Hamburg:Prozess gegen KZ-Wachmann: Hätte er sich weigern können?

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Im Hamburger Stutthof-Prozess hat die Vorsitzende Richterin den angeklagten früheren KZ-Wachmann am Montag mit energischen Fragen unter Druck gesetzt. Mehrfach...

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Hamburg (dpa/lno) - Im Hamburger Stutthof-Prozess hat die Vorsitzende Richterin den angeklagten früheren KZ-Wachmann am Montag mit energischen Fragen unter Druck gesetzt. Mehrfach wollte Richterin Anne Maier-Göring von dem 93-Jährigen wissen, warum er sich dem Dienst in dem Lager bei Danzig 1944/45 nicht entzogen habe. „Ich konnte mich den Befehlen, die dort gegeben wurden, nicht entziehen, ohne mich in Lebensgefahr zu bringen“, antwortete der Angeklagte. Die Gefangenen, besonders die Juden, hätten ihm leidgetan, beteuerte er. Aber er habe ihnen nicht helfen können.

Die Richterin ließ das nicht gelten. Es seien damals Millionen unschuldige Menschen umgebracht worden, nach Gutachten von Historikern aber kein einziger SS-Mann, weil er sich einem verbrecherischen Befehl widersetzte. „Ich sehe keine Schuld bei mir, ich habe niemandem ein Leid angetan“, bekräftigte der Angeklagte.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 93-Jährigen Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vor. Als SS-Wachmann soll er zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. Der Prozess findet vor einer Jugendkammer statt, weil der Beschuldigte zur Tatzeit erst 17 bis 18 Jahre alt war.

Meier-Göring konfrontierte den Angeklagten mit Angaben aus den Büchern des KZs. Demnach seien in der Zeit, als er dort Wachdienst verrichtete, rund 50 000 Menschen in das Lager gebracht worden. Ob er das bemerkt habe? Nein, daran könne er sich nicht erinnern, antwortete der 93-Jährige. Er habe auch nicht gesehen, dass die in Zügen gebrachten Gefangenen vor dem Lager im Schlamm standen oder lagen. „Entweder lügen Sie uns an (...) oder Sie haben die Bilder verdrängt oder es sind andere Dinge passiert, die Sie uns nicht sagen wollen“, bemerkte die Richterin.

Sie hielt ihm vor, er habe mit einem Gewehr auf dem Wachturm gestanden und verhindert, dass die Menschen, die umgebracht werden sollten, fliehen konnten. Dennoch sage er, er habe nichts getan. Meier-Göring verdeutlichte ihren Punkt mit einem fiktiven Beispiel: „Stellen Sie sich vor, einer hier im Saal steht auf, hat ein Gewehr in der Hand, das er (...) hereingeschmuggelt hat, und will uns alle umbringen. Und ich sage den Wachmeistern, sie sollen Türen abschließen, dass der, der das Gewehr mitgebracht hat, uns alle umbringen kann.“ Wer habe dann Schuld an dem Blutbad? Sie selbst, weil sie den Befehl zum Schließen der Türen gegeben habe oder auch die Wachtmeister, die die Anordnung ausgeführt hätten?

Der Angeklagte erwiderte: „Ich glaube nicht, dass jemand die Tür abgeschlossen hätte. Ich glaube auch nicht, dass Sie so einen Befehl gegeben hätten.“ Die Richterin erklärte dem 93-Jährigen, dass man sich auch damals nicht an verbrecherischen Befehlen hätte beteiligen dürfen. Wenn ihm ein verbrecherischer Befehl wie „Du musst den jetzt erschießen!“ erteilt worden wäre, hätte er das auf keinen Fall gemacht, versicherte der 93-Jährige. „Das hätte ich verweigert.“

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