New Yorker Polizei in der Krise:"Nur ihr Pflichtgefühl ist größer als ihre Wut"

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Polizisten der NYPD bei der Trauerfeier für einen ihrer erschossenen Kollegen am 4. Januar in Brooklyn. (Foto: AFP)
  • Polizisten in allen fünf New Yorker Bezirken greifen derzeit bei der Alltagskriminalität in der US-Metropole kaum durch.
  • Hintergrund ist offenbar die Diskussion über Polizeigewalt und die tödlichen Schüsse auf zwei New Yorker Beamte im Dezember.
  • In der Bronx werden am Montagabend zwei Beamte im Dienst angeschossen.
  • New Yorks Bürgermeister de Blasio wehrt sich gegen Kritik und verweist auf längerfristige Erfolge in der Verbrechensbekämpfung.

Verhaftungen und Strafzettel in New York drastisch gesunken

In den vergangenen zwei Wochen haben Polizisten in New York offensichtlich aus Protest nur halb so viele Verdächtige festgenommen wie im selben Zeitraum des vergangenen Jahrs. Die Zahl der Strafzettel ging sogar um 90 Prozent zurück, wie die New York Times berichtet. Die Beamten der US-Metropole hätten sich wohl dazu entschlossen, eigenmächtig kleinere Vergehen zu ignorieren, so das Blatt. Dies betreffe alles von unerlaubtem Waffenbesitz über Fahren unter Alkoholeinfluss bis zu Parkdelikten.

Die Nachricht kommt inmitten einer größeren Diskussion über den Ruf der Polizei bei Bürgern und Vorwürfe zu rassistischer Gewalt durch Beamte. Diese nahm mit den Protesten in der US-Stadt Ferguson im Herbst ihren Anfang. Am 20. Dezember waren in New York zwei uniformierte Polizisten von einem Mann erschossen worden, der damit Vergeltung für die Tötung unbewaffneter Schwarzer durch weiße Polizisten üben wollte. Der Täter hatte zuvor in sozialen Netzwerken Drohungen gegen die Sicherheitsbehörden ausgestoßen und nahm sich nach der Tat das Leben.

Aktivisten bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt an der New Yorker Grand Central Station am 5. Januar. (Foto: REUTERS)

Polizeichef William J. Bratton nannte zwar am Montag unter anderem die Feiertage als eine mögliche Erklärung für die niedrigen Zahlen, räumte aber auch ausdrücklich eine sinkende Moral unter den Beamten ein.

Bürgermeister de Blasio wehrt sich gegen "respektlosen" Protest

In der Kritik steht derzeit auch Bürgermeister Bill de Blasio, nachdem er seinem Sohn riet, im Umgang mit Polizisten vorsichtig zu sein. De Blasio ist mit einer Afroamerikanerin verheiratet. Bei den Trauerfeiern für die im Dezember getöteten Polizisten protestierten hunderte Beamte gegen de Blasio, indem sie ihm bei Ansprachen den Rücken zuwandten.

Trauerfeier für getöteten Kollegen in New York
:Polizisten kehren Bürgermeister de Blasio den Rücken zu

In New York City nehmen Tausende Polizisten Abschied von ihrem getöteten Kollegen Wenjian Liu. Einige nutzen die Trauerfeier zum Protest gegen Bürgermeister de Blasio - der hatte Verständnis für Proteste gegen Polizeigewalt gezeigt.

De Blasio kritisierte diese Proteste mittlerweile scharf. Die Proteste seien "respektlos" gegenüber den Familien der Opfer und den Menschen der Stadt gewesen, die die Arbeit der New Yorker Polizei würdigten, sagte er am Montag vor Journalisten.

Polizeichef Bratton erklärte dazu auf der selben Pressekonferenz, immerhin sei der Protest nur von wenigen hundert der rund 20.000 Polizisten ausgeführt worden, die an der Trauerfeier teilgenommen hätten. Diesen jedoch warf er "Selbstsucht" vor. "Man zieht sich keine Uniform an und geht auf eine Trauerfeier, um dort dann eine politische Aktion abzuhalten", kritisierte er.

Zwei verletzte Polizisten bei Überfall in der Bronx

In der New Yorker Bronx sind derweil am Montagabend erneut zwei Polizisten in Zivil bei einem Schusswechsel verletzt worden. Der Vorfall habe sich an der Ecke East 184th Street und Tiebout Avenue ereignet, als die Beamten einen Raubüberfall auf einen Lebensmittelladen hätten verhindern wollen, berichteten US-Medien.

Im Gegensatz zu den tödlichen Schüssen im Dezember handelt es sich diesmal jedoch offenbar nicht um einen vorsätzlichen Angriff. Wie CNN und das Wall Street Journal unter Berufung auf Polizeisprecher berichtet, waren die beiden Beamten zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits am Ende ihrer Schicht, entschlossen sich aber dennoch, mit drei weiteren Kollegen einem Notruf zu folgen. Am Tatort habe ein Mann das Feuer auf sie eröffnet. Die zwei mutmaßlichen Täter seien auf der Flucht. Die verletzten Polizisten werden im Krankenhaus behandelt, schweben aber nicht in Lebensgefahr.

Der Zwischenfall sei ein weiterer Beleg für die Gefahren, denen sich New Yorker Polizisten zu stellen hätten, so Bürgermeister de Blasio. Die Beamten hätten "etwas außerordentlich Mutiges getan".

Raubüberfälle und Morde auf historischem Tiefstand

De Blasio versucht derweil zusammen mit Polizeichef Bratton, die Aufmerksamkeit auf längerfristige Trends in New York zu lenken. Am Montag wiesen die beiden darauf hin, dass Raubüberfälle und Morde in der Metropole auf den niedrigsten Stand seit 1963 gefallen seien - seit dem Jahr also, in dem erstmals verlässliche Verbrechensstatistiken in der Stadt geführt wurden.

De Blasio rief die Polizei zur Zusammenarbeit mit den städtischen Behörden auf. "Lasst uns darüber reden, wo wir als Stadt hinwollen", sagte De Blasio. "Die Menschen wollen, dass wir zusammenkommen. Die Menschen glauben, dass wir es besser machen können." Der Vorsitzende der Bürgerinitiative "Citizens Crime Commission of New York City", Richard Aborn, gab sich derweil verhalten optimistisch. "Nur das Pflichtgefühl der Cops ist größer als ihre Wut", sagte er, und diesem Pflichtgefühl würden sie auch noch lange folgen.

© SZ.de/AFP/dpa/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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