World Scout Jamboree:Pfadfinder im falschen Image-Film

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Wo aktuell ein Meer aus Zelten steht, befand sich einst das Wattenmeer, jährlich rasteten dort 400 000 Zugvögel. Die Regierung ließ das Gebiet trockenlegen, um es industriell nutzbar zu machen. (Foto: Choe Young-soo/AP)

Zu wenig Schatten, zu wenige Toiletten, zu viel Müll: Beim Welttreffen der Scouts in Südkorea lief vieles schief. Jetzt müssen Zehntausende wegen eines Taifuns den Zeltplatz verlassen. Und ein paar grundlegende Zweifel bleiben.

Von Thomas Hahn, Tokio

Am Montag gab es eine neue Wendung in der unerfreulichen Geschichte des sogenannten World Scout Jamboree, dem Welttreffen der Pfadfinderinnen und Pfadfinder in Saemangeum, Südkorea. Nach lauten Beschwerden über schlechten Hitzeschutz, zu wenig Verpflegung und mangelnde Hygiene entschieden die koreanischen Organisatoren und der internationale Pfadfinder-Verband WOSM, dass der große Zeltplatz an diesem Dienstag geräumt werde. Nicht wegen der Hitze oder der Kritik allerdings, sondern weil ein Taifun auf die koreanische Halbinsel zusteuert. Immerhin, die Veranstaltung mit anfangs etwa 43 000 Teilnehmenden aus rund 160 Ländern soll nicht abgebrochen werden, sondern mit Angeboten an verschiedenen anderen Orten weitergehen. Zu Ende gehen soll es am Freitag mit der Schlussfeier im Worldcup-Stadion von Seoul mit einem K-Pop-Konzert.

Die Pfadfinderbewegung ist ein Erziehungsmodell, das junge Menschen mit Vielfalt und Natur vertraut macht. Das Jamboree der WOSM, das alle vier Jahre an wechselnden Orten stattfindet, ist seit 1920 die Feier ihres globalen Geistes. 14- bis 18-Jährige aus der ganzen Welt kommen dabei zusammen, um zu zelten und sich auszutauschen. Kein Wettkampf, kein eitles Gewinnstreben, stattdessen Ausflüge in Gruppen oder Gespräche über Nachhaltigkeit im Better World Tent - so sieht ist es im Grunde auch beim großen Treffen in Südkorea aus, das seit 1. August in der Provinz Nord-Jeolla stattfindet. Wetterpech ist dabei ein natürliches Risiko. Trotzdem tut dieses Jamboree dem Ruf der Bewegung nicht gut.

Denn es hat die Pfadfinder in eine Landschaft geführt, die eigentlich nicht zu ihren Werten passt. Der Name Saemangeum steht für eine Natur, die Südkoreas Regierung praktisch wegrationalisiert hat. Hier, an der Küste des Gelben Meeres, erstreckte sich einst ein Wattenmeer, dessen Boden bei Ebbe trockenfällt. Jedes Jahr war es ein Rastplatz für rund 400 000 Zugvögel. "Saemangeum war das wichtigste Wattenmeergebiet Südkoreas überhaupt", erklärt Bernhard Seliger vom Seouler Büro der deutschen Hanns-Seidel-Stiftung, die in Korea Projekte zur Biodiversität betreibt.

Die Eindeichung begann 1991 unter Protesten von Umweltschützern, 2010 war sie vollzogen. Heute vermarktet Südkoreas Regierung Saemangeum als eine Hightech-Landschaft der Zukunft, die vorerst aber nur als Animation oder im Imagefilm zu sehen ist. Die "Saemangeum Entwicklungs- und Investitions-Agentur" bewirbt das Gebiet auf ihrer Homepage als "Industriezentrum, das grünes Wachstum fördert". Das Pfadfinder-Jamboree passte wohl zur PR-Strategie. "Es hat sich angeboten, weil man damit hoffte, ,notwendige' Infrastruktur, vor allem einen Flughafen, rechtfertigen zu können", schreibt Seliger auf SZ-Anfrage via E-Mail, "tatsächlich ist der geplant, aber nicht einmal begonnen." Die WOSM wiederum war vermutlich froh, dass sie einen Veranstalter hatte für das Riesenereignis. Bei der Auswahl 2017 gab es neben Saemangeum nur noch einen anderen Kandidaten, Danzig in Polen; dort findet das Jamboree 2027 statt.

Unter der sengenden Sonne auf dem Zeltplatz von Saemangeum wurde das Wasser knapp. Hunderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer brauchten ärztliche Hilfe wegen Hitzeerschöpfung. (Foto: Kim Hong-Ji/Reuters)

Der Zeltplatz von Saemangeum liegt auf einer baumlosen, künstlich aufgeschütteten Ebene. Dürres Gras wächst auf sandigem Boden. Die Ebene ist offensichtlich das Bauland für die geplante Zukunftsstadt. "Normal ist das hier nicht", sagt Niklas König, Sprecher des deutschen Kontingents, das mit 2200 Teilnehmenden zu den größten gehört. Schon während der Vorbereitungen habe es Bedenken gegeben, auch von der WOSM. "Es wurde einfach nicht grün genug", sagt König am Telefon. Und als das Welttreffen am 1. August endlich begann, gab es von vielem zu wenig: Schatten, Verpflegung, Toiletten, Duschen, medizinisches Personal. König spricht von "vielen heftigen Startschwierigkeiten". Laut Medienberichten mussten Hunderte wegen Hitzeerschöpfung in Behandlung. Das britische Kontingent, mit 4000 Teilnehmenden das größte, und das US-amerikanische wechselten schon am Wochenende in Hotels. Die Deutschen blieben.

Erstens weil nach der Kritik einiges in Bewegung geriet und die Regierung in Seoul die Krise mit Druck bearbeitete. Auf Befehl von Präsident Yoon Suk-yeol trafen am Wochenende zum Beispiel klimatisierte Trucks ein, in denen sich die Pfadfinder abkühlen können. Zweitens ließen sich viele von dem Stress nicht die Laune verderben. Niklas König betrachtet aufmerksam, was die Jugend des Rings Deutscher Pfandfinder-Verbände über soziale Medien mitteilt. Sein Eindruck: "Unsere Teilnehmer haben trotz allem Spaß."

Aber der Widerspruch bleibt: grünes Lebensgefühl in zerstörter Natur? "Hinsichtlich des ehemaligen Wattenmeers hat es im deutschen Kontingent kritische Debatten gegeben", sagt Niklas König. In Korea aber sei das Problem offiziell kein Thema. "Es werden eher die Chancen der Region für Wirtschaft und Tourismus in den Fokus gerückt."

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Version hieß es aufgrund einer fehlerhaften Agenturmeldung, das Pfadfindertreffen sei abgebrochen worden. Das stimmt nicht, wir haben diesen Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.

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