Wahl in den USA:Eine Generation in der Warteschleife

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Sie wollen die Zukunft gestalten, kennen aber nicht einmal die Gegenwart: Junge Wählerinnen und Wähler beim Warten auf das Ergebnis in Washington, D.C. (Foto: Eric Lee/Bloomberg)

Gerade die jungen US-Amerikanerinnen und Amerikaner haben sich in den vergangenen Jahren gesellschaftlich engagiert. Jetzt bröckelt das Vertrauen in die politischen Institutionen weiter.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Die 202 Straßenlampen sind ausgeschaltet, Valentina und Jerusa sind enttäuscht. Sie sind mit dem Bus zu diesem Wahrzeichen der Stadt gekommen, direkt vom Flughafen LAX, die Installation "Urban Light" am Los Angeles County Museum of Art ist neben den Engelsflügeln in Venice Beach und der Herzentreppe in Silver Lake der beliebteste Hintergrund für Bilder auf sozialen Netzwerken wie Instagram. Die Lampen aus den Roaring Twenties in Südkalifornien sind auch Symbol der Hoffnung, dass die 2020er-Jahre doch noch ein gutes Jahrzehnt werden, an diesem Abend jedoch bleiben sie zum ersten Mal seit der Eröffnung vor zwölf Jahren dunkel. Grund: Furcht vor Ausschreitungen nach der Präsidentschaftswahl, wie einer der vier Sicherheitsleute sagt.

"Wir hatten uns so auf die Lichter gefreut", sagt Valentina, die einen riesigen Koffer dabeihat: "Unfassbar, dass es wegen einer Wahl so weit kommt." Die beiden sind Mitte 20 und somit an der Grenze der Generationen Millennials (vor 1995 geboren) und Z (nach 1995). Beide haben zum ersten Mal in ihrem Leben gewählt, Joe Biden übrigens, bereits vor der Abreise nach Los Angeles per Briefwahl. Sie wohnen in El Paso im Bundesstaat Texas, wo Biden sich vor allem wegen junger Wählerinnen wie Valentina und Jerusa Chancen ausrechnete. Es gewann jedoch Trump, relativ deutlich mit mehr als 52 Prozent der Stimmen.

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Etwa 20 Prozent der knapp 240 Millionen wahlberechtigten Amerikaner sind zwischen 18 und 29 Jahre alt. Viele von ihnen haben zum ersten Mal gewählt; entweder weil sie nun alt genug waren, oder weil sie sich zum ersten Mal mobilisieren ließen. Es sind junge Leute, die in den vergangenen Jahren bewiesen haben, dass sie gesellschaftlich engagiert sind. Sie gehen für den Kampf gegen die Klimakatastrophe auf die Straße und sorgen sich um Missstände wie Sexismus, Polizeigewalt und Rassismus. Nur: Glauben sie auch daran, dass die Politik als Problemlöser taugt?

Jerusa (links) und Valentina aus Texas vor der Kunstinstallation Urban Light in Los Angeles. Die Lampen waren am Wahlabend ausgeschaltet, aus Sorge vor Randale. (Foto: Jürgen Schmieder)

Prognosen zufolge dürften etwa 60 Prozent dieser Altersgruppe gewählt haben; vor vier Jahren waren es gerade mal 46,1 Prozent. Es heißt, dass sich die bestens vernetzten Mitglieder der beiden Generationen auf sozialen Netzwerken gegenseitig dazu angespornt hätten, ihre Stimme abzugeben; und als Beweis veröffentlichten sie Fotos. Das haben Valentina und Jerusa auch getan. Nun stehen sie vor den Lampen und wissen nicht so recht, wohin mit sich selbst. Marcus, ein 27 Jahre alter Afroamerikaner, spaziert mit seinem kleinen Hund vorbei. Als er die dunklen Lampen sieht, sagt er: "Das ist 2020 auf einen Blick. Und passieren wird heute ohnehin nichts, weil es keinen Sieger geben wird."

Statt zu fragen, wie diese Generationen die Wahl in den USA beeinflusst haben, könnte man auch mal fragen: Was wird diese Wahl mit diesen Leuten anstellen? Welche Zukunft erwartet diese Generationen, die nun erstmal die Gegenwart verarbeiten müssen?

Leben in der Kakistokratie, der Herrschaft der Schlechtesten

"Die letzten vier Jahre haben es beinahe unmöglich gemacht, daran zu glauben, dass Leute, die dieses Land regieren, kompetent sind oder es gut meinen", schreibt die 23 Jahre alte Mariah Kreutter in einem Essay für die Los Angeles Times. Sie beschreibt die erste Amtszeit von Trump als "Kakistokatie ", ein aus den griechischen Wörtern "kakistos" (am schlechtesten) und "kratein" (herrschen) zusammengesetzter Begriff, der ziemlich gut benennt, was viele junge Menschen über Politik denken: An der Macht sind die schlechtestmöglichen Leute, auf jeden Fall niemand, der sich um die Anliegen junger Menschen kümmert. "Der Glaube ist seit langem erschüttert", schreibt Kreutter.

Die Psyche der Generation Z ist weniger geprägt von den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und deren Folgen und auch nicht so sehr von Naturkatastrophen wie Hurrikan Katrina 2005. Ihre Ängste sind profunder, persönlicher, gerade in den USA. Da wäre die Angst vor horrenden Schulden als Student. Die Furcht, wie 20 Millionen ihrer Altersgenossen ohne Krankenversicherung dazustehen. Die Sorge, keinen Job zu finden, vor allem keinen, der so viel bietet, dass es zum Leben reicht. Amokläufe. Polizeigewalt. Waldbrände. Klimakatastrophe. Rassismus.

Eine Generation begehrt auf: Schulstreik für das Klima im September 2019 in Los Angeles. (Foto: Frederic J. Brown/AFP)

"Es ist eine Generation, die unabhängiger von Parteigrenzen denkt", sagt Elizabeth Matto, Professorin für Politik an der Rutgers University in New Brunswick im Staat New Jersey. Gerade die Generation Z (jünger als 25) identifiziere sich nicht mit Parteien, sondern mit einzelnen Leuten, die sie als Problemlöser identifiziere. Es sei umso wichtiger, dass diese Generation politischen Institutionen vertraue. Diese Generation wisse, dass ihre Stimme gehört werde und dass sie Einfluss habe; wie sonst ließe sich zum Beispiel erklären, dass die Biden-Wahlkampagne in der vergangenen Woche eine komplette Welt im Videospiel "Fortnite" erschaffen hat, in der die Spieler zum Beispiel Müll beseitigen und damit Biden auf seiner Mission helfen mussten, ein besseres Amerika zu erschaffen.

Die Lichter in L. A. bleiben erst mal aus

Die Millennials und die Generation Z sind aber auch zwei Generationen, deren Vertreter ungeduldig sind und wissen wollen, wie es nun weitergeht mit Zukunft und Gegenwart. Die bekamen am Dienstag mitgeteilt, dass sie sich ein bisschen werden gedulden müssen, bis ein Sieger bei dieser Wahl feststehen wird. Mariah Kreutter, die den Essay in der Los Angeles Times geschrieben hat, will am Wahlabend lieber gar nichts mehr sagen, schreibt sie per SMS. Sie hängt mit ihren Hoffnungen und Ängsten erst mal in der Luft.

Ohne Ergebnis gibt es freilich auch erst einmal keine Frustrierten auf den Straßen von Los Angeles, es bleibt ruhig am Dienstagabend. Der Sicherheitsmann sagt, dass die Lichter von Urban Light erst dann wieder eingeschaltet würden, wenn keine Randale mehr zu befürchten sei. Valentina und Jerusa sind noch bis Sonntag in Los Angeles. Könnte knapp werden mit den ersehnten Fotos.

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