Karneval als Lärmbelästigung:"Die Kölner haben sich verändert"

Lesezeit: 3 min

Karneval ja, aber nicht vor der eigenen Haustür: Köln fühlt sich als Hochburg von Toleranz und Dollerei - das Ordnungsamt muss aber immer häufiger wegen Lärmbelästigung ausrücken. Die Politik ist für das biedere Klima mitverantwortlich.

Bernd Dörries, Köln

Klaus-Dieter Bischof sagt, die Zeiten hätten sich geändert. "Die Toleranzgrenze ist niedriger geworden in Köln." Man kann kaum etwas Schlimmeres sagen über eine Stadt, die lange so getan hat, als habe sie die Toleranz erfunden: Sie ist ein wichtiger Bestandteil des Lebensgefühls dieser Stadt, der optimistischen Gleichgültigkeit und fatalistischen Lebensfreude. Für Bischof, den Geschäftsführer des Karnevalsvereins "Die Neppeser Ahr-Schwärmer" und andere in der Stadt geht es in diesen Tagen aber um die Frage, ob Köln noch so tolerant ist, wie es lange war. Es geht um die Frage, wie in Köln lebende Menschen sich zum Karneval verhalten. "Der Widerstand wächst", sagt Bischof.

Die Jecken lieben Köln, aber nicht mehr ganz Köln liebt die Jecken: "Der Karneval wird nicht mehr so flächendeckend akzeptiert, die gegenseitige Akzeptanz lässt nach", sagt der Leiter des Ordnungsamtes, Robert Kilp. (Foto: dpa)

Er wirkt ein wenig so, als seien die Karnevalisten in die Defensive geraten, und das in Köln. Vor zwei Wochen wollten Bischof und die "Ahr-Schwärmer" ihren Frühschoppen feiern in der Pferdeschänke im Stadtteil Nippes, schon um zwölf Uhr mittags stand das Ordnungsamt vor der Tür und sagte, so könne es nicht weitergehen, die Musik sei zu laut, Nachbarn hätten sich beschwert. "Dabei feiern wir doch nur an einem von 52 Wochenenden einen Frühschoppen", sagt Karnevalist Bischof. Früher hätte die Stadt das ausgehalten. Heute kommt das Ordnungsamt, dessen Männer ein wenig aussehen wie schwarze Sheriffs, mit Stiefeln und schwarzen Jacken.

Man werde immer öfter wegen Lärmbeschwerden gerufen, sagt auch der Leiter des Ordnungsamtes, Robert Kilp. "Der Karneval wird nicht mehr so flächendeckend akzeptiert, die gegenseitige Akzeptanz lässt nach", sagt Kilp. Er sagt, es tue ihm oft leid, wenn seine Leute zu einer Sitzung gerufen werden in einen der vielen Pfarrsäle in den Stadtteilen und dort für Ruhe sorgen müssen, obwohl so eine Veranstaltung doch nur zwei oder drei Mal im Jahr stattfinde. "Die Kölner haben sich verändert. Sie gehen zum Feiern gerne in die Altstadt. Zu Hause aber wollen sie ihre Ruhe haben."

Auch die Politik hat ihren Beitrag geleistet zum neuen Klima. Die Stadt Köln hat in den vergangenen Jahren eine Offensive gegen Lärm gestartet, die man eher Städten wie Stuttgart oder Hannover zugetraut hätte, eine Art "Unsere Stadt soll leiser werden". Es wirkt ein wenig bieder. Polizei und Ordnungsamt gehen nachts gemeinsam auf "Lärmstreife", während der WM verbot Köln die Vuvuzelas. Jetzt wurde der Karneval als Lärmquelle ausgemacht.

Lange galt in Köln: Diejenigen, die ihn nicht mögen, fahren während der Hochphase eine Woche weg oder trinken so viel, bis sie ihn mögen. Viel mehr konnte man nicht machen. Es galt als öffentliches Tabu, den Karneval zu kritisieren. Genauso gut hätte man den Abriss des Doms fordern können. Heute rufen viele nach Polizei und Ordnungsamt, sie fühlen sich als Spaßgeiseln des Karnevals.

Jecken eröffnen Karnevalssaison
:Am Elften im Elften

Punkt 11.11 Uhr hat in den rheinischen Karnevalshochburgen die fünfte Jahreszeit Einzug gehalten: Mit Alaaf- und Helau-Rufen starteten tausende Narren in Köln, Düsseldorf und Mainz in eine ungewöhnlich lange Karnevalssaison.

Der beginnt am 11.11. und spielt sich bis zum Beginn der Straßenumzüge und der Weiberfastnacht hauptsächlich in den kleinen Kneipen der "Veedels" ab, der "Keimzelle" des Karnevals, wie Ordnungsamtsleiter Kilp sie nennt. Dort singt man sich ein, die neuesten kölschen Lieder werden vorgestellt und eingeübt. Eine Institution ist die Reihe "Losse mer singe": eine kölsche Karnevals-Chart-Show, die monatelang durch die Kneipen zieht. Aber auch hier gab es bei den letzten zwölf Veranstaltungen drei Mal Ärger mit dem Ordnungsamt.

Bischof sieht mittlerweile den ganzen Karneval von einigen Mitbewohnern diskreditiert: "Die tun so, als gehe es nur um Alkohol und Saufen. Das stimmt aber gar nicht." Er hat deshalb mal die Verdienste des Karnevals aufgelistet: die Kinderarbeit, die vielen Spenden für gemeinnützige Vereine, die praktizierte Toleranz und Lebensfreude. Ordnungsamtsleiter Kilp ist selbst aktiver Karnevalist und sieht durch die vielen Beschwerden gegen den Lärm auch den Karneval als Institution bedroht. "Der Karneval hat seine Grundlage in den Pfarrsälen und Kneipen der Veedels. Dort definiert er sich immer wieder neu." Wenn das nicht mehr möglich sei, dann werde auch der Karneval nicht mehr so sein wie früher - und damit die ganze Stadt. Kilp bietet Kneipenbesitzern und den Karnevalsvereinen an, sie in Sachen Lärmschutz zu beraten, denn ihm ist es ja auch am liebsten, wenn seine Leute gar nicht ausrücken müssen. Er hofft auf mehr Toleranz.

Das mit der Toleranz ist aber nun auch in Köln so eine Sache: Nach der Lärmdiskussion droht im kommenden Jahr eine um den blauen Qualm. Bisher durfte im Karneval aus Gründen der Brauchtumspflege geraucht werden. Die neue Gesundheitsministerin Barbara Steffens sieht das anders: "Das Tragen einer Narrenkappe schützt leider kein bisschen vor den Gefahren durch Tabakrauch."

© SZ vom 08.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: