Schweden ist angeblich das säkularste Land der Welt, kirchliche Feiertage werden kaum noch gefeiert, ja viele wissen oft gar nicht mehr, dass und was da überhaupt jeweils gefeiert wird. Und so gingen denn am Samstag vor einer Woche viele Göteborger in ihre Stadtbibliothek, um sich Bücher auszuleihen. Was sie nicht wussten: Es war Allerheiligen, was die Schweden am ersten Samstag im November begehen, und die Bibliothek eigentlich geschlossen. Irgendjemand hatte aber vergessen, am Freitagabend abzusperren.
Als eine der Mitarbeiterinnen nachmittags an dem Gebäude vorbeiradelte, wunderte sie sich über den munteren Betrieb darin und rief ihre Kolleginnen an. Die kamen und stellten staunend fest, dass es eigentlich wie immer war, reges, ruhiges Miteinander, Zeitungsleser, Familien in der Kinderabteilung. Die Bibliothekarinnen beschlossen, so zu tun, als ob nichts wäre, und machten eine Durchsage, dass man jetzt schließe und die Leute doch bitte gehen sollten. Und dann haben sie bang Inventur gemacht.
Das letzte Mal, dass irgendwelche Bibliotheken größer in den schwedischen Medien vorkamen, war 2017, da ging es um Jugendbanden, die einzelne Dependancen in Stockholmer Vororten verwüstet hatten. Die aktuelle Nachricht ist eine Art Antidot und wird durch die schwedischen Zeitungen gereicht wie eine Wunderkerze in novemberdüsteren Zeiten: An jenem Samstag sind über den Tag verteilt 446 Göteborgerinnen und Göteborger in ihre leere Bibliothek gekommen, 245 Bücher waren ordnungsgemäß ausgeliehen, nichts war verschwunden, verdreckt oder zerstört, im Gegenteil, einige hatten sogar brav ihre Bücher zurückgebracht. Insgesamt wohl das schönste Lesezeichen dieses Jahres.
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