Katastrophenhelfer in Indonesien:"Die Menschen schlafen aus Angst draußen vor den Häusern"

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Kaum Wasser, kaum Lebensmittel, kaum Benzin: Ersthelfer Markus Hohlweck über die Situation auf der Insel Sulawesi nach den Beben und dem Tsunami.

Interview von Clara Lipkowski

Mindestens 1763 Menschen sind gestorben, Tausende werden noch vermisst: Das ist Indonesien mehr als eine Woche nach Erdbeben und Tsunami. Nun hat am Samstag auch die Erde in Haiti gebebt, mindestens elf Menschen kamen ums Leben. Haiti hat sich noch nicht von dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2010 erholt, damals starben mehr als 220 000 Menschen. Ein Anruf bei Katastrophenhelfer Markus Hohlweck, der im indonesischen Palu auf der Insel Sulawesi Ersthilfe leistet.

SZ: Sie waren 2010 und vor zwei Jahren auf Haiti, nachdem die Insel von einem heftigen Erdbeben und später von einem Hurrikan verwüstet wurde. Jetzt bebte wieder die Erde. Wie weit wird das erneute Beben das Land zurückwerfen?

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Luftaufnahmen zeigen, dass in der Stadt Palu nach Erdbeben und Tsunami Hunderte Häuser zerstört worden sind. Zudem haben Hilfskräfte einige der betroffenen Gebiete noch nicht erreicht.

Markus Hohlweck: Was jetzt in Haiti passiert ist, habe ich bisher nur online gelesen. Was ich weiß, ist, dass ein Erdbeben bei einer Stärke von 5,9 nicht verheerend sein muss, aber sehr wohl kann. Nicht zwingend ist die Gegend im Epizentrum am meisten zerstört. Man muss jetzt weitere Informationen abwarten.

Sie sind jetzt in Palu auf Sulawesi. Sind Ihre Eindrücke der Einsätze vergleichbar?

Ähnlich ist, dass wie damals in Haiti auch hier viele Zugangsstraßen unpassierbar sind. Auf Sulawesi ist die Küstenlinie komplett zerstört. Mehrere hundert Meter bis ins Landesinnere hinein steht kein Stein mehr auf dem anderen. Dafür sind Städte im Landesinneren eher punktuell zerstört, vom Erdbeben. Auf Haiti waren die Erdbebenschäden viel größer. 2010 war das Problem, dass vor allem Port-au-Prince eng bebaut und bewohnt war und das Beben einen Großteil der Häuser zerstörte. Da war es schon aus Platzgründen schwieriger, den Schutt wegzuräumen. Palu ist viel kleiner. Aber auch hier wird es wohl ein, zwei Jahre dauern, bis die Schäden beseitigt sind und man überhaupt an Wiederaufbau denken kann. Man überlegt jetzt, ganze Dörfer an anderen Orten aufzubauen.

Wie geht es Ihnen in dieser Situation?

Man fragt sich: Was macht das mit den Menschen? Wir waren in einem Gebäude, in dem Menschen erstversorgt wurden. Dort wurde auch gebetet, gesungen und geweint. Da saßen Kinder, gerade mal fünf Jahre alt, mit geschlossenen Augen ins Gebet versunken. Das berührt einen.

Weil Sie sehen, wie traumatisiert die Menschen sind?

Ja. Als Ersthelfer denken wir hier sehr praktisch, wir müssen funktionieren. Wir fragen zum Beispiel, wie viele Matratzen müssen wir bestellen? Dazwischen hört man katastrophale Geschichten. Man hört von Kindern, die aus den Armen der Eltern gerutscht und in riesigen Matschlawinen versunken sind. Man hört, wie sich die Erde plötzlich auftat, ganze Dörfer in einem Loch verschwanden. Da ist es schwer, zu unserer Routine zurückzufinden.

Wie gut sind die Menschen versorgt?

Es gibt kaum Wasser, kaum Nachschub an Lebensmitteln und höchstens fünf Liter Benzin am Tag. Die wenigen Lkws, die Palu auf dem Landweg erreichen, werden geplündert - wobei plündern eigentlich das falsche Wort ist. Die Leute holen sich, was sie brauchen. Sie haben Hunger und wollen nicht warten, bis die Lastwagen offiziell entladen werden. Wenige Lastwagen kommen dorthin, wo sie hin sollen, auch die Polizei kann das nicht immer verhindern.

Aber es gibt doch den Flughafen.

Ja, die Landebahn ist inzwischen repariert, so dass die Luftbrücke intensiviert werden konnte und die Lebensmittelversorgung von Tag zu Tag besser wird. Aber vermutlich erst einmal nur in Palu, über die zerstörten Straßen kommt man nur schwer ins Landesinnere. Da wird die Regierung Wege finden, den Menschen zu helfen.

Wie kann Ihre Organisation helfen?

Wir sind vor allem als Sondierungsteam hier. Wir haben unsere lokalen Partner mit Medikamenten versorgt, damit sie in den Dörfern arbeiten können. Aber die eigentliche medizinische Hilfe übernehmen indonesische Kräfte. Wir sollen uns ein Bild machen und Hilfe veranlassen, die schnellen Effekt zeigt. Brunnen bauen. Medikamente, Zelte, Lampen oder Moskitonetze beschaffen. Die Sachen zu kaufen, ist nicht das Problem. Sie zu den Menschen zu bringen, ist die Herausforderung.

Markus Hohlweck, 57, ist für die Hilfsorganisation "Humedica" auf die indonesische Insel Sulawesi gereist. Er arbeitet als Internist in Bonn und war für "Humedica" unter anderem auf den Philippinen, auf Haiti und auf Lombok. (Foto: privat)

Wie groß ist die Angst der Menschen vor Nachbeben?

Die ist allgegenwärtig. Die Menschen schlafen aus Angst draußen vor den Häusern, selbst, wenn sie gar nicht beschädigt wurden. Krankheiten sind glücklicherweise noch nicht ausgebrochen. Die entscheidende Frage ist, wann die Wasserversorgung wiederherstellt ist. Wenn die Leute anfangen, aus Not das schmutzige Wasser aus den Pfützen zu trinken, werden sich Durchfallerkrankungen wahrscheinlich sehr schnell ausbreiten.

Wie sind Sie untergebracht?

Wir haben unsere Zelte auf der Freifläche eines zerstörten Schwimmbades aufgebaut. Weil kein Geschäft geöffnet ist, haben wir Lebensmittel mitgebracht, aus Gewichtsgründen haben wir uns auf Kekse, Müsliriegel und Instantnudeln beschränkt. Aber wir hoffen natürlich, dass sich die Lage auch für uns normalisiert und wir bald nachkaufen können. Glücklicherweise hat der Schwimmbad-Besitzer noch zwei Autos mit vollen Tanks, die brauchen wir, um ins Umland zu fahren.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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