Homosexualität:Kirche wird sensibler - und wertet doch ab

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Der Widerspruch bleibt: Einerseits will die Kirche Homosexuellen mit Respekt begegnen, andererseits stuft sie diese Menschen ab (Foto: dpa)

Homosexuelle Menschen könnten die katholische Kirche bereichern, heißt es in der Synode in Rom. Das klingt nach einer Morgendämmerung in der Kurie. Doch der Widerspruch folgt sogleich.

Von Rudolf Neumaier

Was die römische Kurie am Montag von der Bischofssynode verlauten ließ, klingt nach einer Morgendämmerung. Homosexuelle Menschen könnten die katholische Kirche mit ihren "Gaben und Eigenschaften" bereichern, hieß es im Zwischenbericht. Diese Töne sind neu. An der ablehnenden Grundhaltung der Kirche und ihrer maßgebenden Kleriker gegenüber Lesben und Schwulen wird sich dennoch nichts ändern. Die Bischöfe verweisen weiterhin auf "die moralischen Probleme", die nach ihrer Auffassung "mit homosexuellen Partnerschaften verbunden sind". Gleichgeschlechtliche Beziehungen könnten niemals der Ehe von Frau und Mann gleichgestellt werden.

Einerseits will die Kirche Homosexuellen mit Respekt begegnen, andererseits stuft sie diese Menschen ab. Der Widerspruch bleibt. Aber das kann man sagen: Die Kleriker scheinen sensibler geworden zu sein.

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Gleichgeschlechtliche Beziehungen könnten die Kirche "bereichern": Im Zwischenbericht ihrer Familientagung nähert sich die katholische Kirche Homosexuellen an. Beobachter sprechen von einem "Erdbeben".

In dem Dokument, mit der sich die Erzbischöfe und Kardinäle auf ihr Treffen in Rom vorbereiten sollten, stand noch dieser Satz: "Die große Herausforderung wird darin bestehen, eine Pastoral zu entwickeln, der es gelingt, das rechte Gleichgewicht zwischen der barmherzigen Annahme der Menschen und ihrer schrittweisen Begleitung hin zur authentischen menschlichen und christlichen Reife zu wahren." Eine glatte Diskriminierung. Denn mit den "Menschen" sind hier Homosexuelle gemeint, dies ergibt sich aus dem Kontext, im fraglichen Kapitel sind gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften das Thema. Unter Ziffer 118 kommt dieser Satz, der nichts anderes bedeutet, als dass die Kirche Schwulen nicht nur "christliche Reife" abspricht, sondern auch: "menschliche Reife".

Schwule und Lesben unreife Menschen? Dass sich ihre Interessenverbände noch nicht öffentlich empört haben, liegt wahrscheinlich daran, dass sie die Hoffnung auf eine Reform des Denkens in der katholischen Kirche längst aufgegeben haben. Oder das Papier nicht lasen.

Progressive Gedanken universitärer Theologen

Margaret A. Farley hingegen glaubt noch an die Durchschlagskraft der Vernunft - und einer Nächstenliebe, die irgendwann auch katholische Kleriker von solchen Diffamierungen abhalten wird. Farley, 79, ist eine katholische Ordensschwester, sie lehrte als Professorin Christliche Ethik in Yale und sie schreibt wie viele universitäre Theologen heute nicht das, was ihr die Kirche vorgibt zu denken. Sondern was sie selbst denkt. In ihrem Buch "Just Love", das dieses Jahr mit dem Titel "Verdammter Sex. Für eine neue christliche Sexualmoral" im Theiss-Verlag erschienen ist (414 Seiten, 29,95 Euro), drückt sie ihre Hoffnung auf Reformen unter anderem so aus: "Wir alle sollten uns auf den Tag freuen, an dem es in menschlichen und christlichen Angelegenheiten keine Rolle mehr spielt, ob man homosexuell oder heterosexuell ist."

In ihrem langen Forscherinnenleben hat Farley vielfältige Erkenntnisse über den Menschen und die Ethik erworben, bei Psychologen und Ethnologen, bei Historikern und Kirchenhistorikern, bei Soziologen, Biologen, Philosophen und Neurologen - und auch bei Theologen. Ihre Sexualethik ist ein Vorschlag, der "auf der Gerechtigkeit gründet und sich von ihr herleitet".

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Als "Anomalie" hatte der frühere Papst Benedikt XVI. Homosexualität bezeichnet, als er noch Kardinal Joseph Ratzinger war. Nun wurde bei einer Synode die Frage aufgeworfen, ob die Kirche diese Menschen willkommen heißen könne, ohne die katholischen Vorstellungen von Ehe und Familie zu verletzen. Doch den Bischöfen fehlt der Mut, Geschiedenen und Homosexuellen ein Signal des Aufbruchs zu senden.

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Farley deutet das Scheitern einer Ehe als mögliche "Folge eines genuinen Unvermögens" und "Teil unserer Conditio humana", und vor diesem Hintergrund sei die Entscheidungsfreiheit katholischer Christen arg eingeschränkt. Das katholische Verbot einer Wiederverheiratung nach einer Scheidung hält sie ebenso für unangemessen wie den Ausschluss Wiederverheirateter von Sakramenten. Solches aus römischer Sicht progressives Gedankengut wagen heute auch Moraltheologen an den katholischen Fakultäten der Universitäten zur Diskussion zu stellen. Wer sich als Priester in dieser Richtung äußert, für den ist die Karriere allerdings schnell vorbei.

