Island:"Die Landhebung ist in vollem Gange"

Lesezeit: 2 min

Fotos aus dem Ort Grindavík und der Umgebung zeigen tiefe Risse in den Straßen. (Foto: Ruv/Ragnar Visage/via Reuters)

Auf der Halbinsel Reykjanes rechnet der Katastrophenschutz in den kommenden Tagen mit einem Vulkanausbruch. Seit Ende Oktober wurden hier 24 000 Beben registriert. Experten sind besorgt.

Von Alex Rühle, Stockholm

Klaftertiefe Risse quer durch Straßen und Felder, zersplitterte Fenster, windschiefe Häuser: Auf der Halbinsel Reykjanes im Südwesten Islands kommt es derzeit zu immer neuen Erdbeben, der Katastrophenschutz schreibt, man müsse in den kommenden Tagen wohl mit einem Vulkanausbruch rechnen. Allein zwischen Freitagnacht und Samstagmorgen wurden 800 Erdbeben registriert, von denen 14 eine Stärke von mehr als 4,0 hatten.

Am Donnerstag wurde die Blaue Lagune geschlossen, das weltberühmte Geothermalbad. Freitagabend wurde angeordnet, dass die Bewohner von Grindavík den Ort zu verlassen haben. Die rund 3700 Menschen mussten zu Verwandten oder Freunden oder wurden in Hilfszentren in Kópavogur, Keflavík und Selfoss untergebracht, nach drei Stunden war der ganze Ort evakuiert.

Der Geologe Páll Einarsson von der Universität in Reykjavik nennt die Beben im Telefongespräch mit der Süddeutschen Zeitung "eine der bedeutendsten geologischen Sequenzen seit vielen Jahrzehnten". Das will deshalb etwas heißen, weil es in Island permanent rumpelt.

Der zerstörte Golfplatz von Grindavík. Die Bewohnern des Ortes wurden inzwischen aufgefordert, ihr Zuhause zu verlassen. (Foto: Ruv/Ragnar Visage/via Reuters)

Einarsson sagt, es gebe zwar alle zwei Jahre große Ausbrüche, "die finden aber fast alle in unbewohntem Gebiet statt". Der etwa 15 Kilometer lange Magmatunnel, der sich nun unter Reykjanesskagi gebildet hat und an einigen Stellen nur 800 Meter unter der Oberfläche verläuft, zieht sich direkt unter Grindavík entlang. Eine ähnliche Evakuierungsmaßnahme gab es laut Einarsson nur einmal, 1973, als alle Bewohner der Insel Heimaey vor einem Ausbruch des Vulkans Eldfell innerhalb weniger Stunden aufs isländische Festland und damit in Sicherheit gebracht werden konnten.

Im Grunde steckt Island mitten in der Pubertät, die Insel wächst jedes Jahr

Island ist geologisch gesehen eines der jüngsten Länder der Welt, im Grunde steckt die Insel noch mitten in der Pubertät, wächst sie doch im Schnitt jedes Jahr um zweieinhalb Zentimeter nach Ost und West: Unter dem Gestein verläuft der Mittelatlantische Rücken, eine riesige Bruchzone, an der die nordamerikanische und die eurasische Lithosphärenplatte auseinanderdriften.

Es gibt dreißig Vulkansysteme, und in den 1250 Jahren, in denen auf Island Menschen leben, wurden laut Páll Einarsson ungefähr 250 Vulkanausbrüche gezählt. 1783 riss am Laki auf 25 Kilometern Länge eine Feuerspalte auf und produzierte mehr als 120 Millionen Tonnen Schwefeldioxid. Die gesamte nördliche Hemisphäre kühlte sich um 1,5 Grad Celsius ab. In Island sprach man von der "Nebelnot", und in den folgenden zwei bis drei Jahren starben zehn bis 25 Prozent der Bevölkerung und mehr als die Hälfte aller Nutztiere.

Noch spektakulärer muss der Ausbruch der Eldgjá gewesen sein, der im Jahr 934 anfing und dann sechs bis acht Jahre lang unvorstellbare 18 Kubikkilometer Lava produziert hat. Wenn man sich das als fünf Meter breiten und zehn Meter hohen Strang vorstellt, würde er neunmal um den Äquator fließen.

Den letzten historischen Ausbruch auf der Halbinsel Reykjanes gab es 1230, danach war es achthundert Jahre lang "vergleichsweise ruhig", so Páll Einarsson. Seit 2019 aber bebt hier regelmäßig die Erde. Einarsson sagt, die seismische Aktivität habe im Norden von Grindavík ihren Ausgang genommen, unter einem etwa 2000 Jahre alten Kratersystem. Dreimal ist seither das Krýsuvík-Vulkansystem am benachbarten Fagradalsfjall ausgebrochen, ein kleinerer Tafelvulkan nur ein paar Kilometer vom Meer entfernt. Diese effusive Vulkantätigkeit - das eher ruhige Ausfließen der Lava ohne explosive Eruptionen - hat jedes Mal Zehntausende Schaulustige angezogen. Und seit Ende Oktober wurden 24 000 Beben auf der Halbinsel registriert. "Die Landhebung ist in vollem Gange", so Einarsson.

Island
:Die Lava sprudelt

Auf Island spielt sich ein beeindruckendes Naturspektakel ab: Glutrote Lava tritt an die Erdoberfläche - aber nicht wie bei einem klassischen Vulkanausbruch. Die Bilder.

Von Ida Morganti und Lorenz Mehrlich

"Wir sind wirklich besorgt um alle Häuser und die Infrastruktur in diesem Gebiet", sagte Víðir Reynisson, Leiter des isländischen Katastrophenschutzes und Notfallmanagements, am Samstag. Das geothermische Kraftwerk Svartsengi, das den 30 000 Einwohnern der Halbinsel Reykjanes Strom und Wasser liefert, liegt ebenfalls in direkter Nähe des Magmatunnels.

Der Flughafen von Keflavík, der nur wenige Kilometer entfernt liegt, wurde bislang nicht gesperrt. Als bei einer Serie von Ausbrüchen der Eyjafjallajökull im April 2010 Aschewolken in die Atmosphäre blies, wurde der Flugverkehr über Nord- und Mitteleuropa für mehrere Tage eingestellt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWandern in Island
:Alle im Fluss

Canyons, Wasserfälle, Gletscher und Vulkane: Wandern durch Islands ungezähmte Natur ist ein besonderes Erlebnis. Doch das schöne Wilde kann sich schnell gegen einen wenden, wie unser Autor erfahren musste.

Von Hans Gasser

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: