SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Wir haben darauf gepocht, dass die Harfe sitzen bleiben darf"

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Die Österreicherin Florentina Holzinger ist eine gefragte Theaterchoreografin und Performancekünstlerin. Ihre Produktion "Ophelia's Got Talent" an der Berliner Volksbühne wurde zur Theaterinszenierung des Jahres gewählt. (Foto: Elsa Okasaki)

75 Minuten Verspätung, ein Polizeieinsatz im ICE - und das alles wegen eines Instruments mit Sitzplatzreservierung. Im Interview erzählt die bekannte Choreografin Florentina Holzinger, warum das Instrument auf keinen Fall Platz machen durfte.

Interview von Ben Bukes

Ein Sonntag im August: Die Theaterchoreografin Florentina Holzinger ist nach einer Vorstellung in Hamburg auf dem Rückweg nach Berlin, als sie eine "Störung im Betriebsablauf" der besonderen Art erlebt. Der ICE hält unterwegs 45 Minuten lang außerplanmäßig in Uelzen - nicht etwa, um den Fahrgästen einen ausführlichen Blick auf den Hundertwasser-Bahnhof der Hansestadt zu ermöglichen. Sondern wegen einer elektronischen Harfe, die Holzinger und ihre etwa 15 Darstellerinnen dabeihaben. Das Instrument löst sogar einen Polizeieinsatz aus.

SZ: Frau Holzinger, ist Ihre Harfe schwarzgefahren, oder was war los?

Florentina Holzinger: Nein, wir hatten ein Ticket für die Harfe. Wir sind das ja gewohnt, weil wir relativ viel mit Musikinstrumenten touren. Im Flieger hat das Cello zum Beispiel auch seinen eigenen, bezahlten Platz.

Moment, Sie hatten ernsthaft ein Ticket für die Harfe?

Ja, wir haben ein ganz normales Personenticket für sie gekauft und einen Sitzplatz reserviert. Eine Harfe ist zu fragil, um sie auf die Kofferablage zu stellen. Sie muss personifiziert werden und neben der Harfen-Begleiterin sitzen. Ich als Veranstalterin von eigenen Shows weiß, wie es um die Versicherungslage solcher Konzertinstrumente steht, damit kann man einfach nicht rumscheißen.

Wenn die Harfe doch ordnungsgemäß ein Ticket hatte, wo war dann das Problem?

Der Zug war natürlich, typisch Deutsche Bahn an einem Sonntag, komplett überfüllt. Es saßen viele Leute auf dem Gang, deren Zug ausgefallen war. Aber unsere Harfe war im rechtmäßigen Zug auf ihrem reservierten Platz. Und wir wussten halt nicht, wo wir sie sonst hintun sollen, weil die Harfenistin nicht mit an Bord war und uns diese Harfe anvertraut hat. Deswegen haben wir darauf gepocht, dass die Harfe sitzen bleiben kann.

Der Schaffner war aber anderer Meinung?

Ja, der war einfach schon fertig mit den Nerven von vorneherein. Er hat gesagt, wir müssten jetzt alle aussteigen mitsamt der Harfe - was wir nicht so cool fanden. Ich will da gar nicht so angreifen, ich habe volles Verständnis für einen Deutsche-Bahn-Schaffner an einem Sonntag. Der war einfach fertig und wollte recht haben. Der Zug hat dann in Uelzen gehalten, und es sind um die zehn Polizisten zugestiegen mit der Aufgabe, uns aus dem Zug zu entfernen.

Eine Harfe ist doch ein sehr meditatives Instrument. Hätten Sie nicht schnell etwas spielen können, um zu deeskalieren?

Ja, das hätten wir wahrscheinlich machen sollen. Aber solche Einfälle kommen einem halt erst nachher. Es kam dann mit der Polizei eh recht schnell zur Schlichtung. Wir haben unsere eigenen Kinder auf den Schoß genommen und konnten dadurch sogar mehr Plätze frei machen. Die Harfe durfte auf ihrem Platz sitzen bleiben. Wir kamen dann mit 75 Minuten Verspätung in Berlin an.

Haben Sie das Gefühl, dass die Harfen-Feindlichkeit in unserer Gesellschaft wächst?

Nein, ich glaube, der Eklat hat eher positive Auswirkungen. Eine Harfe hatte selten eine solche Präsenz in den deutschen Medien und wurde noch nie so personifiziert. Insofern könnte man sagen: Das Zeitalter der Harfe ist angebrochen.

In der Performance "Ophelia's Got Talent" an der Berliner Volksbühne, die zur Theaterinszenierung des Jahres gewählt wurde und mit der Sie nun in Hamburg zu Gast waren, sieht man nackte Frauen in einem Schwimmbecken, Akrobatik, es geht auch um sexualisierte Gewalt. Welche Rolle spielt die zarte Harfe?

Wasser und Harfenklang sind themenverwandt, in vielen Wasser-Revuen, aber auch in klassischen Kompositionen zu aquatischen Themen kommt die Harfe vor. Lange stand in unserem Ideenboard, die Harfe ins Wasser zu schmeißen, weil das der Albtraum eines klassischen Instruments ist. Am Ende haben wir aber keinen Weg gefunden, sie gut genug zu isolieren. Deswegen steht sie neben dem Pool und wird gespielt.

Performance
:Nixensabbat

Florentina Holzinger bringt mit ihrer Saisoneröffnung "Ophelia's Got Talent" die Berliner Volksbühne auf Kurs.

Von Dorion Weickmann

Ihre Performances werden oft als "verstörend" beschrieben. Zeigt Ihre Zugerfahrung, dass die Realität viel verstörender ist als jeder Theaterabend?

Definitiv! Die Realität ist wesentlich verstörender, aber auch abstruser, grotesker. Es ist sowieso sehr lustig: Bei uns auf der Bühne hängen sich die Leute an der Haut auf - und dann reden alle über die Harfe.

In einer Szene Ihrer aktuellen Produktion hängen nackte Frauen an einem Hubschrauber. Wird das beim nächsten Mal ein ICE sein?

Wenn die Deutsche Bahn an mich herantreten würde, wäre ich schon offen für ein Gespräch. Da müssten noch allgemeine Parameter geklärt werden, aber an sich hätten wir überhaupt nichts dagegen, wenn uns so eine Zuggarnitur zur Verfügung gestellt würde. Für Zugsurfing, wie auf den New Yorker U-Bahnen, könnte ich meine Performerinnen auf jeden Fall begeistern.

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