"Die Geschichte der Kirche in Bezug auf die Sexualität hat so viele Mängel", schreibt Margaret Farley unumwunden. Vor 500 Jahren wäre Schwester Margaret flugs exkommuniziert worden, mindestens. So betrachtet, kann man der Kirche zugute halten, dass sie lernt, wenn auch sehr, sehr langsam. Dennoch spiegelt die Reaktion Roms auf Farleys Buch genau das, was die Fraktion der Reformer bei der derzeit tagenden Bischofssynode zu überwinden trachtet: das Problem der Kirche mit der eigenen Dogmatik.

Dogmatik ist das, was die Kirche sich an Regelwerk aufgebaut hat, und sie beruft sich bei der Verteidigung dieses Werkes immer wieder nur auf die Tradition - also auf sich selbst. Die Lehre, wie sie angeblich seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden kontinuierlich besteht. Dass die von Rom zugelassene Glaubenspraxis in dieser Zeit immer wieder Varianten kannte und die Kirche flexibel war, wenn es die Lage gebot, zeigen Kirchenhistoriker immer wieder aufs Neue. Allein die Dogmenwächter in der Congregatio pro doctrina fidei, der Glaubenskongregation, blenden das beharrlich aus.

Was also schrieben die Glaubenshüter, als sie Farleys Buch in der englischen Erstausgabe gelesen hatten? Sie hatten vor drei Jahren umgehend eine Kommission einberufen, die die Studie prüfte. Natürlich stand schnell fest, dass es "nicht mit den Aussagen des Lehramtes vereinbar" sei. Punkt für Punkt wurde es zerpflückt. Masturbation sei, anders als von Farley dargelegt, "als eine in sich schwere ordnungswidrige Handlung zu brandmarken". Beim Thema "Homosexuelle Handlungen" wies William Levada, der damalige Leiter der Glaubenskongregation, in seiner Notifikation die Nonne mit dem Hinweis in die Schranken, dass "sie nicht einer wahren affektiven und geschlechtlichen Ergänzungsbedürftigkeit" entsprängen. In keinem Fall seien sie zu billigen.

Und da Farley Gerechtigkeit als Argument für das Anerkennen schwuler Lebensgemeinschaften auffuhr, drehte Levada den Spieß um: Um die Legalisierung der homosexuellen Lebensgemeinschaften zu stützen, könne man sich nicht auf das Prinzip der Achtung und der Nicht-Diskriminierung berufen. "Eine Unterscheidung unter Personen oder die Ablehnung einer sozialen Anerkennung oder Leistung sind nämlich nur dann unannehmbar, wenn sie der Gerechtigkeit widersprechen. Wenn man den Lebensformen, die weder ehelich sind noch sein können, den sozialen und rechtlichen Status der Ehe nicht zuerkennt, widerspricht dies nicht der Gerechtigkeit, sondern wird im Gegenteil von ihr gefordert."

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Auf Farleys Argumente ging Rom nicht einmal halbherzig ein. Die Notifikation stützte sich auf den eigenen kirchlichen Katechismus. Sie schließt mit einer Warnung an die Katholiken vor diesem Buch. Papst Benedikt XVI. ließ sie im März 2012 veröffentlichen. Man kann also davon ausgehen, dass sich die wenigsten Erzbischöfe und Kardinäle, die bis zum kommenden Wochenende Fragen zu Ehe und Familie erörtern, mit Margaret Farleys Studie auseinandergesetzt haben und ihre Gespräche - arm an Impulsen - wieder nur um tradierte Regeln kreisen.

In der Jesuiten-Zeitschrift Stimmen der Zeit hat der emeritierte Münchner Moraltheologe Konrad Hilpert im Sommer deutlich gemacht, die "notwendige moraltheologische Vor- und Zuarbeit" für entscheidende Reformen sei längst erledigt. Die beratenden Bischöfe müssten sich darüber im Klaren sein, dass "normabweichendes Verhalten (gemessen an dem, was das Lehramt für unabdingbar hält) nicht zwangsläufig mit verantwortungsfrei und Verzicht auf moralische Orientierung gleichgesetzt werden" könne. Jetzt ist es an den Dogmatikern, darauf und auf die Beiträge der Kirchenhistoriker einzugehen, von denen die sogenannte Tradition immer wieder als selektiv entlarvt wird. Hilpert jedenfalls fordert den "Verzicht auf Bestrafung und Diskriminierung" und vor allem: "Eine ehrliche Sprache."

Versteckte Seitenhiebe gegen reformerisches Denken

Davon scheint Rom weit entfernt zu sein. Das Instrumentum laboris, das die Bischöfe zur Vorbereitung auf ihre Synode zugeschickt bekamen, lässt Rückschlüsse zu. Es ist gespickt mit versteckten Seitenhieben gegen reformerisches Denken. Dass sich Wiederverheiratete ausgeschlossen fühlen, wenn ihnen die Kommunion verweigert wird? Für die geistigen Taktgeber der Bischofssynode geradezu lachhaft: "Es scheint, dass diese Gläubigen sich weigern anzuerkennen, dass die Situation, in der sie leben, als irregulär betrachtet wird." Und irregulär bleibt irregulär.

Am Montag gab die Synode dann ihren Zwischenbericht heraus: Es gebe vielleicht doch Möglichkeiten einer Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten. Wenn das eintritt, wäre es eine Schlappe für die Dogmatiker. Und ein Sieg der Moral.

© SZ vom 14.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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