Italien:Drei Festnahmen nach Seilbahnunglück am Lago Maggiore

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Nach der Corona-Pause hakten bei der Gondel immer wieder die Notbremsen, also schalteten die Betreiber sie kurzerhand ab, wie sie nun gestanden haben. Das Motiv offenbar: Profitgier.

Von Oliver Meiler, Rom

Der tödliche Seilbahnunfall am Lago Maggiore ist mutmaßlich die Folge einer unfassbaren Straftat, begangen aus Sorge um wirtschaftlichen Profit.

In der Nacht auf Mittwoch, nach stundenlangen Verhören, sind drei Verantwortliche der Betreibergesellschaft verhaftet worden, weil sie das Notbremssystem der Gondel wissentlich deaktiviert hatten. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft von Verbania wirft ihnen Totschlag in 14 Fällen sowie schwere Körperverletzung im Fall eines fünfjährigen Jungen vor. Sie sollen gestanden haben.

Seilbahnunglück am Lago Maggiore
:Rettungsarbeiten in unwegsamem Gelände

In Italien sind bei einem Seilbahnunglück 13 Menschen getötet worden. Das Unglück ereignete sich in einer bei Touristen beliebten Region am Lago Maggiore.

Auf die These mit der manipulierten Bremse kamen die Ermittler schon früh, kurz nach dem Unfall, als sie die Reste der zerschellten Gondel untersuchten und dabei an einer der Bremsen eine Klemmgabel fanden, "forchettone", sagen die Italiener zu dem Metallstück. Die Zange deaktiviert die Notbremse. Zunächst dachte man, dass sie vielleicht aus Versehen da festgemacht war, ein fahrlässiger Fehler.

Doch nun stellte sich heraus, dass die Gondel schon seit dem 26. April Probleme bereitete, also seit der Wiedereröffnung nach langer, pandemiebedingter Pause. Sie blieb immer wieder stehen, ohne dass man der Sache auf den Grund gekommen wäre.

Das Video vom Unglück: 14 Sekunden Horror

Die Saison hatte eben erst begonnen, endlich gab es wieder Kundschaft. Und so beschloss man, die Notbremse mit der Klemmgabel zu deaktivieren, damit die Gondel sich nicht mehr ständig blockierte. Man dachte sich wohl: Das Zugseil wird schon nicht reißen, passiert eh fast nie; und solange das Zugseil hält, braucht es auch die Notbremse nicht.

Am Sonntag, kurz nach zwölf Uhr, riss das Zugseil. Warum, das weiß man nicht. Die Gondel hatte ihre Fahrt schon verlangsamt, es waren nur noch drei, höchstens fünf Meter bis zur Endstation am Mottarone. In einem solchen Fall müsste dann der Bremsmechanismus am Tragseil greifen und die Kabine ruckartig stoppen. Aber er war ja außer Kraft gesetzt. Stattdessen rollte die Gondel mit den 15 Passagieren ungebremst in die Tiefe, mit jedem Meter etwas schneller, bis sie etwa 100 Kilometer pro Stunde erreichte und auf den nächsten Pfeiler prallte. Der wirkte wie ein Trampolin, die Gondel hob ab und stürzte dann mit ganzer Wucht in die Tiefe. Eine Videokamera auf dem Dach der Endstation hat das Unglück gefilmt: 14 Sekunden Horror.

Olimpia Bossi, die ermittelnde Staatsanwältin, berief nach dem Fund der Klemmgabel Mitarbeiter der "Ferrovie del Mottarone" ein - so heißt die Seilbahngesellschaft, weil früher eine Zahnradbahn auf den Berg führte. Und die erzählten von den Problemen mit der Gondel. Sie hätte gar nicht fahren dürfen, die ganze Anlage hätte geschlossen werden müssen - "für einen radikalen Eingriff", wie Bossi es nannte. "Und das hätte eine längere, wenn nicht sehr lange Schließung bedeutet." Mit den absehbaren wirtschaftlichen Einbußen. Die habe die Gesellschaft nicht in Kauf nehmen wollen.

Die Festgenommenen sind der Chef, ein Manager, ein Ingenieur

Die Staatsanwältin bestellte auch den Chef der Gesellschaft ein, Luigi Nerini, 57 Jahre alt, ein bekannter Unternehmer in der Gegend, wie die Zeitung La Repubblica berichtet. Die Familie Nerini unterhielt früher einen Busdienst, der die Dörfer rund um den Lago Maggiore bediente, und eine Reiseagentur. Die Seilbahn aber wurde zum wichtigsten Geschäftszweig. Bevor Nerini verhaftet wurde, erzählte er im Dorf, es sei für ihn, als wären "meine eigenen Verwandten, meine eigenen Kinder bei dem Unfall ums Leben gekommen". Er sagte auch, er fühle sich schon vorverurteilt von den Medien. Neben ihm wurden zwei weitere Mitarbeiter des Unternehmens verhaftet: ein Manager und ein Ingenieur, der auch für die Südtiroler Wartungsgesellschaft Leitner arbeitet. Ihnen allen drohen nun lange Haftstrafen.

Die italienischen Medien mutmaßen, dass bald noch andere Personen angeklagt werden könnten. Die Frage ist, ob nicht auch die Besitzer der Bahn belangt werden könnten. Aber: Wem gehört die Bahn?

Aus dem Koma erwacht

Seit ein paar Tagen liefern sich die piemontesischen Regierungsverwaltung und die Gemeinde Stresa, wo die Seilbahn ihre Talstation hat, in dieser Frage ein unschönes Gezänk. Keine Behörde will Besitzerin der Anlage sein, beide schieben die Verantwortung ab. Offenbar gehört die Seilbahn seit 1997 der Gemeinde Stresa, doch da die Verantwortlichen in all den Jahren die nötigen Dokumente nicht nach Turin geschickt haben, ist die Überschreibung nie ganz vollendet worden. Man ging auch schon vor Gericht gegeneinander vor.

Unterdessen ist der fünfjährige Junge, der die Katastrophe als Einziger überlebt hat, in einem Turiner Krankenhaus aus dem künstlichen Koma aufgewacht. An seinem Bett saß eine Tante, er sollte in ein bekanntes Gesicht schauen können. Eine Psychologin war auch dabei. Der Junge hat seine Eltern, seinen kleinen Bruder und seine Urgroßeltern verloren. Seine Schulkameraden aus Pavia haben ihm eine Stoffdecke geschickt, voller farbiger Handabdrücke. "Forza", steht darauf, "wir haben dich lieb und warten auf dich."

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