Fleur W. suchte und las, las und suchte. Was soll man auch tun, wenn man 31 Jahre alt ist, Krebs im Endstadium hat und die Ärzte im Universitätsklinikum sagen, dass sie nichts mehr machen können? So fahndete Fleur W. im Internet nach einer letzten Chance, und im Juni glaubte die Niederländerin sie in Deutschland gefunden zu haben, gleich hinter der Grenze. In Brüggen-Bracht am Niederrhein bot der Heilpraktiker Klaus R. eine "biologische Krebstherapie" an. Eine Therapie mit zweifelhafter Wirkung. Und, so hat es mehr und mehr den Anschein, offenbar eine sehr gefährliche Therapie.
Drei Wochen nach ihrem ersten Besuch bei Klaus R. muss Fleur W. die Behandlung abbrechen; zu schlecht ergeht es ihr, sie stirbt Ende Juli. Ein Einzelfall. Doch nur wenige Tage später kommt es unter den Patienten des Behandlungszentrums in Brüggen-Bracht zu einer außergewöhnlichen Häufung von Todesfällen. Eine 43-jährige Niederländerin, ein 55-jähriger Niederländer und eine 55-jährige Flämin sterben wenige Tage, nachdem sie dort eine Infusion erhalten haben. Zwei weitere Frauen liegen noch im Krankenhaus.
Alle fünf wurden am 27. Juli bei R. behandelt. Dessen Klinik ist inzwischen versiegelt, die Staatsanwaltschaft hat die Räume durchsucht, auch darf der Heilpraktiker seinen Beruf nicht mehr ausüben. 26 Patienten meldeten sich derweil bei den Behörden, wie die niederländische Polizei am Dienstag mitteilte. Sie hatte dazu aufgerufen: Es bestehe "ein konkretes Gesundheitsrisiko".
Die Patienten können auch an ihrer Krankheit gestorben sein
An dem Zentrum in Brüggen-Bracht steht heute kein Name mehr. Drei Praxisräume hatte es hier bisher gegeben, mit jeweils vier Behandlungsstühlen. Und meist waren diese gut gefüllt, wie Patienten niederländischen Medien berichteten. Gelockt wurden sie alle mit einer angeblich biologischen Behandlung, die "100 Prozent frei von giftigen Stoffen" sei, wie es auf der Website des Zentrums heißt, "im Gegensatz zur Chemotherapie, die fast komplett toxisch ist".
Ob die angeblich so sanfte Behandlung den Patienten den Tod brachte, müssen die Staatsanwälte nun herausfinden. Einfach wird das nicht. Schließlich können die Krebspatienten auch an ihrer Krankheit gestorben sein.
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Doch mindestens die Sache mit der biologischen Behandlung ist anrüchig. Zu den Mitteln, die Klaus R. den fünf Patienten vom 27. Juli verabreichte, gehörte offenbar die Substanz 3-Bromopyruvat (3-BP). Das Mittel ist synthetisch hergestellt und ein Zellgift, mit Biologie hat es wenig zu tun. Vor allem aber wurde 3-BP bislang nur im Tierversuch getestet, es ist weit entfernt von einer Zulassung als Medikament.
Wie R. an 3-BP kam, ist bisher offen. Die Ehefrau der verstorbenen Belgierin Leentje C. sagt RTL Nieuws, R. habe das Mittel früher aus Deutschland bezogen und erst seit Kurzem aus den USA. Als Leentje C. über Beschwerden klagte, habe R. die Firma kontaktiert. Aber man habe ihm versichert, dass alles in Ordnung sei.
Wie Leentje C. und Fleur W. sind todkranke Menschen oft zu allem bereit, um ihr Leben zu verlängern. Sie zahlen Tausende Euro für Therapien, deren Wirkung im besten Fall unbewiesen ist, im schlechtesten tödlich. Viele misstrauen auch der Schulmedizin und wünschen sich eine Behandlung jenseits der oft belastenden Chemotherapie. Selbst der so technikaffine Apple-Gründer Steve Jobs ließ sich nach der Diagnose seines Bauchspeicheldrüsenkrebses neun Monate lang ausschließlich "alternativ" behandeln, bevor er doch in eine Operation einwilligte. Er habe quasi Suizid begangen, sagten Fachleute nach seinem Tod.
Gerade Deutschland gilt als Mekka für paramedizinische Angebote, die im Ausland oft verboten sind. Klaus R. schreibt auf seiner Website in niederländischer Sprache, er habe seine Praxis in Deutschland, weil "Heilmeister" wie er in den Niederlanden eben nicht arbeiten dürften.
Frischzellenbehandlungen, Stammzelltherapien oder "biologische" Krebstherapien - für all das gibt es hierzulande zuhauf Angebote. Mehr Kontrolle darüber fordert der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. "Es kann nicht sein, dass hier Substanzen verabreicht werden, die anderswo verboten sind", sagt er. "Mit der Hoffnung auf Leben kann man sehr gute Geschäfte machen. Der Staat muss klare Regeln setzen."
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Der Markt sei "gigantisch", sagt auch Olaf Ortmann, Vizepräsident der Deutschen Krebsgesellschaft. Er betont, dass es mitunter zusätzlich zu konventionellen Therapien mögliche Wege gebe. "Aber man kann Patienten nur empfehlen, sich in spezialisierten Krebszentren behandeln zu lassen, wo Fachleute den Zugang zu innovativen Therapien herstellen können, die seriös sind."
Sie nannten ihn Klaus
Dass die Patienten R. so sehr vertrauten, lag wohl auch an seinem warmherzigen Umgang mit ihnen. Klaus, wie er genannt werden wollte, war immer da, geduldig und mitfühlend, berichten Angehörige. Auf Bildern sieht man einen freundlichen Herrn mit Bart und grauem Haar. Dass er gar kein Arzt war, sondern im Schnellverfahren Heilpraktiker wurde, nachdem er jahrelang Medizintechnik in Kliniken verkauft hatte, spielte für sie keine Rolle.
Als es wichtig gewesen wäre, war R. allerdings nicht mehr da. Bald nach der Infusion am 27. Juli erging es den fünf Patienten schlecht, sie litten unter Schmerzen und Krämpfen. R. soll ihnen da einfach eine Vitaminspritze gegeben und sie nach Hause geschickt haben. Geschäftemacher? Scharlatan? Oder doch um seine Patienten bemüht? Was Klaus R. angetrieben hat, müssen die Ermittlungen klären. Ob er selbst an seine Therapie geglaubt hat? Seine Klinik bedauerte in der vergangenen Woche die Todesfälle - und den "unbegründeten Verdacht".