Oceangate:Ein "experimentelles Schiff"

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Ein Oceangate-Mitarbeiter bei der Arbeit im Inneren des Tauchboots "Titan". (Foto: Oceangate Expeditions/dpa)

Um die Sicherheitsbedenken zu seinem Tauchboot "Titan" weiß das Unternehmen Oceangate schon seit Jahren. Ein Mitarbeiter wurde deshalb entlassen.

Von Tobias Bug und Anna Fischhaber

"Statistisch gesehen sind Tauchboote die sichersten Fahrzeuge auf diesem Planeten", sagte Stockton Rush, der Gründer und CEO der Firma Oceangate, laut dem US-Magazin Popular Science schon 2017 vor dem "Explorers Club" in New York, einem exklusiven Privatclub, der sich der Erforschung von Land, Meer, Atmosphäre und Weltall verschrieben hat. "In den letzten 35 Jahren gab es keinen einzigen ernsthaften Unfall an Bord eines Tauchboots und es sind über 15 Millionen Menschen unter Wasser gegangen."

Worte, die heute fast zynisch klingen. Seit Sonntagmorgen gilt das Tauchboot Titan, das Rushs Unternehmen Oceangate gebaut hat, als vermisst, kurz nachdem es zu einer Expedition zum versunkenen Schiffswrack der Titanic vor der Küste Neufundlands aufgebrochen war. Kapitän des Bootes ist Rush selbst, außer ihm sind vier weitere Menschen an Bord.

Stockton Rush hat einen ähnlichen Ansatz wie Elon Musk oder Jeff Bezos

Rush gründete 2009 sein Unternehmen, um die Unterwasserforschung günstiger zu machen und es auch Privatpersonen zu ermöglichen, an Expeditionen teilzunehmen. Sein Ansatz ähnelt dem von Elon Musk oder auch Jeff Bezos, die mit ihren Firmen Space-X und Blue Origin die Raumfahrt für Touristen zugänglich machen wollen.

Oceangate besitzt aktuell drei Tauchboote, die sich für Expeditionen in Tiefen zwischen 305 und 4000 Metern unter der Wasseroberfläche eignen. 2019 verkündete das Unternehmen, dass es zwei weitere Tauchboote entwickeln wolle, die auf 6000 Meter herabsinken sollen. "Bequem und sicher", heißt es auf der Firmenwebseite, könne man vom Tauchboot aus Unterwasserinfrastrukturen oder Wracks untersuchen, Lebensräume inspizieren, Geräte testen. Kameraleute können von Bord aus Aufnahmen für Filmproduktionen machen. Im Jahr 2021 machte das Unternehmen mit seinen kommerziellen Tauchgängen 4,63 Millionen Dollar Umsatz und beschäftigte 19 Mitarbeiter.

Seit zwei Jahren bietet Oceangate nun Expeditionen zum Wrack der Titanic an, pro Person kostet der Tauchgang 250 000 Dollar (umgerechnet etwa 229 000 Euro). 28 Menschen brachte die Titan im vergangenen Jahr zum Schiffswrack, die Tauchgänge waren größtenteils erfolgreich, verliefen aber nicht ohne Probleme.

"Heute würde ich das nicht mehr machen"

Der Straubinger Arthur Loibl ist im Sommer 2021 mit der Titan zum Wrack der Titanic getaucht. Alles wirkte sehr improvisiert, erzählt der 60 Jahre alte Privatier am Telefon. "Wir hatten technische Probleme mit der Batterie und mit der Elektrik." Einige Mitreisende hätten sich geweigert mitzufahren. Er sei eingestiegen, sagt Loibl, "aber heute würde ich das nicht mehr machen".

Vor allem erinnert er sich an die Enge im Tauchboot. "Da kann man nicht liegen oder stehen, nur sitzen, die Füße liegen übereinander." Weil es keine richtige Toilette gebe, hätten sie damals 24 Stunden vor dem Tauchgang aufgehört zu essen, und zwölf Stunden davor nicht mehr getrunken. Im Boot sei es eiskalt gewesen. "Es ist unvorstellbar, was die vermissten Männer jetzt da durchmachen."

Mit an Bord war auch damals Oceangate-Gründer Stockton Rush. "Rush ist ein Abenteurer", sagt Loibl. "Ich glaube, für seine Visionen ist er bereit, an Grenzen zu gehen."

Stockton Rush, Gründer und CEO von "Oceangate" wird seit Sonntag vermisst. (Foto: Bill Sikes/dpa)

Oceangate lässt seine Expeditionsteilnehmer vor Betreten des Schiffes ein Dokument unterschreiben, in dem es sie darauf hinweist, dass die Titan ein "experimentelles Schiff" sei, das von keiner Aufsichtsbehörde genehmigt oder zertifiziert worden sei, und die Fahrt damit zu körperlichen Verletzungen, emotionalen Traumata oder zum Tod führen könne. "Eine externe Stelle über jede Innovation auf den neuesten Stand zu bringen, bevor sie in der realen Welt getestet wird, ist ein Gräuel für die schnelle Innovation", schrieb Oceangate 2019 in einem Blogbeitrag unter der Überschrift "Warum Titan nicht zertifiziert ist". Im Gegensatz zu Schiffen ist die Inbetriebnahme von Unterseebooten weitgehend unreguliert, vor allem wenn sie in internationalen Gewässern tauchen.

Dem Tauchboot fehlte nicht nur die Zertifizierung von staatlicher Seite, auch intern gab es lange schon Sicherheitsbedenken. Wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, die dem US-Politikmagazin The New Republic vorliegen, hatte Oceangates damaliger Direktor für den Schiffsbetrieb, David Lochridge, schon im Jahr 2018 Bedenken über die Sicherheit der Titan geäußert. Besonders besorgt war er über die Stabilität des Bootsrumpfes, außerdem erfuhr er, dass das Sichtfenster im vorderen Teil des Tauchboots nur für einen Druck von 1300 Metern Tiefe gebaut worden war, obwohl Oceangate schon damals plante, bis zu 4000 Meter tief zu tauchen. Auf die Bedenken ging das Unternehmen nicht ein, feuerte Lochridge und verklagte ihn wegen der Weitergabe vertraulicher Informationen über die Titan. In seiner Gegenklage gab Lochridge an, er sei als Whistleblower in Bezug auf die Sicherheit des Unterseeboots zu Unrecht entlassen worden.

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