Darren Wilson hat einen unbewaffneten Menschen mit mindestens sechs Schüssen getötet - und doch wird der 28-jährige Polizist für den Tod des 18-jährigen schwarzen Teenagers Michael Brown strafrechtlich nicht belangt. Das steht seit Montagabend fest. Eine Geschworenenjury sieht in der Handlung des Polizisten Wilson keine hinreichenden Beweise für eine Straftat, eine Anklage wird somit nicht erhoben.
So kam die Grand Jury zu ihrer umstrittenen Entscheidung
Die zwölfköpfige Geschworenenjury, bestehend aus neun Weißen und drei Schwarzen, hat drei Monate lang beraten und mehr als 60 Zeugen, darunter Gerichtsmediziner und Augenzeugen, angehört. Die Protokolle der Befragungen und alle vorliegenden Beweise, ingesamt sind das mehr als 5000 Seiten, wurden am Montagabend im Netz veröffentlicht. Doch was fehlt und viele am meisten interessiert, darf die Staatsanwaltschaft nicht an die Öffentlichkeit geben: die Details zur Entscheidungsfindung. Um diesem Umstand seine Brisanz zu nehmen, hält Staatsanwalt Robert McCulloch neben der Verkündung des Verdikts eine halbstündige Rede, in der er die Entscheidung der Jury zu erklären versucht.
Die örtliche Lokalzeitung St. Louis Post-Dispatch hat auf ihren Webseiten die Dokumente gesammelt, die die Grand Jury im Verlauf ihrer Beratungen berücksichtigte:
Aussagen der Zeugen, die von der Grand Jury gehört wurden.
Abschriften von Verhören durch Polizei und Bundespolizei FBI.
Berichte und Beweisdokumente, die von der Grand Jury in Betracht gezogen wurden.
Wegen "first-degree murder" (vorsätzlichem Mord), "second-degree murder" (Mord mit bedingtem Vorsatz), "voluntary manslaughter" (vorsätzlicher Tötung) oder "involuntary manslaughter" (fahrlässiger Tötung) hätten die sieben Männer und fünf Frauen der Jury Wilson anklagen können. Doch Experten hatten schon Wochen vor der offiziellen Erklärung vermutet, dass sich die Jury für keine dieser Optionen entscheiden würde. Das hat vor allem mit den Gesetzen der einzelnen Bundesstaaten zu tun, die Umstände festlegen, innerhalb derer ein Polizist im Einsatz einen Menschen töten darf.
Welche Sonderregelungen für Polizisten im Dienst gelten
Polizisten dürfen in Missouri gemäß Kapitel 563 des Gesetzestextes unter zwei Umständen straffrei zur Waffe greifen: "Eine der beiden Gründe liegt vor, wenn sie mit ihrem Handeln ihr Leben oder das einer unschuldigen Person schützen", erklärt der frühere Polizist und Kriminologe an der Universität of Missouri, David Klinger dem Nachrichtenportal Vox.com. Diese Verhaltensweise wird auch "defense-of-life" genannt. Der zweite erlaubte Grund für einen Polizisten, eine Waffe einzusetzen: Wenn er dadurch einen vermuteten Verbrecher an der Flucht hindern kann. Die Geschworenenjury hatte in Wilsons Fall zu entscheiden, ob einer oder sogar beide Gründe auf die etwa 90-sekündige Begegnung zwischen dem Polizisten Wilson und dem Teenager Brown zutrafen - und entschied sich offenbar mindestens in einem Fall für ein eindeutiges "Ja".
Den beiden Gesetzen zufolge ist es unerheblich, ob Brown Wilson tatsächlich bedroht hat. Entscheidend ist allein der "nachvollziehbare" ("objectively reasonable") persönliche Eindruck des Polizisten, wonach sein Leben in Gefahr sei. Wilson selbst war vier Stunden von der Grand Jury befragt worden. Er habe demnach um sein Leben gefürchtet, sagte McGulloch, und zitierte aus den Akten die Aussage Wilsons: "Er war so groß und ich fühlte mich so klein. (...) wie ein Fünfjähriger, der sich an Hulk Hogan klammert." Brown war 1,93 Meter groß, etwa 130 Kilo schwer und ehemaliger Wrestler, Wilson jedoch nicht viel kleiner, aber alleine im Streifenwagen unterwegs. (Die New York Times hat die Polizeifotos von Wilson, der Tatwaffe und dem Tatort hier aufbereitet.)
Der umstrittene Staatsanwalt
An seiner Zustimmung zur Entscheidung der Grand Jury ließ Fergusons Generalstaatsanwalt Robert McCulloch während seines Auftritts am Montagabend in Ferguson keinen Zweifel. Er gilt unter Kritikern als zu polizeinah, sein Vater war selbst Polizist und ist 1964 von einem Schwarzen getötet worden. 26 000 Menschen hatten in einer Petition vergeblich seine Beurlaubung und die Einsetzung eines Sonderermittlers gefordert. McCulloch hat Kritikern zufolge außerdem einen entscheidenden Fehler begangen: Er empfahl von vorneherein keine Anklage, wie sonst üblich, um die endgültige Entscheidung einem Gericht zu überlassen.
Statt der Grand Jury eine klare Linie vorzugeben und eine Auswahl von Hauptbelastungszeugen zu präsentieren, entschied sich McCulloch dafür, den Geschworenen die freie Entscheidungsfindung zu lassen.
Alex Little, ein ehemaliger Staatsanwalt, hatte schon im August gesagt, dass das die falsche Strategie im Brown-Fall sei und für einen amerikanischen Staatsanwalt außerdem ein sehr unübliches Verhalten: "Wenn ein Staatsanwalt nur Beweise präsentiert und ansonsten die Grand Jury entscheiden lässt, ist das grober Unsinn. Wenn er so an einen Fall herangeht, hat er sich entschieden, auf seine Rolle als Strafverfolger in diesem Fall zu verzichten. An diesem Punkt ist keiner mehr da, der der Grand Jury einen Weg aufzeigt - mehr noch, es ist niemand mehr da, der die Seite des Opfers vertritt, die Interessen von Michael Brown."
Auch Kevin Curran, Präsident der Vereinigung der Staatsanwälte von Missouri, hatte die Strategie McCullochs im Brown-Fall zuvor als gefährlich bezeichnet. "Eine Anklage wird dadurch eher unwahrscheinlich".
Generalstaatsanwalt Robert McCulloch während seiner öffentlichen Erklärung.
(Foto: AP)