Getötete Kinder in Solingen:Sie konnte nicht mehr

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Nach dem Tod der fünf Kinder hatten Freunde und Nachbarn vor dem Haus, in dem die Familie lebte, Teddybären, Kerzen und Blumen zum Gedenken aufgestellt. (Foto: Roberto Pfeil/picture alliance/dpa)

Hat Christiane K. fünf ihrer sechs Kinder ermordet? Alle Indizien sprechen zu Beginn des Strafprozesses am Montag dafür. Und doch nennt ihr Anwalt sie eine "liebende Mutter".

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Der erste Mensch, dem Christiane K. das Unfassbare offenbart, ist ihre eigene Mutter - die Oma der fünf getöteten Kinder. Mit ihr chattet Christiane K. über Whatsapp, während sie am Mittag des 3. September 2020 in der S-Bahn von Solingen nach Düsseldorf fährt. Bei ihr sitzt der elfjährige Thomas (Name geändert), ihr ältester Sohn.

Christiane K. schreibt der Großmutter, dass es ihr schlecht gehe. "Ich kann nicht mehr", tippt sie ins Handy. Ihre Nachrichten klingen verzweifelt, auf Nachfragen geht sie zunächst kaum ein. Erst als die besorgte Großmutter droht, sie werde jetzt die Polizei einschalten, reagiert K. plötzlich: "Schick die Polizei in die Wohnung", schreibt sie. "Die Kinder sind tot."

Die Kinder lagen zugedeckt in ihren Betten

Die Polizei kam dann sehr schnell. Und doch zu spät: Um zehn Minuten vor zwei Uhr brachen Beamte die Wohnungstür zu der Vier-Zimmer-Wohnung im siebenstöckigen Hochhaus im Solinger Stadtteil Hasseldelle auf. In den Kinderbetten finden sie drei Mädchen und zwei Jungen, sorgsam zugedeckt, regungslos, seit Stunden tot. "Sie sahen aus, als würden sie schlafen", berichtet später ein Polizist. 20 Minuten später kommt eine Meldung aus Düsseldorf: Christiane K. hat sich im Hauptbahnhof vor eine S-Bahn geworfen. Sie wird schwer verletzt - aber gerettet.

An diesem Montag beginnt vor dem Wuppertaler Landgericht der Prozess gegen Christiane K. Die Staatsanwaltschaft wirft der damals 27-jährigen Mutter fünffachen Kindesmord vor. K. habe, so die Anklage, ihre Kinder töten und anschließend sich selbst das Leben nehmen wollen, nachdem sie sich am Morgen des 3. September in einem Chat mit ihrem Ehemann gestritten hatte: Der Vater von vier ihrer sechs Kinder, der seit Wochen mit einer anderen Frau zusammenlebte, hatte sich erneut geweigert, zu ihr zurückzukehren.

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Die Ermittler glauben zu wissen, wie die Mutter vorgegangen ist. Zunächst soll K. ihren Kindern "einen Medikamentencocktail" in die Frühstücksgetränke gemischt haben, um sie auf diese Weise schläfrig und wehrlos zu machen. Anschließend habe K. Badewasser eingelassen, Spielzeug in die Wanne geworfen und noch den kleinen Elektroheizer aufgestellt und eingeschaltet. Dann, so die Anklage, habe K. nacheinander die fünf Kinder einzeln ins Badezimmer gebracht: erst die Jüngste, die 19 Monate alte Melina, dann Leonie, 2, und Sophie, 3, schließlich die Brüder Timo, 6, und Luca, 8. Rechtsmediziner konnten nicht bei allen fünf Opfern klären, ob sie erstickt oder ertränkt wurden. Aber sie fanden Spuren, dass einige Kinder sich gewehrt haben.

Überlebt hat nur Thomas. Der Elfjährige war zur Tatzeit in der Schule. Kurz nach Mittag traf K. ihren Erstgeborenen in der Solinger Innenstadt. Ihm erzählte sie, dass seine fünf Geschwister bei einem Autounfall gestorben seien, gesteht aber keinen Mord. In Düsseldorf, kurz vor ihrem Suizidversuch, setzte K. den Jungen in eine S-Bahn nach Mönchengladbach, wo er gegen 14.35 Uhr bei der Großmutter ankam.

Bis heute hat Christiane K. kein Geständnis abgelegt. Stattdessen, so berichtete das Magazin Stern, habe die Mutter einer Gefängnispsychologin gesagt, ein fremder Mann mit OP-Maske sei in die Wohnung eingedrungen und habe die Kinder getötet. Die Ermittler fanden für diese Darstellung keinerlei Indizien. Ob K. im Prozess diese Version wiederholen wird, ob sie überhaupt aussagen oder gar ein Geständnis ablegen wird, das lässt ihr Anwalt Felix Menke offen. Der Verteidiger bestätigte der SZ nur, dass seine Mandantin "total betroffen" sei - "von dem Tod ihrer fünf Kinder und von dem Verfahren".

Keine Indizien für Kindeswohlgefährdung

Rechtsanwalt Menke hat stundenlang mit seiner Mandantin geredet. Er schildert Christiane K. als "zurückhaltend", als "sehr höflich" - und als "eine liebende Mutter". K. habe sich meist alleinerziehend jahrelang "sehr gut um ihre Kinder gekümmert". Auch die Solinger Behörden bestätigten, es habe nie Indizien für Kindeswohlgefährdung bei der Familie K. gegeben. Familienhilfe, Kita-Plätze, Beistand im Haushalt lehnte K. strikt ab.

Die versiegelte Wohnung der Familie K. in Solingen-Hasseldelle. In dem Hochhausviertel ist jeder dritte Haushalt von Sozialleistungen abhängig. (Foto: Marcel Kusch/picture alliance/dpa)

Christiane K. war wohl eine Einzelkämpferin. Eine, die sich hart machte - und die alle Härten wegzustecken versuchte. In ihrem Hochhausviertel, wo jeder dritte Haushalt von Sozialleistungen lebt, mied sie den Kontakt zu anderen Müttern. Manchmal steckten ihre Nachbarinnen ihr ein paar gebrauchte Kinderklamotten zu.

Sie war allein, lange bevor im Sommer 2020 ihre Ehe nach sieben Jahren zerbrach. Als Zwölfjährige, so erfuhr der Stern, wurde Christiane K. sexuell missbraucht. Mit 15 war sie das erste Mal schwanger. Die Väter ihrer ersten beiden Kinder ließen die junge Frau schnell allein zurück. Ihre eigenen Eltern trennten sich, ihr Vater wurde 2013 wegen des Besitzes Tausender Dateien mit Darstellungen brutalster sexueller Gewalt gegen Kinder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ob er sich an seiner Tochter vergangen hat, wird noch untersucht.

Christiane K., so sagte es ein Ermittler am Tag nach der Tötung, habe am 3. September 2020 "in einem Zustand emotionaler Überforderung" gehandelt. Sie selbst hat nur gesagt: "Ich kann nicht mehr."

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