Havarie der "Costa Concordia":Taucher bergen zwei Leichen aus Wrack

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Zehn Tage nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffs "Costa Concordia" sind zwei weitere Todesopfer aus dem Wrack des Schiffes geborgen worden. Die Behörden zählen damit inzwischen 15 Tote. Über diesen Fakt hinaus gibt es jedoch nur wenig Gewissheit. Spekulationen um blinde Passagiere flammen auf, Schiffsoffiziere beschreiben die Panik an Bord - und Gerüchte um einen Laptop des Kapitäns machen die Runde.

Die Einsatzkräfte vor der italienischen Insel Giglio haben zwei weitere Leichen aus dem Wrack des havarierten Kreuzfahrtriesen Costa Concordia geborgen. Die Zahl der Todesopfer der Schiffskatastrophe stieg damit auf 15. Bergungskräfte und Ermittler vor Ort müssen mit der Ungewissheit zurechtkommen: Unklar ist, wie viele Menschen überhaupt noch vermisst werden, die Identität von mehreren geborgenen Todesopfern konnte noch nicht festgestellt werden. Offen ist, wie es mit den Rettungsarbeiten weitergeht und die Aussagen zum Verhalten des Kapitäns Francesco Schettino werden zunehmend widersprüchlich.

Unbeirrt von der öffentlichen Debatte um das Unglück haben Rettungstaucher am Montag die Suche nach Vermissten im Wrack der Costa Concordia fortgesetzt - und zwei weitere Todesopfer geborgen. Zuvor hatten Taucher ein neues Loch in das Wrack der Concordia gesprengt, um Zugang zu einem Restaurant-Bereich erhalten, wo noch Opfer der Katastrophe vermutet wurden.

Gleichzeitig bereitete sich eine niederländische Spezialfirma auf das Abpumpen des Treibstoffs vor - so soll eine Umweltkatastrophe verhindert werden. Der italienische Zivilschutz gab grünes Licht für die Aktion. Mehr als 2200 Tonnen Schweröl sollen sich noch in den Tanks des Schiffes befinden. Befürchtungen, die Costa Concordia könne weiter abrutschen, entkräfteten die Behörden am Montag: Das Wrack befinde sich in stabiler Lage, sagte der Leiter des Zivilschutzes, Franco Gabrielli. Somit könne die Suche nach Vermissten fortgesetzt und auch mit der Entsorgung des Treibstoffs aus dem Schiff begonnen werden.

Die niederländischen Spezialisten wollen zunächst eine zweite schwimmende Ölbarriere ausbringen. Sie soll die Küste vor einer möglichen Verunreinigung schützen. Außerdem sei ein Tankschiff angefordert worden, in das das Schweröl umgepumpt werden solle, hieß es. Außer dem Schweröl sind auch noch etwa 185 Tonnen Diesel und Schmierstoffe an Bord. Davon trat bereits ein Teil aus und verschmutzte die Wasseroberfläche. Aber auch Reinigungsmittel an Bord und eine große Menge Chlor gefährden die Wasserqualität im Tyrrhenischen Meer. Die überweigend von Tourismus und Fischerei lebenden Menschen auf Giglio drängen auf ein baldiges Abpumpen des Öls.

Blinde Passagiere?

Doch die Unsicherheit über das weitere Vorgehen ist groß. Die Suche nach Vermissten wird dadurch erschwert, dass ihre Zahl immer noch nicht genau zu ermitteln ist. Zivilschutz-Einsatzleiter Gabrielli berichtete, dass eine am Sonntag entdeckte Frauenleiche nicht in den offiziellen Listen eingetragen gewesen sei, es handle sich dabei wohl um eine Ungarin. Vier weitere von insgesamt 13 Leichen seien bisher ebenfalls nicht identifiziert worden, anhand der Passagierlisten sei dies nicht möglich. Gabrielli befeuerte damit einmal mehr Spekulationen über "blinde Passagiere" an Bord des Kreuzfahrtschiffs, die vor einigen Tagen schon die Zeitung La Stampa vorgebracht hatte. Allerdings: Eine 25-jährige Moldawierin, die beispielsweise für eine blinde Passagierin gehalten wurde, bezeichnet sich selbst als regulären Gast. Die Polizei in Moldawien will die Frau noch einmal befragen.

