Politiker-Inszenierungen:Wenn der Nachwuchs zum Wahlkampfhelfer wird

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Auf einem Wahlplakat der AfD zeigt Parteichefin Frauke Petry sich neuerdings mit ihrem zwei Monate alten Sohn. (Foto: dpa)

Frauke Petry, Sigmar Gabriel, Ursula von der Leyen: Sie alle inszenieren sich öffentlich mit ihren Kindern. Was ist davon zu halten?

Von Martin Zips

Bevor man weiter darüber nachdenke, sein Kind vor eine Kamera zu stellen, so betont die Casting-Agentur in Hürth, solle man sich selbst als Vater oder Mutter drei Fragen beantworten: "Hat mein Kind überhaupt Lust dazu, vor der Kamera zu spielen? Wie kann es Erfolge und Misserfolge verkraften? Erleidet es schulisch keine Nachteile?"

AfD-Chefin Frauke Petry dürfte all diese Fragen mit sich und ihrem Gewissen geklärt haben. Stolz zeigt sie ihr im Mai geborenes, fünftes Kind Ferdinand auf einem zunächst im Internet verbreiteten Wahlplakat. Manche empfinden ihren Blick als kühl und abwesend, andere als liebevoll und fürsorgend. Das liegt alles im Auge des Betrachters. Mit ihrer rechten Hand drückt sie die Stirn des Neugeborenen an ihre rechte Wange. Daneben steht: "Und was ist Ihr Grund, für Deutschland zu kämpfen?" Im Netz finden diese Zurschaustellung manche nun "armselig", andere schreiben: "Ein tolles Kind für eine tolle Mutter!!"

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Dass Politiker auf Wahlplakaten neben Minderjährigen auftauchen, ist nichts Ungewöhnliches. "Wir lassen kein Kind zurück", so warb die SPD in Nordrhein-Westfalen vor fünf Jahren und zeigte ihre damalige Spitzenkandidatin Hannelore Kraft neben drei Kindergartenkindern im Sandkasten hockend. Ihr damaliger CDU-Herausforderer Norbert Röttgen ließ sich im gleichen Wahlkampf auf einem anderen Plakat von einem Schirmkappen-Bub bewundernd anblicken und versprach: "Politik aus den Augen unserer Kinder".

Absolut harmlos im Vergleich mit dem deutschen Unternehmer Rudolf Werner, der sich im Jahr 1972 für den Bundestagswahlkampf mit neun nackten, Gasmasken tragenden Kindern fotografieren ließ. Luftverschmutzung war schon damals ein ganz großes Thema. Infolge jener von ihm geplanten Werbekampagne verbannte das niedersächsische CDU-Landeslistengremium Werner vom neunten auf den chancenlosen 23. Listenplatz.

Außergewöhnlich allerdings, wenn es das eigene Kind ist, welches der Wahlkämpfer für seine Kampagne benutzt. In Deutschland hatte einen solchen Schritt zuletzt Ulrich Marseille gewagt, im Jahr 2002 trat der Unternehmer mit Frau und Baby als Kandidat der Schill-Partei für ein "Lebenswertes Sachsen-Anhalt" an. Franz Josef Strauß' Tochter Monika war im Jahr 1980 immerhin schon volljährig, als sie sich glücklich lächelnd an ihren Vater, den Möchtegern-"Kanzler für Frieden und Freiheit", schmiegte. Beide Kandidaten blieben erfolglos.

Kurzfristig dürfte Petrys Strategie aufgehen

Der österreichische Politikforscher Peter Filzmaier von der Donau-Universität Krems unterscheidet bei solchen Kampagnen zwei Ebenen. Inhaltlich-strategisch, meint Filzmaier, ergäbe die Vermischung von beruflichen und privaten Dingen ja durchaus Sinn. "Der politische Kampf für die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder ist besonders für Rentner ein wichtiges Wahlmotiv. Wenn es um ihre Direktstimme geht, dürfte Petrys Strategie daher kurzfristig bei der Zielgruppe aufgehen." Anders verhalte es sich mit der moralischen Ebene. Hier stelle sich die Frage: "Darf man ein Baby, das noch nicht autonom entscheiden kann, einfach so in die Öffentlichkeit zerren?" Seine Antwort, eindeutig: "Nein."

