Kirchentag:Schöner Schein auf dem Evangelischen Kirchentag

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Der ehemalige US-Präsident Barack Obama gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Evangelischen Kirchentag. (Foto: AFP)
  • Gut 106 000 Dauergäste hatten sich bis Kirchentagsbeginn angemeldet, eigentlich hatte man mit 140 000 Dauergästen gerechnet.
  • Vor allem der große Abschlussgottesdienst in Wittenberg droht ein recht kleiner zu werden.
  • Für Kritiker hat der Schwund nicht nur äußere Gründe.

Von Matthias Drobinski, Berlin

Applaus für den Großimam. Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb aus Kairo ist zum Kirchentag gekommen, in die Halle 20 des Messegeländes; der Chef der Al-Azhar-Universität ist eine der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islams. "Der Islam gestattet nicht, Waffen einzusetzen, es sei denn zur Abwehr von Angriffen oder zur Selbstverteidigung", ruft er den 2000 Zuhörern zu. Und: "Der Islam trägt keine Schuld an den Terroranschlägen." Die "verabscheuungswürdigen Verbrechen" stünden "nicht für den Islam und die Muslime", sagt al-Tayyeb. Der Terror komme vom Teufel und sei der Feind der Religion, "einstimmig sollen die Glocken läuten und die Muezzine zum Gebet rufen und sagen: Schluss mit diesen Verbrechen im Namen der Religion!"

. Da verurteilt einer mit aller Schärfe Gewalt, das finden die Kirchentagsbesucher gut, auch CDU-Innenminister Thomas de Maizière, der nach dem Großimam reden soll. Aber kann man das so einfach sagen: Die Gewalt hat nichts mit dem Islam zu tun? Die Frage aber, ob Religionen nicht doch ein Gewaltpotenzial haben, kommt nicht.

Thomas de Maizière redet über Toleranz, zu der aber auch der Streit gehöre. Das bleibt dann so stehen. "Woher kommt Ihr Impetus, dass Sie uns die Hand reichen?", heißt die erste Frage des Moderators. Als er später zu den Kopten in Ägypten kommt, unterbricht ihn de Maizière: Gerade kommt die Meldung, dass Bewaffnete einen Bus koptischer Christen angegriffen und viele Menschen getötet haben. Al-Tayyeb ruft zu einer Schweigeminute auf, die Leute erheben sich. Der Großimam wiederholt: Das waren keine Muslime, das waren keine Ägypter.

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Der Freitagvormittag mit dem Großimam und dem Innenminister ist typisch für diesen Kirchentag in Berlin und Wittenberg. Man feiert groß 500 Jahre Reformation, da kommen auch die großen Namen, Barack Obama, der Großimam, der Schriftsteller Amos Oz, die deutschen Kirchenvertreter und die Spitzenpolitik des Landes sowieso, an diesem Freitag auch SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz. Im mehrheitlich säkularen Berlin wimmeln fröhlich die Christen, und trotzdem ist eine gewisse Verunsicherung zu spüren: Sind wir noch das, was wir sein wollen - Zeitansage, Ort des strittigen Diskurses? Oder hat das Treffen doch einiges von seiner Strahlkraft verloren?

Der Kirchentag hatte mit 140 000 Dauergästen gerechnet

Gut 106 000 Dauergäste hatten sich bis Kirchentagsbeginn angemeldet, 200 000 Menschen drängten sich am "Abend der Begegnung" in der Stadt, 80 000 feierten den gewesenen US-Präsidenten Barack Obama und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel - das sind beeindruckende Zahlen. Allein: Der Kirchentag hatte mit 140 000 Dauergästen gerechnet. Zum Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin kamen 200 000 Dauergäste; in Dresden zählte man 2011 immerhin 118 000.

Vor allem droht der große Abschlussgottesdienst in Wittenberg, dem Ort, an dem Martin Luther 1517 seine 95 Thesen veröffentlichte, ein recht kleiner Abschlussgottesdienst zu werden. Bis zu 200 000 Menschen passen dort auf die Elbwiese, die Bahn hat für den Sonntag die Strecke zwischen Berlin und der Lutherstadt für den normalen Verkehr gesperrt, die Bundeswehr wird eigens eine Pontonbrücke über die Elbe bauen.

