Japan:Not und Spiele

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Der Yoyogi-Park gilt als eine der wenigen grünen Oasen in Tokio. (Foto: Charly Triballeau/AFP)

Seit Monaten versperren Zäune einen Teil des beliebten Yoyogi-Parks in Tokio. Das Hickhack um seine Bebauung hat mit Olympia zu tun - und verärgert die Einheimischen.

Von Thomas Hahn, Tokio

Hinter dem Harajuku-Tor sieht der Yoyogi-Park in Tokio zunächst noch ganz normal aus. Es ist ein schwüler Werktagabend. Zikaden singen. Ganz in der Nähe, jenseits der großen Straße, im prächtigen Yoyogi National Stadium, läuft hinter hohen Zäunen das Rollstuhlrugby-Turnier der zuschauerlosen Paralympics. Und im Park herrscht Feierabendbetrieb. Läufer eilen durch die Lichtkegel der Laternen. Unter den Bäumen haben sich vereinzelte Gruppen zum Picknick niedergelassen. Andere Leute sitzen auf den Steinbänken, die die Springbrunnenanlage säumen.

Aber dort, wo es normalerweise zum kleinen See des Parks weitergeht, ist eine Absperrung. Sie ist so dicht, dass man nicht einmal richtig zum See hinüberschauen kann. Eine Gruppe von Freunden hat es sich am Zaun bequem gemacht. Sie wundern sich. "Warum sollten sie diesen Teil des Parks abschließen und damit den Platz enger machen?", sagt eine junge Frau namens Sydney. "Das ergibt keinen Sinn", sagt einer ihrer Freunde, der sich Mikey nennt.

Die seltsamen Zäune im Yoyogi-Park sind eine Folge der Sommerspiele von Tokio, die Ende Juli mit den olympischen Wettkämpfen begannen und nächsten Sonntag mit der Schlussfeier der Paralympics enden. Sie stehen für den Widersinn öffentlicher Vorhaben, deren Betreiber sich mehr für ihre als für gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse interessieren. An den Parks kann man doch eigentlich immer am besten sehen, wie ernst Lokalpolitik die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger nimmt. Denn die Parks sind die grünen Pausenhöfe in den Zweckwelten der Metropolen, Räume zum Durchatmen im Gewirr aus Straßen und Geschäften. Man muss sie schützen, nicht auch noch zubauen.

Tokio ist eine besonders intensive Metropole, dicht bebaut, nicht sehr grün, von hohen Firmenhäusern geprägt. Man lebt hier, um zu arbeiten, nicht umgekehrt. Parks gibt es auch, einige sehr schöne sogar, Shakudji Koen im Bezirk Nerima zum Beispiel oder den Inokashira-Park in Musashino. Aber nicht sehr viele und nicht sehr große. Der Yoyogi-Park im Bezirk Shibuya ist der größte in der City. Ausgerechnet hier hat die Metropolregierung die größte Wiese weiträumig abgesperrt. Es ist kein Reinkommen, seit Monaten schon. Warum?

"Die Leute haben es satt"

Ursprünglich war im Yoyogi-Park mal ein Public-Viewing-Areal für die Spiele geplant, also ein großes Freiluftkino mit Buden für Speisen und Getränke. Das Vorbereitungsbüro der Sommerspiele im Metropolrathaus von Tokio nannte es "Live-Site". Ende Mai rückten die ersten Fahrzeuge für die Bauarbeiten an. Aber geselliges Olympia-Schauen fanden viele Bürgerinnen und Bürger nicht sehr passend, wenn sie die Abstandsregeln der Pandemie bedachten. Die US-amerikanische Unternehmensberaterin und Wahl-Tokioterin Rochelle Kopp startete eine Online-Petition. Eigentlich um die Bäume im Park zu schützen. Aber aus ihrer Aktion wurde ein Votum gegen die Sommerspiele im Allgemeinen und die Spaßzone im Park im Speziellen. Nach wenigen Tagen hatte Rochelle Kopp mehr als 100 000 Unterschriften zusammen. Sie stellte fest: "Die Leute haben es satt."

Die Metropolregierung lenkte ein, sie sagte das Vorhaben ab. Trotzdem blieben die Zäune, trotzdem kamen die Bauarbeiter, stellten Container-Häuser und Zelte auf. Rochelle Kopp lieferte eine mögliche Erklärung dafür. Bei einer Internetrecherche stellte sie fest, dass die Verträge für den Bau der Public-Viewing-Anlagen im Park von der einflussreichen PR-Agentur Dentsu verfasst waren. Dentsu ist in Japan so etwas wie das vernetzende Mastermind hinter Politik, Wirtschaft und Kulturbetrieb, außerdem Partner des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Verkäufer von Werbemöglichkeiten im Zusammenhang mit den Spielen. Dentsu hat wegen der Pandemie und schlechter Auslandsgeschäfte gerade finanzielle Probleme. Die Annahme liegt nahe, dass Tokios Regierung auch deshalb irgendetwas in den Park stellen musste, weil Dentsu bei einer Absage Verträge nicht erfüllt und Geld verloren hätte.

Statt der Live-Site eröffnete die Metropolregierung auf der Wiese Ende Juni jedenfalls ihr sogenanntes "Yoyogi-Park-Impfzentrum". Hinter dem Projekt steht, das bestätigt das Vorbereitungsbüro auf SZ-Anfrage, die PR-Agentur Dentsu. Zielgruppe der Park-Impfstätte seien Leute gewesen, die im Massenimpfzentrum auf dem früheren Fischmarkt in Tsukiji ihre erste Impfspritze bekommen hatten: "Geimpft wurden Polizisten, Feuerwehrleute und Funktionäre der Tokio-2020-Spiele." Zwischen Anfang Juli und Mitte August bekamen dort täglich etwa 5000 Menschen eine Vakzindosis. Offiziell diente die Aktion dazu, nach der olympiabedingten Schließung der Tsukiji-Impfstelle das Impfprogramm in Gang zu halten, das in Japan später als in anderen G-7-Staaten begann und mittlerweile gut vorankommt. Aber muss man dafür wirklich ins Grüne? Immer noch wird die Wiese von Sicherheitspersonal bewacht. Hinter den Zäunen dröhnen Generatoren. Auf dem Gras liegen Stahlplatten.

Das Vorbereitungsbüro im Rathaus teilt mit, die Impfungen seien abgeschlossen, die Impfstelle werde "bis spätestens Ende September" abgebaut. Die Verwaltung des Yoyogi-Parks bekommt das Areal dann umgeben mit einem orangenen Plastikzaun zurück. Unbeschädigt? Man könne nicht sagen, so die Parkverwaltung, "dass der Bau und die Einrichtung der Impfstätte keine Schäden für den Park verursachen werden." Der Yoyogi-Park wird sich also erst mal erholen müssen von Tokios Spiele-Politik.

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