Mount Everest:Allein im Gegenwind

Lesezeit: 4 min

Warm eingepackt und fest entschlossen: Bergsteiger Jost Kobusch. (Foto: Daniel Hug/dpa)

Jost Kobusch wollte den Mount Everest im Winter ohne Flaschensauerstoff und solo besteigen. Die Expedition hatte wenig Erfolgsaussichten. Dennoch verbringt er fast zwei Monate am höchsten Berg der Welt, allein und in eisiger Kälte. Warum?

Von Titus Arnu

Minus 40 Grad Celsius, Windgeschwindigkeiten bis zu 250 Stundenkilometer, extrem trockene und sauerstoffarme Luft: Der Mount Everest ist ein lebensfeindlicher Ort, besonders im Winter. Jost Kobusch hat sich trotzdem fast zwei Monate lang am höchsten Berg der Erde aufgehalten. Sein Ziel hatte er sich ziemlich hoch gesetzt: Er will den 8848 Meter hohen Gipfel als erster Mensch allein im Winter ohne zusätzlichen Sauerstoff erreichen - und das auch noch auf einer besonders schweren Route, über den Westgrat und das Hornbein-Couloir, eine bis zu 50 Grad steile Rinne.

Per Livetracking kann man verfolgen, wo sich der 29-jährige deutsche Bergsteiger gerade befindet: im Abstieg in Richtung Tal. Nach mehreren Aufstiegsversuchen hat er die Expedition abgebrochen, weil der Wind am Berg zu stark war. Höher als 6500 Meter ist er nicht gekommen, in den vergangenen Wochen verbrachte er die meiste Zeit in der " Pyramide", einer Forschungsstation auf 5050 Meter, oder in einem seiner Höhenlager am Berg. Wenn der Wetterbericht einigermaßen gut aussah, stieg er auf, wurde aber immer wieder vom Sturm gestoppt. Schon vorab hatte Kobusch selbst seine Chancen als eher gering eingeschätzt. Warum setzt sich jemand freiwillig so einer Sisyphos-Aufgabe aus?

Jost Kobusch ist am Berg auf 6450 Metern Höhe erreichbar, der Empfang reicht für ein Interview per Whatsapp-Sprachnachrichten. Er sitzt in seinem Zelt und spricht mit einem leichten Keuchen in der Stimme, der man die Höhe anmerkt, im Hintergrund hört man den Wind an der Zeltplane rütteln. "Der Sturm hat mir heute Nacht zehn Risse ins Zelt reingehauen", berichtet Kobusch, "der Wind ist so krass, dass die Gipfelchancen faktisch nicht mehr existieren. " Nicht einmal sein Ziel, höher zu kommen als beim letzten Versuch, scheint noch realistisch. Im Winter 2019/20 hatte es Kobusch bis auf 7350 Meter geschafft, musste dann aber wegen einer Verletzung am Knöchel und Magenproblemen aufgeben. Dieses Mal hatte er vor allem mit Kälte und Sturm zu kämpfen.

Ordentlich Gegenwind bekam Kobusch auch von der etablierten Profi-Bergsteigerszene zu spüren. Erfahrene Höhenbergsteiger wie Hans Kammerlander, Ralf Dujmovits oder Reinhold Messner hatten schon im Vorfeld der Expedition starke Zweifel an der Machbarkeit des Projektes geäußert. Messner spottete öffentlich über Kobusch und nannte ihn "Weltmeister im Ankündigen", weil er in sozialen Netzwerken über seine Rekordversuche berichte, ohne etwas vorweisen zu können. "Er versucht im Winter allein und ohne Hilfsmittel auf den Everest zu steigen. Und das, obwohl er sagte, er hätte nur eine einprozentige Chance gehabt", meinte der Südtiroler im Interview mit der Zeitschrift Alpin. Die Kritik stört Kobusch nicht, im Gegenteil: "Ich fühle mich geschmeichelt, dass ausgerechnet Messner, der es wie kein anderer geschafft hat, sich selbst als globale Marke zu etablieren, meine PR lobt."

Bis vor ein paar Jahren war Jost Kobusch unter Alpinisten unbekannt

Jost Kobusch war in der Alpinisten-Szene bis vor ein paar Jahren noch ein völlig unbeschriebenes Blatt. Er stammt aus Borgholzhausen bei Bielefeld, 135 Meter über Meereshöhe gelegen. In der Schule nahm er an einer Kletter-AG teil und begann erst spät mit dem Bergsteigen - wagte sich dann aber bald an sehr anspruchsvolle Ziele. 2014 bestieg er als 21-Jähriger im Alleingang die 6814 Meter hohe Ama Dablam in Nepal, 2016 die Annapurna, seinen ersten und bisher einzigen Achttausender, ohne zusätzlichen Sauerstoff. 2015 war er im Basislager des Everest, als eine durch ein Erdbeben ausgelöste Lawine 18 Menschen tötete. Kobuschs Video von der Lawine wurde mehr als 20 Millionen Mal angeklickt, er wurde damit weltweit bekannt.