Es sei kein Geheimnis, dass Kapitäne und Offiziere diskret "in gewisser Zahl" Freunde oder Verwandte auf ihr Schiff einladen könnten, ohne dass diese offiziell registriert seien, hatte La Stampa geschrieben. Nicht registrierte Passagiere seien nach den Sicherheitsregeln und Gesetzen nicht zulässig, erklärte dagegen die Reederei Costa Crociere. So bleibt die wahre Zahl der Vermissten offen - nach mindestens 24 Personen wird laut Zivilschutz noch gesucht.

Unter den bereits identifizierten Opfern sind nach Angaben von Carabinieri-Kommandant Rocco Carpenteri ein Deutscher, vier Franzosen - darunter ein Ehepaar - und je ein Mann aus Italien, Spanien und Ungarn.

Unterdessen wird Kapitän Francesco Schettino durch neue Aussagen schwer belastet. Es habe in der kritischen Zeit auf der Kommandobrücke zu viele Unbefugte gegeben, zitierten italienische Zeitungen am Montag aus den Verhörprotokollen der Schiffsoffiziere. "Der Kapitän wurde von dem Gerede abgelenkt", sagte demnach etwa die Offizierin Silvia Coronika. Diese Personen seien mit dem Kapitän auf die Brücke gekommen und hätten beim Manövrieren des Schiffes "gestört".

Nach der Havarie der Costa Concordia
:Schaulustige bevölkern Giglio

Die Bewohner von Giglio wähnen sich in einem schlechten Film. Noch immer wird in dem havarierten Kreuzfahrtschiff nach Toten und Vermissten gesucht, dem Archipel droht eine Umweltkatastrophe - und jeden Tag bringen Fähren Tausende Schaulustige, die sich an der Tragödie erfreuen wollen.

Nach den Aussagen hat es nach der Kollision bei Giglio auch kein "brillantes Manöver" des Kapitäns gegeben, er sei vielmehr panisch auf der Brücke hin und her gelaufen. Das Schiff sei manövrierunfähig in seine finale Position gedriftet. Zudem habe Schettino durch die Berichte seiner Mannschaft schnell vom Ernst der Lage gewusst, berichtet Repubblica.it weiter. Der Evakuierungsbefehl ließ trotzdem weit über eine Stunde auf sich warten - der Zeitpunkt für eine geordnete Rettung verstrich. Die italienische Zeitung dokumentiert detailliert das Verhör Schettinos, in dem er am 17. Januar immer wieder ausweichend antwortete, aber unter anderem ausführlich die verzögerte Reaktion rechtfertigte: "Man kann nicht die Evakuierung einleiten und dann - wenn das Boot nicht sinkt - sagen, das war ein Scherz. Ich will keine Panik auslösen, bei der Menschen umkommen."

"Thriller" um einen Computer

Die Spekulationen um Schettino wollen nicht abreißen, und nicht wenige von ihnen erweisen sich als haltlos. Entgegen italienischer Medienberichte soll er zum Zeitpunkt des Unglücks nicht unter Drogen gestanden haben. Haar- und Urinproben seien negativ gewesen, berichtete Repubblica.it unter Berufung auf Schettinos Anwalt Bruno Leporatti.

Doch in der unklaren Faktenlage erscheinen manche Vermutungen allzu spannend. Italienische Medien schreiben zum Beispiel vom "Giallo", vom Thriller also um einen mysteriösen Laptop. Den soll der beschuldigte Kommandant Schettino von Bord gebracht haben. Der Computer sei nicht zu finden, Schettino habe ihn möglicherweise auf Giglio an eine blonde Frau weitergegeben, berichtet die Zeitung Corriere della Sera. Völlig offen ist aber, ob auf dem mysteriösen Computer Daten sind, die für die Ermittlungen des Unglücks überhaupt wichtig sein könnten.

Schettino steht unterdessen weiter unter Hausarrest. Ihm werden mehrfache fahrlässige Tötung, Herbeiführung einer Havarie und das Verlassen seines Schiffes während der Evakuierung vorgeworfen. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft. Der suspendierte Kapitän wehrt sich, allein die Schuld für das Unglück auf sich zu nehmen und sagt, die Reederei habe spektakuläre Manöver zu Werbezwecken gefordert. Sein bisheriger Arbeitgeber, Costa Crociere, dementiert das.

Vor Giglio liegt das Ergebnis einer der größten Katastrophen in der jüngeren Geschichte der Kreuzschifffahrt, begafft von zahlreichen Katastrophentouristen. Doch Antworten auf die Ursachen des Unglücks zu finden: Das scheint immer schwieriger.

© Süddeutsche.de/AFP/dapd/dpa/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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