Italien:Heiliges Jahr beginnt - und Rom ist gerüstet wie für einen Krieg

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Hochsicherheitszone Sankt-Petersplatz: Polizisten prägen in diesen Tagen das Stadtbild Roms. (Foto: Claudio Peri/dpa)
  • An diesem Dienstag eröffnet Papst Franziskus in Rom ein außerordentliches Heiliges Jahr.
  • Die Stadt ist in diesen Tagen verängstigt, die Polizei hat die Gegend rund um den Vatikan für den ganzen Tag zur Hochsicherheitszone erklärt.
  • Die erwarteten Besucherzahlen mussten nach den Terroranschlägen von Paris drastisch nach unten korrigiert werden.

Von Oliver Meiler, Rom

"Roma blindata", gepanzertes Rom. Kein Bild trifft es besser als diese schwere Metapher auf die eingeigelte, verängstigte Stadt in Zeiten des Terrors. Dabei hätte Franziskus' Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit ein Fest werden sollen. Ein Fest für die Kirche. Ein Fest für Rom auch. Die Römer hatten gehofft, sie könnten mit hübschen Bildern ihren ins Gerede geratenen Ruf wieder etwas kurieren, die unschönen Geschichten über "Mafia Capitale" und den großen Verfall überstrahlen.

Und nun das: "Roma blindata" - so steht es in den Zeitungen, so nehmen die Römer ihre Stadt wahr. Vor jeder Metrostation im Zentrum steht Militär in Tarnfarben. Auf den Straßen fährt so viel Polizei wie nie zuvor, nicht selten mit Blaulicht, damit ihre Präsenz auch von allen bemerkt wird. Niemandem steht der Kopf nach Fest und Besinnung. Nicht im Panzer. Zwischen Sorge und Hysterie verläuft halt nur eine feine Linie.

33 Millionen Besucher hatten Experten erwartet. Nun rechnen sie mit einem Drittel

Wenn Franziskus am Morgen dieses 8. Dezembers das Heilige Tor im Dom öffnet, die Hauptpforte zum Ablass, die zwischen den Jubiläumsjahren jeweils zugemauert bleibt, werden Präzisionsschützen auf den Dächern rund um den Petersplatz sitzen, die Massen im Blick. Zwischen 50 000 und 100 000 Gläubige sollen dann draußen auf der großen Piazza und auf der Via della Conciliazione stehen, dem Zugangsboulevard. Das sind nicht viele: An solchen Tagen pilgern sonst fünfmal mehr Menschen über den Tiber. Es sind die mutigen.

Für den Abend ist eine dreistündige Lichtshow geplant mit dem sinnigen Titel "Fiat lux". Auf die Fassade der Basilika, die ausnahmsweise dunkel in der Stadt steht, werden dann Bilder berühmter Fotografen projiziert, deren Motive vom bedrohten Planeten handeln, vom Schutz der Umwelt und des Klimas, frei nach Franziskus' Enzyklika "Laudato si'". Auch dieser Programmpunkt bereitet den Organisatoren Sorgen. Und so hat die Polizei die Gegend rund um den Vatikan für den ganzen Tag zur "Zona rossa" erklärt, zur Hochsicherheitszone. Die geparkten Autos wurden abgeschleppt, alle gusseisernen Abfalleimer entfernt, die Hotels im Borgo Pio durchsucht.

Damit möglichst auch keine Gefahr vom Himmel droht, ließ Roms Präfekt Franco Gabrielli den Luftraum über der Stadt für alle Flugobjekte schließen. Er spricht von einer "No Fly Zone", wie man sie aus Kriegen kennt. Mit einem Fahrverbot innerhalb der Ringstraße wurden Camions belegt, die Gas, Öl und Munition transportieren. Außerdem untersagte Gabrielli den Dreh von Filmen, in denen die Schauspieler Waffen tragen, damit es ja keine Verwirrung gibt. Feuerwerk darf natürlich auch keines gezündet werden.

