich gibt es drei Anzeichen, die auf einen bevorstehenden Ausbruch hindeuten: An schwachen Erdbeben können Vulkanologen erkennen, ob Magma aufsteigt, auch Verformungen des Berghangs können darauf hinweisen. Zudem können erhöhte Gaskonzentrationen, zum Beispiel von Schwefelgasen, Wasserdampf oder Kohlenstoffdioxid, auf eine größere Gefahr hindeuten. White Island, den die Maori "Dramatischer Vulkan" ("Whakaari") nennen, zeigte nur sehr schwache Anzeichen für einen Ausbruch.

Rivalta vermutet daher, dass es überhaupt keinen Lavaausbruch gegeben hat, sondern dass es zu einer Dampfexplosion gekommen ist. Dabei steigt das Magma bis zu 300 Meter unter die Oberfläche. "Grundwasser kann in Kontakt mit dem Magma kommen und Gas bilden. Es entsteht ein enormer Druck und löst eine Explosion aus." Der Druck könne dabei innerhalb weniger Minuten stark ansteigen. Vorher sei dies nur sehr schwer zu messen und daher kaum vorhersehbar. "Große Magmaausbrüche sind etwas einfacher vorherzusagen, da der Druck tief unter der Erde sehr hoch ist. Das kann mit Instrumenten gemessen werden."

Letzter Ausbruch 2016

Klaus Mayer, der für seine Doktorarbeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2015 selbst auf White Island geforscht hatte, stützt diese Einschätzung. "Wasserdampfgetriebene Ausbrüche sind sehr gefährlich, da sie nur schwer vorherzusagen sind. Das Dampfen erzeugt kein mechanisch messbares Signal."

Charakteristisch für diesen Vulkan sei ein Kratersee, der aufgrund der entweichenden Gase ständig blubbere und spritze. Ob es tatsächlich zu einer Dampfexplosion gekommen ist, lässt sich erst prüfen, wenn White Island wieder betretbar ist. Gesteinsproben vom Krater können Aufschluss liefern, ob der Vulkan Lava gespuckt hat.

Zuletzt war er 2016 ausgebrochen. Schon damals hätte man auf das hohe Risiko aufmerksam werden können, meint Rivalta. Doch da keine Touristen auf der Insel waren, wurden auch keine Konsequenzen gezogen. "Wenn schon einmal Unfälle passiert sind, passen die Leute besser auf. Wenn jemand ums Leben kommt, schaut man genauer hin." Was bedeutet: Gab es schon Unfälle an einem Vulkan, ist er in der Regel sicherer.

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