Bochum:Polizist erschießt Rentner: „Ich hatte Angst“

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Eine Statue der Justitia hält eine Waage und ein Schwert in der Hand. (Foto: Arne Dedert/dpa/Symbolbild)

Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich vor rund zweieinhalb Jahren in einer Bochumer Wohnsiedlung abgespielt haben. Ein Polizist zieht auf der...

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Bochum (dpa/lnw) - Es müssen dramatische Szenen gewesen sein, die sich vor rund zweieinhalb Jahren in einer Bochumer Wohnsiedlung abgespielt haben. Ein Polizist zieht auf der Straße plötzlich seine Waffe, schießt drei Mal auf einen Rentner. Der 74-Jährige wird tödlich getroffen - ein Schuss geht mitten ins Herz. Seit Mittwoch muss sich der Beamte wegen Totschlags in Bochum vor Gericht verantworten. Zum Prozessauftakt sprach der Angeklagte von einer Notwehrsituation: „Ich hatte Angst, wollte da einfach nur noch weg.“

Laut Anklage hatte der Rentner im Rahmen eines Einsatzes wegen Ruhestörung plötzlich an seinen Hosenbund gefasst. „Ich habe einen Griff gesehen und zuerst an ein Messer geglaubt“, so der Polizist. Auf die mehrfache Aufforderung, es stecken zu lassen, habe der 74-Jährige jedoch geantwortet: „Wieso Messer? Das ist eine Knarre.“

Kurz darauf soll der Rentner eine Pistole hervorgeholt und direkt auf den Polizisten angelegt haben. Dass es sich dabei nur um ein Feuerzeug und damit um eine Waffenattrappe handelte, will der Beamte nicht erkannt haben. „Ich habe direkt in den Lauf der Pistole geguckt“, sagte er den Richtern. Da habe er geschossen. „Ich wollte einfach nur, dass der mich nicht erschießt.“

Die Schüsse erfolgten nach seinen Angaben direkt hintereinander. Erst nach dem dritten Schuss, sei der Rentner zusammengebrochen. „Ich war erschrocken, dass die Situation so eskaliert ist - von null auf hundert.“

Ein Nachbar hatte das später Opfer wegen zu lauter Musik angezeigt. Für die Bochumer Polizei war der Einsatz am Abend des 16. Dezember 2018 bereits der vierte innerhalb von 24 Stunden an derselben Adresse.

„Mein Mandant hat mir gesagt, dass kein Tag vergangen ist, an dem er nicht überlegt hat, ob er etwas anders hätte machen müssen“, sagte Verteidiger Michael Emde vor Prozessbeginn. „Aber er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es selbstverständlich ein Trauerspiel ist, das er aber in der damaligen Situation nicht vermeiden konnte.“

Bei der Polizei soll das Strafverfahren auf großes Unverständnis stoßen. „Wenn mein Mandant verurteilt wird, werden andere Beamte möglicherweise den Dienst quittieren, weil sie dann nicht mehr wissen, wie sie sich in so einer Situation verhalten sollen“, so Emde. Das sei ihm im Vorfeld des Prozesses gesagt worden.

Die Ehefrau und die drei Söhne des Opfers, die sich dem Prozess als Nebenkläger angeschlossen haben, erhoffen sich nach Angaben ihres Anwalts vor allem Aufklärung. „Wichtig ist, dass das Verfahren überhaupt stattfindet“, so Bastian Junghölter. „Sie möchten die Sache verstehen und dann auch verarbeiten können.“

Die Staatsanwaltschaft hatte die Anklageerhebung gegen den 37-jährigen Polizisten nach Angaben eines Gerichtssprechers ursprünglich abgelehnt. Nach Beschwerden der Hinterbliebenen war die Anklageerhebung schließlich vom Oberlandesgericht Hamm angeordnet worden. Das Bochumer Schwurgericht hat für den Prozess zunächst noch vier Verhandlungstage bis zum 9. Juni angesetzt.

© dpa-infocom, dpa:210526-99-747479/3

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