Urteil im Weinstein-Prozess:Schuldig, auch vor dem Gericht

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Betrat den Gerichtssaal gestützt auf einen Rollator und verließ ihn in Handschellen: der frühere Hollywood-Produzent Harvey Weinstein. (Foto: REUTERS)
  • Eine zwölfköpfige Jury hat den ehemaligen Filmmogul Harvey Weinstein wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung schuldig gesprochen.
  • Strittig war unter den Jurymitgliedern bis zuletzt der Vorwurf des "predatory sexual assault" - in diesem Anklagepunkt sprachen sie ihn frei.
  • Weinstein drohen nun mindestens fünf und höchstens 25 Jahre Haft.
  • Wegen Bluthochdrucks wurde Weinstein zunächst nicht wie geplant in das Gefängnis auf Rikers Island, sondern in ein Krankenhaus in Manhattan gebracht.

Aus dem Gericht von Johanna Bruckner, New York

Es ist Tag 32 des Gerichtsverfahrens gegen Harvey Weinstein, mal wieder ein Montag. Um 9.21 Uhr betritt der Mann, der einst eine der mächtigsten Figuren der Filmbranche war, den Gerichtssaal mit der Nummer 99. Wie an fast jedem Verfahrenstag läuft der 67-Jährige tief gebückt, gestützt auf einen Rollator. Zehn Bankreihen passiert Weinstein bis zu seinem Platz, dem Platz des Angeklagten - an diesem Morgen wird er sie zum vorerst letzten Mal entlanggehen. Denn um 11.40 Uhr betritt dann die Jury den Gerichtssaal, sieben Männer und fünf Frauen haben mehr als 20 Stunden über die Schuld des Angeklagten beraten. Einzeln werden nun die fünf Anklagepunkte abgefragt. Zwei Mal antwortet der Sprecher des zwölfköpfigen Gremiums mit "guilty", schuldig.

Die Jury sieht es als erwiesen an, dass Weinstein 2006 der ehemaligen Produktionsassistentin Miriam "Mimi" Haleyi in seiner Wohnung in Soho Oralverkehr aufzwang. Außerdem wird er wegen Vergewaltigung der früheren Schauspielerin Jessica Mann schuldig gesprochen, dieser Übergriff ereignete sich 2013 in einem Hotel in Manhattan. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage zwei Vergewaltigungsstraftatbestände aufgeführt, die Jury entscheidet sich für den minder schweren. Weinstein drohen nun mindestens fünf und höchstens 25 Jahre Haft.

Weinsteins Anwälte wollen den Schuldspruch nicht akzeptieren. Arthur Aidala kündigt kurz nach dem Urteil an: "Es ist so sicher wie die Tatsache, dass ich ein glatzköpfiger Mann bin, dass wir in Berufung gehen werden." Sein Mandant sei überzeugt, dass sämtliche seiner sexuellen Beziehungen einvernehmlich gewesen seien. "Er hat immer wieder gesagt: 'Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig'", beschrieb Aidala dem Portal New York Daily News Weinsteins Reaktion auf den Schuldspruch.

Noch am Freitag hatten die Geschworenen signalisiert, dass sie bei den beiden schwerwiegendsten Anklagepunkten uneins sind: Bei "predatory sexual assault", einem nur schwer ins Deutsche übersetzbaren Straftatbestand, geht es nicht um einzelne Übergriffe, sondern um ein kriminelles Verhaltensmuster gegenüber Frauen. Am Ende lautet das Urteil hier: nicht schuldig. Dennoch ist der Prozess ein Erfolg für die New Yorker Staatsanwaltschaft. Denn das, was für die Öffentlichkeit längst klar schien, musste sie vor der Strafkammer des New York State Supreme Court erst einmal beweisen: Dass Harvey Weinstein nicht nur schuldig erscheint, sondern es auch im juristischen Sinne ist.

Mehr als 80 Frauen haben dem Studioboss seit Publikwerden der ersten Anschuldigungen im Oktober 2017 schweres Fehlverhalten vorgeworfen, die Anschuldigungen reichten von unerwünschten Anzüglichkeiten bis hin zu brutalen Übergriffen. Im ersten großen Prozess der MeToo-Ära ging es im Kern um zwei Frauen, Haleyi und Mann. Vier weitere mutmaßlich Betroffene sagten als Zeuginnen aus. Über sieben Wochen zog sich das Verfahren - und dass der Gerichtssaal mitunter wie eine Bühne wirkte, hatte auch mit dem einstigen Wirkungsfeld Weinsteins zu tun. Vor Gericht sagten Schauspielerinnen aus, Models und Influencerinnen. Menschen, die es gewohnt sind, sich zu präsentieren.

Es galt, den Ruf der New Yorker Strafverfolgungsbehörde wiederherzustellen

Ein Zeuge der Verteidigung, der sich im Gerichtssaal vor der Jury mit Scherzen zu profilieren versuchte, schien den Ernst seiner Lage erst zu begreifen, als er im Kreuzverhör ins offene Messer der Staatsanwaltschaft gelaufen war. Dieses institutionalisierte "Zeugengrillen" vor Gericht - es war vor allem das Forum für Staatsanwältin Joan Illuzzi und ihre Gegenspielerin Donna Rotunno, die Weinsteins Verteidigerteam anführte. Für Illuzzi galt es, den Ruf der New Yorker Strafverfolgungsbehörde wiederherzustellen, die bereits 2015, mehr als zwei Jahre vor Veröffentlichung der Enthüllungsberichte über Weinstein, die Chance gehabt hätte, gegen diesen zu ermitteln. Damals hatte sich das Model Ambra Gutierrez bei der New Yorker Polizei gemeldet und ausgesagt, der Filmproduzent habe sich ihr in seinem Büro in Manhattan aufgedrängt. Obwohl es Gutierrez gelang, Weinstein auf Band eine Art Geständnis zu entlocken, entschied sich die Staatsanwaltschaft gegen eine Anklage.

Der heutige Schuldspruch gegen Harvey Weinstein - er ist nun vor allem ein Verdienst Illuzzis, die die hochbezahlten Verteidiger Weinsteins im Gerichtssaal mehr als einmal in die Schranken wies. In ihrem Schlussplädoyer widerlegte sie das Argument, die sechs Frauen, die im Verfahren von Übergriffen berichtet hatten, hätten dies aus Geltungssucht und Geldgier getan.

Die Schauspielerin Annabella Sciorra habe im Zeugenstand berichtet, dass sie sich in der Folge der Tat beim Anstreichen einer Wand dabei ertappt habe, wie sie ihr eigenes Blut in die rote Farbe mischte. "Welcher Produzent will dieses Bild mit einem Film assoziiert sehen, den er zu vermarkten versucht?", fragte die Staatsanwältin in Richtung der zwölf Jurymitglieder. Die Frauen hätten ausgesagt, um gehört zu werden. "Sie haben ihre Würde geopfert, ihre Privatsphäre und ihren inneren Frieden, in der Erwartung, dass ihre Stimme genug ist, um Gerechtigkeit herzustellen." Während ihres Schlussvortrags stützte sich Illuzzi immer wieder auf die Holzreling vor der Jurybank - es wirkte, als nehme sie die Jurymitglieder persönlich in die Verantwortung.

Frauenrechtlerinnen feiern die Entscheidung als Erfolg

Weinsteins Verteidiger versuchten im Prozess, die Schuldfrage umzukehren: Harvey Weinstein, argumentierten sie, sei das Opfer seines eigenen Ruhms und einer völlig entfesselten Frauenrechtsbewegung. In den Händen der Anwälte wurden Erinnerungslücken und scheinbar widersprüchliches Verhalten zu Waffen - gegen die eigentlich Betroffenen. Der Staatsanwaltschaft warf Verteidigerin Rotunno in ihrem Schlussplädoyer vor, ein Universum kreiert zu haben, in dem "Frauen nicht verantwortlich sind für die Partys, die sie besuchen, die Männer, mit denen sie flirten, die Entscheidungen, die sie treffen, um ihre Karrieren voranzutreiben".

Schauspielerinnen und Frauenrechtlerinnen feiern das Urteil als großen Erfolg. Damit sei eine "neue Ära der Justiz" eingeleitet worden, sagt Tina Tchen, Präsidentin der Stiftung "Time's Up", die gegen sexuelle Belästigung kämpft, in einer Mitteilung. Der Journalist Ronan Farrow, dessen Berichterstattung über Weinstein maßgeblich zum Start der MeToo-Bewegung beitrug, hat nach dem Urteil den Mut der Opfer gewürdigt. "Das heutige Urteil des New Yorker Prozesses gegen Harvey Weinstein ist das Ergebnis der Entscheidung mehrerer Frauen, sich mit hohen persönlichen Risiken an Journalisten und Staatsanwälte zu wenden", schrieb Farrow bei Twitter.

Nach dem Urteil umarmen sich Weinsteins Anwälte. Ihr Mandant ist da schon nicht mehr im Gerichtssaal. Er wurde kurz vorher durch einen Seitenausgang abgeführt, gestützt von zwei Beamten, die Hände vor dem Bauch mit Handschellen fixiert. Das Strafmaß gegen ihn wird erst am 11. März verkündet - ein freier Mann ist Harvey Weinstein schon jetzt nicht mehr.

Wegen Bluthochdrucks wurde Weinstein zunächst nicht ins Gefängnis nach Rikers Island, sondern in ein Krankenhaus in Manhattan gebracht. Verteidigerin Donna Rotunno sagte gegenüber Journalisten jedoch, ihrem Mandanten gehe es "gut".

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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