Es gibt viele verschiedene Arten von Gerechtigkeit, zum Beispiel die alttestamentarische Variante, die lautet: "Auge um Auge, Zahn um Zahn." Nicht so schön. Oder die sogenannte Generationengerechtigkeit, die etwas damit zu tun hat, dass die Älteren nicht alle Ressourcen aufbrauchen und auch sonst nicht alles versauen sollen, was sie ihren Nachfahren hinterlassen. Ein besonders hehres Prinzip ist aber das der poetischen Gerechtigkeit. Es entspringt dem Wunsch, jede Strafe solle unmittelbar mit der Schuld korrespondieren, sozusagen maßgeschneidert für das zu ahndende Vergehen sein. In Film und Literatur kommt sie häufig vor, in der Realität allerdings fast nie.
Daher sei hier Richter Timothy Gilligan aus Parma im US-Bundesstaat Ohio ausdrücklich für seine poetische Ader gelobt. Er hatte im Fall einer 39-jährigen Schnellrestaurant-Kundin Recht zu sprechen. Die Frau mit Namen Rosemary Hayne war mit der Burrito-Schüssel nicht zufrieden, die ihr in einer Filiale der mexikanischen Fastfood-Kette "Chipotle" serviert worden war. Daraufhin schrie sie erst einen 17-jährigen Restaurantangestellten an, dann warf sie dessen Kollegin, die intervenierte, den heißen Inhalt besagter Schüssel an den Kopf.
Zunächst wollte Richter Gilligan die Angeklagte wegen Körperverletzung zu 180 Tagen Gefängnis verurteilen, davon 90 auf Bewährung. Doch dann bot er ihr an, die Haftstrafe um 60 Tage zu reduzieren - wenn sie einwillige, dafür zwei Monate lang in einem Fast-Food-Betrieb zu arbeiten. Hayne akzeptierte.
So herrlich, den Spieß umzudrehen und eine unbeherrschte Kundin am eigenen Leibe spüren zu lassen, wie toll es ist, am laufenden Band schlecht gelaunten Menschen Industrieessen zu servieren, dazu gehört schon ein Sinn für Poesie. Und mit seiner abschließenden Bemerkung, wenn Frau Hayne auf dieses Essen schon so überreagiert habe, dann werde sie mit der Gefängnisspeisung vermutlich erst recht "nicht glücklich werden", bewies Richter Gilligan auch noch einen erfreulichen Sinn für Humor.
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