Koblenz:Höchstes Gericht: Finanzausgleich ist verfassungswidrig

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Das Justizzentrum in Koblenz, in dem der rheinland-pfälzische Verfassungsgerichtshof, das Oberverwaltungsgericht, das Verwaltungsgericht, die Generalstaatsanwaltschaft, die Staatsanwaltschaft, das Sozialgericht und das Arbeitsgericht untergebracht sind. (Foto: Thomas Frey/dpa/Symbolbild)

Klamme Gemeinden in Rheinland-Pfalz könnten mehr Geld bekommen - der Kommunale Finanzausgleich verstößt gegen die Landesverfassung. Das Land muss ihn spätestens...

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Koblenz (dpa/lrs) - Klamme Gemeinden in Rheinland-Pfalz könnten mehr Geld bekommen - der Kommunale Finanzausgleich verstößt gegen die Landesverfassung. Das Land muss ihn spätestens bis zum 1. Januar 2023 neu regeln. Das geht aus einem rechtskräftigen Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VGH) Rheinland-Pfalz in Koblenz vom Mittwoch hervor - nur etwa drei Monate vor der Landtagswahl am 14. März 2021.

Das Land hat damit umfangreiche Hausaufgaben bekommen - VGH-Präsident Lars Brocker teilte mit: „Es geht darum, den Kommunalen Finanzausgleich vom Kopf auf die Füße zu stellen.“ Dieser sei seit 1951 in seiner Grundstruktur weitgehend unverändert. Der Pirmasenser Oberbürgermeister Markus Zwick (CDU) sprach von einem Grundsatzurteil und einem historischen Tag zugunsten verschuldeter Kommunen. Diese wollten nicht nur die ihnen von Bund und Land übertragenen Pflichtaufgaben wie beispielsweise soziale Hilfen erfüllen, sondern auch etwa für Spielplätze, Vereine, Theater, Konzerte und Stadtfeste sorgen können, „also für all das, was Kommunen lebenswert macht“. Die CDU-Opposition im Landtag nannte die Entscheidung eine neuerliche schallende Ohrfeige für die rot-gelb-grüne Landesregierung.

Der VGH hatte bereits 2012 einer Klage des Landkreises Neuwied gegen den damaligen Kommunalen Finanzausgleich (KFA) stattgegeben. Danach änderte die Landesregierung das entsprechende Gesetz. Aber auch hiergegen klagten Pirmasens, eine der am höchsten verschuldeten Städte in Deutschland, und der Landkreis Kaiserslautern - nach eigenen Angaben auch stellvertretend für andere verschuldete Gemeinden. Dem Städtetag Rheinland-Pfalz zufolge sahen sie das erwartete neue VGH-Urteil als letzte Chance, um endlich wieder genug Geld etwa für Straßen, Schulen und Schwimmbäder zu bekommen.

Das höchste Gericht des Landes urteilte nun, die KFA-Vorschriften sicherten den Gemeinden nicht „die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel“ im Sinne der Landesverfassung. Nötig sei ein neues Finanzmodell, das sich nicht am Steueraufkommen des Landes, sondern an den Kosten der Aufgaben der Kommunen orientiere. Diese müssten „realitätsnah“ ermittelt werden. Dabei kann dem Verwaltungsgerichtshof zufolge der Landesrechnungshof eingebunden werden. Zur konkreten Ausgestaltung des KFA mache die Landesverfassung keine näheren Vorgaben. Es könne auch nicht um eine „komplette Kostenerstattung durch das Land“ gehen. Kommunen seien gemäß Verfassung zu Sparsamkeit angehalten.

Die Landesregierung will dem Innenministerium zufolge mit der Neuausrichtung des verfassungswidrigen KFA bereits im Januar 2021 beginnen und das Gespräch mit den Gemeinden suchen. Dieses Vorhaben sei komplex und erst in der kommenden Wahlperiode unter Dach und Fach zu bringen, sagte Innenstaatssekretär Randolf Stich (SPD). Die letzte Entscheidung treffe der Landtag.

Auch die Landesregierung halte die Neuordnung des KFA für nötig: „Im vergangenen Jahr standen 1491 Kommunen mit zusammen mehr als 710 Millionen Euro an Überschüssen in der landesweiten Bilanz 977 Kommunen mit zusammen über 447 Millionen Euro an Defiziten gegenüber.“ Angesichts der positiven Finanzierungssalden von 431, 444 und 263 Millionen Euro in den Jahren 2017, 2018 und 2019 „dürfte dabei ein Schwerpunkt der Neugestaltung auf der Verteilung zwischen den Kommunen liegen“. Auch die FDP-Landtagsfraktion teilte mit, nicht die Höhe, sondern die „Zuweisungsstruktur an die Kommunen“ sei vom VGH beanstandet worden. Der Kaiserslauterer Landrat Ralf Leßmeister (CDU) betonte dagegen: „Ohne zusätzliches Geld im Ausgleichstopf geht es nicht.“ Das Land müsse den Kommunen unterm Strich mehr zahlen.

Die CDU-Landtagsfraktion kritisierte, die Kommunen litten unter einem KFA, „der seit nunmehr 13 Jahren verfassungswidrig ist. Die Landesregierung hat die Kommunen in die Verschuldung getrieben“. CDU-Fraktionschef Christian Baldauf sagte: „Dieses Urteil ist in der Notengebung ein ungenügend, durchgefallen.“ Es sei eine „längst fällige Kehrtwende für unsere Kommunen“. Die CDU-Fraktion wollte ihre Forderungen am Donnerstagmittag bekanntgeben. Auch die ebenfalls oppositionelle AfD-Fraktion begrüßte die Entscheidung: Während die Landesregierung die Lage seit Jahren schönrede, sei die Neuordnung der Kommunalfinanzen schon lange überfällig.

Die nicht im Landtag vertretene Partei Die Linke urteilte, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) spare „seit vielen Jahren rechtswidrig riesige Summen zulasten der Kommunen, die sie anschließend publikumswirksam im Landeshaushalt verwendet“. Die ebenfalls nicht im Landtag sitzenden Freien Wähler betonten: „Die Entscheidung des VGH ist das Todesurteil für die von der SPD gesteuerte Unterfinanzierung von Kreisen und Gemeinden.“

Der Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz sprach von verfassungswidriger Flickschusterei der SPD-geführten Landesregierungen der vergangenen Jahre beim KFA. „Doch mehr Landesgeld allein wird das Problem unserer Kommunen nicht lösen. Rheinland-Pfalz hat mit über 2300 Kommunen die kleingliedrigste Kommunalstruktur in Deutschland“, ergänzte der Verband. „Es wird endlich Zeit, einen großen Wurf bei den Kommunalfusionen vorzunehmen, um starke wie kosteneffiziente Verwaltungsstrukturen zu schaffen.“

Der rheinland-pfälzische und saarländische DGB-Chef Dietmar Muscheid betonte: „Bei der auskömmlichen Finanzausstattung der Kommunen sind der Bund und das Land gefordert.“ Vor allem müssten die Gemeinden von ihren Altschulden entlastet werden: „Vorschläge wie ein gemeinsamer Schuldentilgungsfonds müssen jetzt endlich umgesetzt werden.“

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