Justiz - Stuttgart:Geschlechtsidentität im Gefängnis stärker berücksichtigen

Baden-Württemberg
Die Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Foto: Fabian Sommer/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

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Stuttgart (dpa/lsw) - In baden-württembergischen Gefängnissen soll mehr Rücksicht auf die Belange transidenter Häftlinge genommen werden. In neu gefassten Regelungen solle nicht mehr lediglich ausdrücklich zwischen männlichen und weiblichen Gefangenen unterschieden werden, teilte das Justizministerium in Stuttgart auf einen Antrag von Landtagsabgeordneten der FDP und der SPD mit. Stattdessen soll künftig grundsätzlich das jeweilige Geschlecht der Gefangenen berücksichtigt werden. Die Änderung des hiesigen Justizvollzugsgesetzbuchs sei im Anhörungsverfahren. Es werden also Stellungnahmen von verschiedenen Seiten dazu eingeholt.

Transidentität beziehungsweise Transgeschlechtlichkeit oder Transsexualität bedeutet, dass sich Menschen nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen nach der Geburt zugeschrieben wurde. Nach Auskunft des Ministeriums sind derzeit insgesamt acht transidente beziehungsweise intergeschlechtliche Personen im baden-württembergischen Justizvollzug untergebracht.

Geschlechtsspezifische Vorgaben für Männer und Frauen im Strafvollzug gibt es zum Beispiel für körperliche Durchsuchungen. Für Gefangene mit Geschlechtsidentitäten jenseits dieser Zweigeschlechtlichkeit sind dem Ministerium zufolge flexible Lösungen im Einzelfall möglich.

Wiederum gibt es nur für Frauen die Möglichkeit, in einer Mutter-Kind-Abteilung untergebracht zu werden. Eine gemeinsame Unterbringung von nicht-weiblichen Personen und Kindern ist laut Ministerium im Justizvollzugsgesetzbuch nicht vorgesehen und wäre im Moment faktisch unmöglich. "Eine gemeinsame Unterbringung männlicher Gefangener mit Kleinkindern in einer nicht speziell hierfür vorgesehenen allgemeinen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt ist wegen der damit verbundenen Gefährdung des Kindeswohls unzulässig."

Schon jetzt werden laut dem Ministerium Fälle transidenter Häftlinge mit den Justizvollzugsanstalten, dem Medizinischen und gegebenenfalls dem Psychologischen Dienstes besprochen. "Nicht selten" würden Betroffene im Justizvollzugskrankenhaus interdisziplinär untersucht und behandelt, bevor sie verlegt oder inhaftiert werden. Auch Operationen und Psychotherapien während der Zeit im Gefängnis seien möglich. "In der Vergangenheit gab es im Justizvollzug bereits mehrere Fälle, in denen es Gefangenen durch behandlerische Maßnahmen ermöglicht wurde, in der von ihrem körperlichen Geschlecht abweichenden Geschlechtsidentität leben zu können", hieß es.

Die Polizei ist bei dem Thema nach Einschätzung von Thomas Ulmer vom Verein VelsPolSüd, der Interessensvertretung für sogenannte LSBTI*-Beschäftigte in Polizei, Justiz und Zoll in Baden-Württemberg und Bayern, schon weiter. Hier habe man gute Erfahrungen gemacht, die man übertragen könne. Bei Durchsuchungen könnten Betroffene beispielsweise wählen, ob das ein Mann oder eine Frau machen soll. In der Justiz sei es schwieriger gewesen: "Das Thema wurde belächelt."

Zwar sei es gut, Beamten und Beamtinnen solche Regeln gesetzlich einheitlich vorzuschreiben, sagte der Vereinsvorsitzende Ulmer. Dann würden sie einfacher akzeptiert. Doch nur eine Gesetzesänderung reiche nicht. "Es müssen ganz viele Schulungen gemacht werden."

Seit 2015 gibt es laut Ministerium im Einführungslehrgang für Justizvollzugsbeamte und -beamtinnen eine Einheit zu interkultureller Kompetenz mit Schwerpunkt LSBT (lesbisch, schwul, bisexuell, trans) - durchgeführt von VelsPolSüd. Hier geht es Ulmer zufolge unter anderem um den Weg, den Transmenschen gehen, um spezielle Ergänzungsausweise, die auch in Datenbanken der Polizei geführt würden, und darum, dass ein Gefängnismitarbeiter nicht rumerzählen darf, dass jemand früher ein anderes Geschlecht hatte. Seit zwei Jahren wird laut Ministerium zudem die Fortbildung "Diversität und Geschlechtsidentität" angeboten. Hieran hätten vergangenes Jahr 21 Menschen teilgenommen.

Gerade Auszubildende seien vergleichsweise offen bei dem Thema, berichtete Ulmer. Aber auch langjährige Kollegen müssten erreicht werden. In Gefängnissen gebe es oft auch wegen kultureller und religiöser Hintergründe Konflikte bezüglich der sexuellen Identität und Orientierung. "Die Beamten und Beamtinnen müssen sensibel sein und mögliche Probleme früh erkennen", sagte Ulmer. Generell sei die Situation im Gefängnis eine bedrückende, für Transidente umso mehr.

© dpa-infocom, dpa:220313-99-499724/2

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