Dennoch sind solche Vermischungen natürlich nicht nur auf Wahlplakaten zu beobachten, sondern zum Beispiel auch im Europäischen Parlament, wo die italienische Abgeordnete Licia Ronzulli zuletzt konsequent ihre kleine Tochter Vittoria mit zu den Abstimmungen nahm. Die australische Senatorin Larissa Waters wiederum stillte ihre Tochter Alia im Plenarsaal - dass dies die Fotografen auf der Pressetribüne und das Netz in allergrößte Verzückung versetzte, störte sie nicht.

Willy Brandt während einer Home-Story zu seinem ersten Bundestagswahlkampf (im Jahr 1961 mit seiner Frau Rut und Söhnen). (Foto: AP)

Der erste deutsche Politiker, der Homestorys mit seiner Familie zuließ, sei "der viel gerühmte" spätere Bundespräsident Johannes Rau gewesen, erinnerte sich einmal Politikberater Michael Spreng in einem Interview. Stimmt das? Schon Willy Brandt und später auch Ursula von der Leyen bedienten das Genre. Auch Oskar Lafontaine trat nach seinem Rücktritt 1999 nicht ohne Grund mit seinem damals zweijährigen Sohn Carl-Maurice vor die Reporter in Saarbrücken. Und erst in diesem Januar erschien im Stern ein Porträt des einstigen SPD-Chefs Sigmar Gabriel, in dem es heißt: "Das Interview wird immer wieder unterbrochen von Gabriels Tochter. Sie klammert sich an den Vater, will, dass er mit ihr und einem Troll spielt, der blinkt und auf Knopfdruck ruft: 'Umarme mich!'" Süß.

Ist alles nur ein etwas verzweifelter Schrei nach Aufmerksamkeit?

Politikforscher Filzmaier warnt: "In der heutigen Medienwelt muss jedem, der die Tür zum Zimmer seiner Kinder öffnet, klar sein, dass er sie nicht mehr schließen wird können." Er erinnert an den ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil, der sich im Wahlkampf als Patriarch einer glücklichen Familie inszenierte. Später habe sich herausgestellt, "dass er jahrelang eine Geliebte hatte".

Die Idee, Frauke Petry mit dem ersten Kind, das sie mit ihrem zweiten Ehemann sowie Parteifreund Marcus Pretzell bekommen hat, zu inszenieren, soll von Thor Kunkel stammen, einem literarischen "Ekelvirtuosen" (Martin Walser), der die AfD in ihren Kampagnen berät. Ist alles nur der Versuch einer seit der Geburt ihres Kindes ein bisschen in Vergessenheit geratenen Parteichefin, wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu erhaschen?

Ursula von der Leyen mit Großfamilie (2003). (Foto: picture alliance / dpa)

Beim Bonner Haus der Geschichte sieht man sich bei derartigen Inszenierungen eher an die Zeiten erinnert, "da sich nationalistische Führer als Väter der Nation" inszenierten. Beim Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft heißt es, dass es immer nur Politiker seien, die ihre eigenen minderjährigen Kinder vor die Kamera zögen: "In der privaten Wirtschaft kennt man das nicht." Und Kinderschützer nennen die Petry-Kampagne "eine Form von erweitertem Kindesmissbrauch".

Es wird noch ein Weilchen dauern, bis man mal weiß, was Petrys Sohn Ferdinand selber von der Aktion seiner Mutter hält. Im Internet schrieb ihm gerade jemand das hier: "Hoffentlich wirst du mal Punk".

© SZ vom 25.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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