Gesetz:Eigentümern drohen Rechnungen für Erschließungsbeiträge

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Viele Grundstückseigentümer werden sich in den nächsten Jahren die Augen reiben: Auch 20 Jahre nachdem der Teer vor ihrer Haustür trocken ist, kann die Kommune Anlieger noch zu Kostenbeteiligungen für Infrastruktur heranziehen - so hat es der Landtag beschlossen.

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Düsseldorf (dpa) - Grundstückseigentümer in Nordrhein-Westfalen müssen deutlich länger als bisher damit rechnen, an Kosten für neue Straßen und andere kommunale Infrastrukturmaßnahmen beteiligt zu werden. Das regelt ein umstrittenes Gesetz, das der Düsseldorfer Landtag am Mittwochabend mit den Stimmen der schwarz-grünen Regierungsfraktionen verabschiedet hat. Die drei Oppositionsfraktionen SPD, FDP und AfD stimmten dagegen.

Die bisherige Verjährungsfrist für solche Kostenbeteiligungen, die erst im Juni 2022 in Kraft getreten war, wird von zehn auf zwanzig Jahre verdoppelt. Das entspreche der Regelung in der Mehrzahl der Bundesländer, argumentierten die Koalitionsfraktionen.

Die bisherige Höchstgrenze, wonach alle Baumaßnahmen spätestens 25 Jahre nach dem ersten Spatenstich von der Kommune abgerechnet sein müssen, entfällt. Die bisherige Beschränkung der Verjährungsfrist auf Beiträge für die technische Erschließung eines Baugrundstücks wird zudem ausgeweitet auf andere kommunale Ausgleichsabgaben für Anlieger, die etwa von Kanalanschlüssen, Straßenausbau oder Sanierungen profitieren.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) verteidigte die nach nur wenigen Monaten vorgenommene Änderung in einer teils spitzfindig und hitzig geführten Debatte über die korrekte juristische Auslegung höchstrichterlicher Entscheidungen, die über die Köpfe zuhörender Bürger weitestgehend hinweg gegangen sein dürfte. Mit der Neuregelung müssten Rechtsfehler geheilt werden, argumentierte sie.

Die 25-Jahresfrist liege nicht in der Kompetenz der Länder und sei nicht zu halten. Die 10-Jahresfrist sei für die Kommunen nicht praktikabel. Es sei aber ein fairer Ausgleich zu schaffen zwischen den berechtigten Interessen der Bürger an berechenbaren Belastungen und denen der Kommunen, betonte sie. Letztere müssten etwa beim Anschluss von Bauland an Straßen mit hohen Beiträgen für einen sehr begrenzten Kreis von Nutzern - und eben nicht für die Allgemeinheit - in Vorleistung treten.

Die Oppositionsfraktionen befürchten hingegen einen unzumutbaren Griff in die Portemonnaies der Anwohner. Die müssten nun über viele Jahre mit Rechnungen in oft fünfstelliger Höhe rechnen, kritisierten sie.

In einer Anhörung zu dem Gesetz habe der Verband Wohneigentum hochgerechnet, dass die Landesregierung die Bürger mit dieser Kehrtwende mit mindestens einer halben Milliarde Euro belaste, heißt es in einem gemeinsamen Änderungsantrag von SPD und FDP, der mit den Stimmen der Regierungsmehrheit abgelehnt wurde. Er enthält Extrem-Beispiele über Abschlussrechnungen, die Anwohnern teils noch 76 Jahre nach dem ersten Spatenstich ins Haus geflattert seien, weil Maßnahmen über Jahrzehnte nie ganz fertiggestellt worden seien.

Der CDU-Abgeordnete Fabian Schrumpf warf der Opposition vor, „mit einer Handvoll Straßen im Land“ billige politische Stimmungsmache zu betreiben und die Bürger zu verunsichern. Solche Extremfälle müssten nun der Aufsicht vorgelegt werden, versicherte Scharrenbach. Als Beispiele nannte sie Nettetal und Mechernich. Es werde überprüft, ob es „möglicherweise verfehlt erhobene Beiträge“ gebe. Außerdem kündigte sie einen Erlass zur Klärung an, ab wann die Fristen für die Eigentümer greifen.

Bei der nun rückwirkend zum 1. Juni 2022 gekippten 25-Jahres-Frist sei landläufig der erste Spatenstich maßgeblich und praktikabel, sagte der FDP-Abgeordnete Dirk Wedel. Diese Höchstgrenze sei durchaus rechtssicher und gelte etwa auch in Bayern. Schwarz-Grün wolle aber „die Einnahme-Erwartungen der Kommunen bedienen und dafür die Bürger belasten“.

Auch der AfD-Abgeordnete Sven Tritschler warf Scharrenbach vor, nach der Landtagswahl im Mai 2022 und dem Wechsel von der FDP zum neuen Grünen-Koalitionspartner „die Uhr zulasten der Bürger wieder zurückgedreht“ zu haben. Der SPD-Abgeordnete Justus Moor forderte die Regierung auf, ihren alten schlechten Gesetzentwurf einfach rechtssicher zu machen anstatt Tausenden Anliegern mit einer bürgerunfreundlichen Kehrtwende in den Rücken zu fallen.

Der Grünen-Abgeordnete Robin Korte warf der Opposition vor, mit Halbwahrheiten zu argumentieren und den Anliegern Dinge zu versprechen, die rechtlich nicht zu halten seien. Nach den Forderungen der Opposition würde den Kommunen Schaden in mindestens dreistelliger Millionenhöhe entstehen, sagte er. Die Umlage der Erschließungskosten sei „verursachergerecht und sozial“, weil so nicht die Allgemeinheit für Leistungen zahlen müsse, von denen wenige profitierten.

Der Bund der Steuerzahler hatte im Vorfeld kritisiert, das Gesetz sei „an Bürgerunfreundlichkeit nicht zu überbieten“. Nun könne eine unerwartete, hohe Rechnung über Tausende oder Zehntausende Euro sogar wieder die zweite oder gar dritte Generation von Hausbesitzern treffen.

© dpa-infocom, dpa:230329-99-138588/4

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