Jost Kobusch am Westgrat des Mount Everest auf 7350 Meter Höhe, hier im Februar 2020. (Foto: --/dpa)

Mehr als 7000 Menschen haben den Everest bereits bestiegen, fast alle mithilfe von Flaschensauerstoff und Trägern. Anstatt den Berg erst mal zur üblichen Zeit im Mai über die mit Fixseilen und Leitern präparierte Südroute zu besteigen, nahm Kobusch gleich die wesentlich schwierigere Variante über den Westgrat in Angriff, allein und im Winter. Laut Himalayan Database, einer Dokumentation aller Besteigungen wichtiger Gipfel im Himalaya seit 1905, hat es bislang erst eine Person im Winter ohne Sauerstoff ganz nach oben geschafft, allerdings nicht solo. Der 2020 gestorbene Ang Rita Sherpa war im Winter 1987/88 mit einer Gruppe koreanischer Bergsteiger unterwegs. Mit einem von ihnen schaffte er es auf den Gipfel, dieser hatte künstlichen Sauerstoff dabei. Insgesamt gelangen bisher nur 15 Winter-Besteigungen.

SZ PlusExtremsportlerin Tamara Lunger
:"Es muss schmerzen"

Auf dem K2, dem zweithöchsten Berg der Welt, sind schon viele Menschen verunglückt. Ein Gefährte von Tamara Lunger stürzte vor ihren Augen ab. Wie geht man damit um? Wie die Extremsportlerin heute auf Sport und Leid blickt - und ihre eigenen Grenzen.

Von Nadine Regel

Der erste Beinamputierte, die älteste Frau, der erste Veganer auf dem Gipfel - man muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, um am Everest aufzufallen. Wenn Jost Kobusch sein Vorhaben irgendwann vielleicht doch noch schafft, würde er seinen Namen in die Besteigungsgeschichte schreiben. Dass erfahrene Profis finden, sein Ziel sei kaum zu erreichen, scheint ihn anzuspornen: "Mir geht es ja gerade um den Aufbruch ins Unbekannte, um Exploration", sagt er, "ich möchte Dinge versuchen, die unmöglich erscheinen und daran wachsen".

Zur Hauptsaison sind Hunderte Bergsteiger am Everest unterwegs, im Winter herrscht dort Ruhe. Eigentlich schätze er die meditative Stille und die Einsamkeit am Berg, sagt Kobusch, der in den Pausen liest, schreibt und Nachrichten nach Hause schickt. Mittlerweile hat man selbst am Everest Mobilfunkempfang und kann vom Westgrat aus Fotos auf Instagram posten und Sprachnachrichten nach Deutschland senden. Manches davon klingt nachdenklich. Auf die Frage, was der Sinn seiner Expedition sei, antwortet der junge Bergsteiger: "Tja, wozu? Ich besteige einen bedeutungslosen, eisigen Steinhaufen, ich produziere nichts, ich hinterlasse nichts - es hat objektiv gesehen keinen Sinn. Aber ich habe so eine große Neugier in mir auf dieses Projekt, dass ich es aus eigenem Antrieb heraus einfach machen muss."

Obwohl er auf 6500 Metern umdrehen musste, sieht sich Kobusch nicht als Verlierer. Eines seiner Ziele, so viel wie möglich über die Bedingungen seiner geplanten Route zu lernen, habe er erreicht. Es gefällt ihm, nicht zu wissen, ob sein Projekt überhaupt möglich ist. Beim Warten im Basislager liest er viel, darunter auch Motivations-Literatur. "Mein Lieblingsbuch zurzeit: Positive Psychologie für Dummies", schreibt Kobusch auf Instagram. In dem Buch geben zwei Psychologinnen Tipps, wie man mit schwierigen Gefühlen umgehen und sein Leben glücklicher und gesünder gestalten kann. "Mit den aktuellen Bedingungen am Berg brauche ich dieses Buch auch!" Der viel zitierte Spruch von Herbert Achternbusch bekommt in diesem Zusammenhang eine alpinistische Bedeutung: "Du hast keine Chance, also nutze sie."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMount Everest
:Am Gipfel der Pandemie

Die zweite Corona-Welle aus Indien trifft Nepal mit voller Wucht. Das Land ist denkbar schlecht vorbereitet, der Sauerstoff wird knapp. Doch die Touristen wollen trotzdem auf den Everest.

Von Nadine Regel

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: