Ja, es gab damals noch andere Indizien, die Benjamin Herbert Boyle im Oktober 1985 belastet hatten: etwa jene Rolle Klebeband, die texanische Polizisten im Lkw des damals 42 Jahre alten Truckers gefunden hatten und die genau jenem Duct Tape entsprach, mit dem Arme und Beine der Leiche von Gail Lenore Smith, Boyles mutmaßlichem Opfer, gefesselt waren. Doch Boyle bestritt die Tat, weshalb die Spezialisten vom FBI in Washington dem Staatsanwalt aushelfen mussten.
Michael Malone, damals forensischer Experte im Kriminallabor der Bundespolizei, untersuchte Hautpartikel und (wichtiger noch) ein paar Haare, die man auf der Toten gefunden hatte. Malone war sich sicher, dass diese rötlichen Haare vom Verdächtigen stammten - weshalb Boyle zum Tode verurteilt und zwölf Jahre später, exakt am 21. April 1997, per Giftspritze hingerichtet wurde.
Was damals in Texas niemand mitbekam: Sechs Tage vor Boyles Exekution hatten Experten in Amerikas Hauptstadt öffentlich erklärt, laut ihrer internen Untersuchung habe der FBI-Forensiker Malone wiederholt geirrt und fatale, weil falsche Gutachten abgeliefert. Schlimmer noch, bereits 16 Monate vor Boyles Hinrichtung hatte hinter den Mauern der mächtigen US-Bundespolizei eine Arbeitsgruppe damit begonnen, die offenbar mangelnde Qualität der rechtsmedizinischen Ermittlungen in FBI-Labors zu überprüfen. Nur, davon erfuhren weder die vermeintlich überführten Täter noch ihre Anwälte etwas.
Betroffene kämpfen um Gerechtigkeit
Das FBI schwieg sogar, nachdem die neun Jahre währende Untersuchung 2004 alle Mängel offenbart und massive Zweifel an Haut- und Haar-Analysen genährt hatte. Erst jetzt, nochmals acht Jahre später, wird bekannt: Informiert wurden nur die Staatsanwälte - und die hielten es in weniger als der Hälfte von 250 Fällen mit fragwürdigen FBI-Gutachten für nötig, die potentiellen Opfer eines Justizirrtums zu informieren.
Publik gemacht hat den Skandal jetzt die Washington Post. 6000 Fälle ließ das US-Justizministerium intern zwischen 1996 und 2004 neu aufrollen. Das Ergebnis der FBI-Fehleranalysen blieb aber Verschlusssache, mehrere Betroffene erfuhren erst jetzt vom Reporter über die Skrupel im Archiv des Apparats. Derweil kämpfen andere bereits um Gerechtigkeit - um einen nachträglichen Freispruch, nach mehr als 20 Jahren verbüßter Haft.
Angebliches Indiz des FBI war Hundehaar
Kirk L. Odom zum Beispiel, der als angeblicher Raubmörder Anfang der achtziger Jahre verurteilt wurde und noch heute nur auf Bewährung frei ist. Dem Afroamerikaner aus dem armen Südosten Washingtons wurde seinerzeit zum Verhängnis, dass ein FBI-Forensiker ein beim Opfer gefundenes Haar nach mikroskopischer Untersuchung für Odoms Haar hielt. Neue Haaranalysen von zwei unabhängigen Labors sowie präzise DNA-Analysen haben Odom mittlerweile zweifelsfrei entlastet.
Ein ähnliches Schicksal erlitt Santae Tribble. Die Chance, dass der damals 17-jährige Schwarze nicht der gemeine Mörder eines Taxifahrer sei, liege bei eins zu einer Million, hatte seinerzeit der Staatsanwalt schwadroniert. Freunde beteuerten, Tribble sei zur Tatzeit mit ihnen zusammen gewesen. Aber der Ankläger baute fest auf ein forensisches Gutachten des FBI, das inzwischen diskreditiert ist: Neue Untersuchungen einer Strumpfmaske des mutmaßlichen Mörders ergaben, dass keines der gefundenen 13 Haare von Tribble stammte - und ein Indiz des FBI in Wahrheit ein Hundehaar war.