Hamburg:Ehemaliger SS-Wachmann und KZ-Überlebender umarmen sich

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Im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof haben sich ein Zeuge aus den USA und der 93 Jahre alte Angeklagten umarmt. Nach seiner...

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Hamburg (dpa/lno) - Im Hamburger Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann im KZ Stutthof haben sich ein Zeuge aus den USA und der 93 Jahre alte Angeklagten umarmt. Nach seiner Aussage als Zeuge und Nebenkläger ging der 76-jährige Moshe Peter Loth am Dienstag auf den in einem Rollstuhl sitzenden Angeklagten zu. An die Zuschauer gewandt sagte er: „Passen Sie alle auf! Ich werde ihm vergeben.“ Dann umarmten sich die beiden Männer fest. Nach der Verhandlung sagte Loth, beide hätten geweint.

Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Als SS-Wachmann soll er zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 „die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt“ haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern, heißt es in der Anklage.

Der in Florida lebende Zeuge hatte in seiner Aussage berichtet, dass seine jüdische Mutter am 1. März 1943 festgenommen worden sei, als sie mit ihm im dritten Monat schwanger war. Sie habe ihn in Gefangenschaft zur Welt gebracht. 1944 seien beide ins KZ Stutthof bei Danzig gebracht worden. Bei Kriegsende habe man ihn von seiner Mutter getrennt. Nach seiner Kindheit und Jugendzeit in Polen sei er über Deutschland in die USA gekommen.

Sein Großvater sei ein Nazi gewesen, sein Onkel ein SS-Offizier, der selbst in Stutthof Dienst geleistet habe, sagte Loth. Der Großvater habe seine jüdische Frau von der Gestapo umbringen lassen und seine jüdische Tochter ins Lager gebracht. Nach der Trennung von seiner Mutter habe eine Polin sich um ihn gekümmert, sagte Loth. Die Russen hätten ihn nach dem Krieg in ein Waisenhaus gesteckt. „Da kamen die Soldaten nachts, haben die Kinder missbraucht und vergewaltigt.“

In seinen Papieren habe gestanden, er sei Deutscher. „Dafür wurde ich bestraft, nach dem Krieg.“ Nach jahrelanger Suche habe die polnische Frau, die sich um ihn gekümmert habe, den Kontakt zu seiner inzwischen in Deutschland lebenden Mutter herstellen können. Sie sei mit einem schwarzen amerikanischen Soldaten verheiratet gewesen und habe ihm nach Polen geschrieben. Weil der Brief von einem US-Militärstützpunkt kam, hätten ihn die Russen für einen Spion gehalten. Sie hätten ihm, damals 15 Jahre alt, Zähne ausgeschlagen und die Hände gebrochen.

Auf Druck der deutschen Regierung sei er jedoch freigekommen und habe zur Familie seiner Mutter ausreisen dürfen. Nur ein Jahr später sei sein Stiefvater zurück in die USA versetzt worden. Die Familie habe in Georgia gelebt. Als Kind aus einer schwarzen Familie habe er in dem Südstaat 1959 nicht auf eine weiße Schule gehen dürfen.

Aber auch die schwarzen Schulen hätten ihn abgelehnt, wegen seiner weißen Hautfarbe. Sein Stiefvater habe angefangen, ihn und seine Halbgeschwister zu missbrauchen. Da sei er weggelaufen. „Ich war voller Hass, bis ich gemerkt habe, ich muss vergeben“, sagte Loth. Inzwischen habe er acht Kinder und 15 Enkel. Nach seinem Arbeitsleben unter anderem in einem Atomkraftwerk reise er heute viel herum und halte Vorträge als Holocaust-Überlebender.

Da keiner der Prozessbeteiligten - auch nicht der Verteidiger - Nachfragen hatten, erlaubte die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring dem Zeugen, als Nebenkläger den Angeklagten zu befragen. Der 93-Jährige betonte dabei erneut, dass er nicht freiwillig Soldat und SS-Wachmann in Stutthof geworden sei und dass es ihn erschüttere, was in dem KZ geschehen sei. Dann fragte Loth nach den Worten einer Dolmetscherin: „Würden Sie mir vergeben, dass ich wütend war und hasserfüllt?“ Der Angeklagte antwortete: „Auf jeden Fall. Ich habe keinen Hass.“

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