Seilbahnunglück in Italien:Fall in die Tiefe

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Bis zu 30 Meter ist die Gondel in die Tiefe gestürzt. (Foto: Handout/Getty Images)

Sieben Monate waren die Seilbahnen in Italien wegen der Pandemie geschlossen, an Pfingsten liefen sie wieder. Bis am Sonntag am Lago Maggiore eine Gondel abstürzte. Jetzt sind 14 Menschen tot und in die Trauer mischt sich die Frage: Wie konnte das passieren?

Von Oliver Meiler

Ein metallischer Knall. Ein lautes, zischendes Pfeifen. Und dann, etwas später, noch ein Knall - dumpfer, trockener als der erste. Viele Wanderer am Monte Mottarone haben den Seilbahnunfall hoch über dem Lago Maggiore und den Borromäischen Inseln nur gehört, eine Sequenz unheilvoller Geräusche zerriss die Idylle an diesem Sonntagmittag, um 12.30 Uhr. Auch die Zeugnisse dieser Wanderer gehören nun zu den Akten der Staatsanwaltschaft in Verbania. Sie muss den rätselhaften und tragischen Fall mit 14 Todesopfern und einem schwer verletzten Kind untersuchen. Vorerst ohne Angeklagte.

Wie konnte es nur passieren, dass das Förderseil riss? Und warum griffen dann die Bremsklemmen am Tragseil nicht?

Italien hat an Pfingsten seine Seilbahnen wieder geöffnet, nachdem sie sieben Monate geschlossen waren. Es gibt viele, aufs ganze bergige Land verteilt. Eine bekannte führt von Stresa, einer Gemeinde am piemontesischen Westufer des Lago Maggiore, hinauf auf den Mottarone, der auf 1492 Metern über dem Meeresspiegel gipfelt. Früher führte eine Zahnradbahn hinauf. Dann bauten sie eine Seilbahn, 1970 wurde sie eingeweiht.

Sie besteht aus zwei Teilstücken, in der Zwischenstation Alpino wechseln die Passagiere die Gondel. Dann geht es weiter bis fast ganz hinauf auf den Berg, von dem man einen wunderbaren Panoramablick über viele Seen, Berge und Täler in der Umgebung hat, die Schweiz ist nicht weit. Im Sommer kommen Wanderer, im Winter Skifahrer. Die Bahn gehört dem Staat, betrieben wird sie von Privaten. Sie wirbt mit dem Slogan: "In zwanzig Minuten vom See auf den Berg." 20 Euro für Erwachsene, rauf und runter, 12 Euro für Kinder.

Am Samstag gab es ein technisches Problem

Am ersten Tag der Wiedereröffnung, am Samstag also, war das Wetter nicht gut. Auf dem Berg war es kalt und neblig. Ein Informatiker aus der Gegend, der mit seiner Verlobten oben war, erzählt nun, sie hätten nach kurzer Zeit beschlossen, wieder umzukehren, so unwirtlich sei es gewesen. Doch da gab es ein technisches Problem mit der Bahn, die Fahrt verzögerte sich, die Anlage stand lange still. Am Ende fuhren sie dann doch mit der Gondel zurück, mit dabei: die Techniker, die die Panne behoben hatten.

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Am Sonntag ist das Wetter dann fantastisch, der eigentliche Auftakt zur Saison. Die Gondel fasst normalerweise 40 Passagiere, doch pandemiebedingt ist nur die Hälfte zugelassen. Für die Fahrt um 12.10 Uhr steigen 15 Personen ein. Zwei Paare aus dem norditalienischen Varese, eines mit Kind, ein junges Paar aus Kalabrien. Ein weiteres Paar kommt aus der Nähe von Piacenza. Dabei ist auch eine israelische Familie, junge Eltern und zwei Kinder, 2 und 5 Jahre alt, die seit drei Jahren in Pavia leben, wo der Vater Medizin studiert. Sie sind eben erst von einem Urlaub aus Israel zurückgekehrt, wo Krieg herrschte. Auch die Großeltern der Mutter sind angereist - ein Familienausflug.

Kurz vor Ankunft der Gondel in der Endstation, in der Phase also, da sie ihre Fahrt verlangsamt: der erste, metallische Knall. Die Kabine rollt plötzlich zurück, ungebremst und zusehends schneller, beschleunigt durch die Gravitationskraft, 200 oder 300 Meter bergab, bis zum nächsten Pfeiler, den sie eben erst passiert hat. Beim Aufprall wird die Gondel in die Luft katapultiert und stürzt dann in die Tiefe, zwanzig, vielleicht dreißig Meter, zerschellt am Boden und rutscht noch einige Meter den Hang hinunter, bis ein Baum sie stoppt. Als die Helfer kommen, sind nur zwei Kinder noch am Leben. Eines wird wenig später in einem Krankenhaus in Turin sterben. Der fünfjährige Sohn des israelischen Paars überlebt, mit Verletzungen und schwer traumatisiert, aber bei Bewusstsein.

Marode Infrastrukturen

Die italienischen Zeitungen zeigen Bilder von allen Opfern, wie sie das immer tun: Es sind Fotos aus glücklichen Tagen, die sie aus den sozialen Medien geholt haben. In die Trauer um die Menschen mischt sich bereits das übliche Klagen über das eigene, nationale Unvermögen, obschon die Unfallursachen noch völlig unklar sind. La Stampa aus Turin schreibt, Italiens zerfallende Infrastrukturen seien ein "Roulette", diesmal sei die schwarze Kugel an einem besonders zauberhaften Ort stehengeblieben. "Nach den Brücken, den Zügen, den Tunnels - jetzt sind wir bei der Tragödie der panoramischen Seilbahn angelangt." Der Mailänder Corriere della Sera titelt seinen Kommentar so: "Redet jetzt nur nicht von Schicksal."

Warum also riss das Förderseil? Und was war mit den Bremsen am Tragseil: Warum blockierten sie die Gondel nicht? Die Seilbahn war über die Jahre hinweg immer gewartet und überholt worden. Von 2014 bis 2016 investierten die piemontesische Regionsverwaltung und die Gemeinde Stresa 4,4 Millionen Euro für eine Generalinspektion. Den Auftrag für die Kontrollen hat die renommierte Firma Leitner aus Südtirol, und die lässt nun ausrichten, sie habe die Seile erst im vergangenen November magnetoskopisch geprüft und keine Probleme entdeckt. Regelrecht geröntgt werden diese Stahlstränge jeweils, um Abnützungen im Innern möglichst früh zu erkennen.

Übersah man da etwas? Ist die Anlage womöglich zu alt? Stand sie vielleicht in der Pandemie zu lange still? Die Staatsanwaltschaft hat alle Wartungsbücher beschlagnahmt, um diese Fragen zu klären. Die Bahn jedenfalls wird lange geschlossen bleiben.

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