Bislang sind aber nur 10 000 Bahnkarten verkauft. Viele Kirchentagsbesucher fürchten offenbar das Chaos der Massenreise von Berlin nach Wittenberg, andere finden wohl einen Sonnentag in der Hauptstadt attraktiver, und der Abschlussprediger, Erzbischof Thabo Makgoba, Primas der Anglikanischen Kirche in Südafrika, elektrisiert in Deutschland nicht die Massen. Mit 100 000 Teilnehmern rechne man, heißt es nun. Doch sollte das Fernsehen am Sonntag viele Rasenlücken zeigen, bliebe kein schöner letzter Eindruck vom Treffen.

Für Kritiker hat der Schwund nicht nur äußere Gründe. Der Kirchentag schmore zunehmend im eigenen Saft, hat der evangelische Staatskirchenrechtler Hans Michael Heinig ziemlich scharf vor dem Kirchentag in der Zeit-Beilage Christ und Welt geschrieben: Ohnehin schon Überzeugte bestätigten sich selbst in ihrem Moralüberschuss, das Treffen diene der Selbststärkung der engagierten Gruppen - und weniger, um in Welt und Gesellschaft hineinzuwirken.

Das ist ein bisschen böse, weil der Kirchentag auch immer dazu diente, die Schwestern und Brüder zu stärken, die sich zu Hause als engagierte Christen zunehmend in der Minderheit sehen. Und gerade in Berlin hat sich das Vorbereitungsteam einige Mühe gegeben, um der Kritik zu begegnen, die es schon seit einigen Jahren gibt: dass das Treffen zwar vielfältig ist, den Streit aber meidet.

Neuer Präsident

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hans Leyendecker, 68, wird Präsident des Evangelischen Kirchentages 2019 in Dortmund. Der langjährige Leiter des Investigativ-Ressorts der Süddeutschen Zeitung (SZ) wird das Amt im Oktober von Christina Aus der Au übernehmen, die den aktuellen Kirchentag geleitet hat. Ursprünglich war Frank-Walter Steinmeier für das Ehrenamt vorgesehen, als Bundespräsident stehe dieser aber nun nicht mehr zur Verfügung, sagte Aus der Au. Nun freue sie sich, dass Leyendecker (Foto: Schellnegger), der nach wie vor für die SZ schreibt, "mit seiner Kompetenz und Erfahrung den Kirchentag in Dortmund prägen wird".

Das Christentreffen hat sich, anders als der Katholikentag, an die Frage gewagt, wie sich das Christsein und das Engagement mit der AfD verträgt; der Berliner Bischof Markus Dröge und die AfD-Vertreterin Anette Schultner redeten tapfer aneinander vorbei. Ein Podium stritt, viel direkter als der Großimam und der Innenminister, über mögliche Reformen im Islam. Und bei Verteidigungsministerin Ursula von der Leyens Bibelarbeit seilten sich Friedensaktivistinnen ab und protestierten gegen Militäreinsätze im Ausland. Ganz falsch ist Heinigs Kritik aber nicht: Jemand, der in der Asyldebatte eine Flüchtlingsobergrenze fordert, findet sich im Programm nicht.

Dafür gibt es neue Mitmach-Formen, Planspiele zum Beispiel. Der Plot: In der fiktiven Kleinstadt Bad Oderraus stehen auf einmal zwei Vertreter einer Partei zur Wahl, die ihren Kritikern als rechtspopulistisch gilt. Was nun? Tolerant sein? Oder intolerant gegenüber der Intoleranz?

Am Freitagnachmittag diskutieren sich in der Berliner Messe 80 Menschen die Köpfe heiß - sie haben verschiedene Rollen auszufüllen: den Pfarrer, der Frieden in der Gemeinde will, die Jugendlichen, die heftig protestieren, der Kirchenvorstand, der sagt: Was geht mich das an? Gar nicht so einfach, die richtigen Argumente zu finden. Am Ende steht der Kompromiss: Die beiden dürfen kandidieren - und es gibt eine Vortragsreihe zum Thema Toleranz.

Eine Demokratie-Übung. Vielleicht die Zukunft des Christentreffens.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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