Die Größen des französischen Show-Business sind hier abgestiegen. Selbst Janet Jackson, die Schwester des verstorbenen Pop-Stars Michael Jackson, hat sich im Gästebuch des Hotels verewigt. Im "Carlton" konnte man sich fühlen wie ein kleiner Sonnenkönig. Die Zimmer im Stile Ludwig XIV. und die marmornen Badewannen trugen das ihre dazu bei. Das Vier-Sterne-Hotel galt als leuchtender Treffpunkt der feinen Gesellschaft von Lille. Bis jetzt.
Seit diesem Wochenende werfen die Passanten im Zentrum der nordfranzösischen Metropole aus ganz anderen Gründen neugierige Blicke auf die historische Fassade des Etablissements. Die angeblich ehrbare Adresse soll in Wahrheit eine Lusthöhle gewesen sein. Callgirls aus Frankreich und dem nahe gelegenen Belgien sollen hier ihre Dienste angeboten haben. Das Hotel, mutmaßt die Sittenpolizei, soll die Schaltzentrale eines internationalen Zuhälterrings gewesen sein. Und es wäre fast verwunderlich gewesen, wenn in dieser neuerlichen Sex-Affäre Frankreichs nicht auch ein scheinbar unvermeidlich gewordener Name auftauchen würde: Dominique Strauss-Kahn.
Prostituierte sollen ausgesagt haben, auch den gefallenen Politiker und ehemaligen Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF) beglückt zu haben. Die Polizei will Strauss-Kahn deshalb vernehmen. Der 62-Jährige besteht sogar selbst darauf, dass dies so bald wie möglich geschieht. DSK, wie sie ihn in der Heimat nennen, trat am Sonntag mit neuem Stoppelbart vor die Kameras und beteuerte, dass es sich um "bösartige und gewagte Unterstellungen" handele.
Ist der Mann Opfer einer Kampagne? Oder warum taucht sein Name immer wieder auf? Der Rezeptionist vom Carlton bekräftigte jedenfalls, dass Strauss-Kahn nie Kunde des Hotels gewesen sei. Vorige Woche war der einstige Hoffnungsträger der französischen Linken erst in Paris vom Vorwurf der versuchten Vergewaltigung freigesprochen worden. Das Gericht stellte gleichwohl einen "sexuellen Übergriff" fest, der aber verjährt ist. In den USA läuft noch eine Zivilklage des New Yorker Zimmermädchens Nafissatou Diallo wegen versuchter Vergewaltigung gegen ihn. Das strafrechtliche Verfahren wurde hingegen eingestellt. Seitdem ist DSK wieder ein freier Mann. Doch alle Versuche, in Frankreich wieder Fuß zu fassen, scheiterten bislang.
François Hollande, der am Sonntag gekürte Kandidat der Sozialisten für die Präsidentschaftswahl im Frühjahr 2012, distanzierte sich klar von dem unumstrittenen Schwerenöter und Wirtschaftsexperten. Er werde ihn im Falle eines Sieges nicht für ein politisches Amt nominieren, betonte Hollande, und zwar ehe der Zuhälterring in Lille aufgeflogen war.
"Nebensächliche Rolle" für Strauss-Kahn
Die aktuelle Sex-Affäre zieht derweil weitere Kreise. Die Fahnder nahmen den Direktor des Carlton vorübergehend fest und schlossen neben dem Hotel auch zwei weitere Herbergen des Mannes. Sein PR-Manager saß ebenfalls in Polizeigewahrsam. Beide gelten als die Drahtzieher des Zuhälterrings. Sie sollen auch Sex-Partys in Paris veranstaltet haben, an denen Strauss-Kahn ebenfalls teilgenommen haben soll. Weil DSK in der Affäre aber nur eine "völlig nebensächliche" Rolle spiele, werde er wohl nicht in "naher Zukunft" befragt werden, sagte ein Ermittler der französischen Presse.
Die Fahnder gehen derweil einem möglicherweise viel größerem Skandal nach. Denn auch der oberste Polizeichef des Departements könnte in die Affäre verwickelt sein. Frankreich hätte dann seinen zweiten großen Polizeiskandal binnen weniger Wochen. Erst vor einem Monat entsetzte die Nachricht Frankreich, dass der Vize-Chef der Kriminalpolizei in Lyon Mitglied einer verbrecherischen Vereinigung sein soll. Ihm werden Drogenhandel und Korruption vorgeworfen.
Gute Kontakte zur Polizei
Jetzt steht Jean-Christophe Lagarde, der Sicherheitschef der Region um Lille in Verdacht, die Zuhälterei im Carlton und anderen Hotels gedeckt zu haben. Der PR-Chef der luxuriösen Herberge, René Kojfer, soll gute Kontakte zu ihm und anderen Polizisten unterhalten haben. "Der kam regelmäßig ins Revier, um Freunde zu grüßen", berichtete ein Ordnungshüter. Kojfer observierte im Auftrag der Sicherheitskräfte sogar Massagesalons in der Nähe des Carlton. "Ein Gauner ist das nicht", versicherte ein Uniformierter. Und für Polizeichef Lagarde legen manche sogar die Hand ins Feuer. "Für so einen Chef lässt man sich abknallen", sagte ein Untergebener.
Von der Zuhälterei im Carlton will niemand etwas mitbekommen haben. Nicht einmal der Rezeptionist: "Wenn ein Mann von einer Frau aufs Zimmer begleitet wird, wie soll man da wissen, ob das seine Frau ist oder eine Prostituierte?" Wie er sind alle gut 100 Mitarbeiter der drei provisorisch geschlossenen Hotels nun besorgt um ihre Zukunft. Richtig mulmig dürfte es aber all jenen sein, die im Carlton nicht nur den herkömmlichen Room-Service in Anspruch genommen haben und nun fürchten müssen, dass ihr Name an die Öffentlichkeit gerät, so wie der von Strauss-Kahn.