Als Franziskus im März sein "Giubileo" ankündigte, reagierte Rom zunächst überrascht und aufgeregt, auch ein bisschen besorgt. Und für jede Gefühlsregung gab es gute Gründe. Niemand hatte mit einem außerordentlichen Jubiläumsjahr gerechnet - so nennt man jene Heiligen Jahre, die nicht dem üblichen 25-Jahre-Rhythmus folgen. Als Anlass wählte Franziskus den 50. Jahrestag vom Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Aufgeregt waren die Römer, weil der Ruf des Papstes jeweils Gäste in Massen nach Rom lockt, die das Geschäft mehren, die Hotels füllen, die Restaurants, Bars, Souvenirläden, auch die Kleiderboutiquen. Und wie immer war man auch besorgt, weil die vielen Wallfahrer im fröhlichen Halleluja-Modus die chaotischen, chronisch schlecht organisierten städtischen Dienste wieder an den Rand der Überforderung drängen, vor allem den öffentlichen Verkehr und die Abfallentsorgung.

Bald gab es abenteuerliche Schätzungen über mögliche Besucherzahlen. In den Köpfen setzte sich die Zahl 33 Millionen fest, errechnet von einem Forscherteam der römischen Universität La Sapienza, das auch den wirtschaftlichen Segen kalkulierte, der sich da über die Stadt ergießen würde: Elf Milliarden Euro über fünf Jahre, 5000 Jobs. Im Heiligen Jahr 2000 waren 25 Millionen Menschen nach Rom gereist.

Diesmal, so hieß es, würden noch viel mehr kommen, weil die Preise für Flugreisen in der Zwischenzeit deutlich gesunken seien und weil dieser Papst aus dem Süden vielleicht noch populärer sei als damals der Pole Johannes Paul II. Aus Argentinien würden sie kommen, aus Mexiko, von den Philippinen, dazu wieder viele aus Polen. 33 Millionen - man ließ die hübsche Zahl einfach mal so stehen.

Alle Hoffnung auf ein gutes Geschäftsjahr weicht

Mittlerweile sind die Prognosen korrigiert worden, und zwar drastisch. Mehr als zehn bis elf Millionen Besucher erwarte man nicht, heißt es jetzt, Touristen ohne spirituellen Antrieb eingerechnet. Nach den Terroranschlägen in Paris haben viele ihre bereits gebuchten Reisen wieder annulliert. Die Hotels melden einen Geschäftseinbruch um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die billigeren Bed & Breakfast, bei Pilgern besonders beliebt, klagen gar, mehr als 50 Prozent ihrer Gäste hätten die Reisen storniert. Getrieben von der Angst.

Eine konkrete Terrorgefahr, sagt Italiens Innenminister Angelino Alfano, gebe es nicht, obschon die Terrormiliz Islamischer Staat immer wieder drohe. Unlängst hoben die Carabinieri im norditalienischen Brescia eine Zelle mutmaßlicher Anhänger des IS aus, von denen einer in einem Chat schrieb: "Denkt daran, es wird keinen weiteren Papst geben nach diesem, dies ist der letzte."

Nur Geschwätz? Alfano ist überzeugt, dass Italien besser gewappnet sei gegen den Terrorismus als andere europäische Länder, weil es in seiner jüngeren Geschichte im Kampf gegen linksextreme und neofaschistische Terrorgruppen und gegen die Mafia seine Gesetze notgedrungen verschärft, Methoden und Reflexe verfeinert habe. Doch auch er nennt die momentane Bedrohung "ernsthaft und schwer".

So weicht alle Hoffnung auf ein gutes Geschäftsjahr. In manchen Pizzerien wehrt man sich gegen die allgemeine Trübsal und setzt die "Pizza Giubileo" wieder auf die Speisekarte, wie damals, im Jahr 2000. Es waren bessere, leichtere, panzerlose Zeiten.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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