Mannheim:„Ich will wieder frei atmen“: Finanzaffäre vor Gericht

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Mannheim (dpa/lsw) - Es ist der juristische Schlussakt eines Millionenskandals in Pforzheim, der weit über die "Goldstadt" hinausgeht. Mit modernen Methoden wollen Wirtschaftsprofis die Kommune am Nordrand des Schwarzwalds sanieren. Doch am Ende reißt ein Strudel aus riskanten Geschäften alle in die Tiefe. Zehn Jahre später sitzen fünf Angeklagte im Landgericht Mannheim. Es geht um eine Finanzsaga, die sich Laien vielleicht in der Fantasiewelt von Hollywood, aber kaum im wirklichen Leben vorstellen würden.

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Mannheim (dpa/lsw) - Es ist der juristische Schlussakt eines Millionenskandals in Pforzheim, der weit über die „Goldstadt“ hinausgeht. Mit modernen Methoden wollen Wirtschaftsprofis die Kommune am Nordrand des Schwarzwalds sanieren. Doch am Ende reißt ein Strudel aus riskanten Geschäften alle in die Tiefe. Zehn Jahre später sitzen fünf Angeklagte im Landgericht Mannheim. Es geht um eine Finanzsaga, die sich Laien vielleicht in der Fantasiewelt von Hollywood, aber kaum im wirklichen Leben vorstellen würden.

Interessiert folgt der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Anwalt Wolfgang Kubicki in dem holzvertäfelten Raum den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Der prominente Politiker hat die Verteidigung der einstigen Pforzheimer FDP-Oberbürgermeisterin Christel Augenstein übernommen. Die Anschuldigungen hält er für absurd. „Wenn die Anklage recht hätte, wären solche Geschäfte per se unmöglich“, sagt er mit markanter Stimme. Über dem weißen Hemd trägt Kubicki eine weit geschnittene schwarze Robe. Bei den Schilderungen der Anklage stützt er seinen Kopf mal auf die linke, mal auf die rechte Hand.

Es sind harte Vorwürfe. Untreue und Beihilfe zur Untreue wirft die Staatsanwaltschaft den drei Männern und zwei Frauen vor. Durch Manipulationen und massive Täuschung sei Pforzheim großer Schaden entstanden. An diesem Tag klingen die Schilderungen vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer wie eine verzwickte Geschichte zwischen Unerfahrenheit und Überschätzung. Zur Entwirrung hat Richter Andreas Lindenthal fast 30 Termine bis Januar 2018 angesetzt. Kubicki will oft anreisen, die Robe in einem Rollkoffer aus Metall.

Wer die Geschichte besser verstehen will, muss Jahrzehnte zurückgehen. Lange trug Pforzheim mit Stolz den Beinamen „Schmuck- und Goldstadt“. Doch seit Schmuck billiger in Asien produziert wird, kämpft die achtgrößte Stadt Baden-Württembergs mit Strukturproblemen. Vom einstigen Glanz der Residenz- und der späteren wohlhabenden Industriestadt sei nicht viel geblieben, sagen auch Bewohner.

Um das Jahr 2002 herum fehlen im Haushalt der Stadt mit rund 120 000 Einwohnern etwa 30 Millionen Euro. Um das Defizit zu beseitigen, greift die neue Stadtkämmerin zum Mittel einer Tauschvereinbarung (Swap) zur Zinssicherung. Die Diplom-Wirtschaftsmathematikerin steht damit nicht allein: Auch andere Kommunen und Unternehmen schließen bei Banken Wetten ab auf die unterschiedliche Entwicklung von kurzfristigen und langfristigen Zinsen. Der Schritt gilt als modernes Schuldenmanagement und kalkulierbares Risiko.

Doch die Märkte verändern sich in den Folgejahren dramatisch. Mit fragwürdigen Mitteln, die Gegenstand des Verfahrens vor dem Gericht in Mannheim sind, versuchen die damalige Oberbürgermeisterin und die frühere Kämmerin sowie ihr Stellvertreter und zwei Bankmitarbeiter, das Ruder herumzureißen. Dieser Versuch und schließlich die Auflösung der riskanten Anlagen im August 2010 bringen der Stadt ein Defizit von rund 58 Millionen Euro ein. Inzwischen ist ein Großteil davon nach Vergleichen mit beteiligten Banken wieder in der Kasse.

„Kein Kaufmann kann behaupten, dass er nie Schäden verursacht hat“, meint Anwalt Eddo Compart, der die frühere Kämmerin verteidigt. Seine Mandantin habe der Stadt zu keiner Zeit schaden wollen.

Ex-Oberbürgermeisterin Augenstein, in einer hüftlangen weißen Jacke mit schwarzen Punkten, steht später kurz im Foyer. „Wie würden Sie sich fühlen?“, antwortet die 68-Jährige zunächst auf Fragen nach ihrem Gemütszustand. Dann ergänzt die Diplom-Finanzwirtin: „Ich will, dass es zum Abschluss kommt, damit ich wieder frei atmen kann.“ An diesem Donnerstag soll der Prozess weitergehen.

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