Gewalt gegen Frauen:Die Wurzel des Übels

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Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben Gewalt in der Familie - wie kommt es zu einer so hohen Zahl? (Foto: Mikko Stig/dpa)

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt Gewalt in der Familie. Wer das ändern will, darf nicht nur Geld zur Verfügung stellen. Die Gesellschaft muss an vielen Stellen für eine wirkliche Gleichberechtigung sorgen.

Kommentar von Meredith Haaf

Während Sie dies lesen, kühlt gerade irgendwo in Deutschland eine Frau den Bluterguss, den der Mann, den sie liebt, ihr zugefügt hat. Vielleicht ist es Ihre Nachbarin, Ihre Schülerin, Ihre Freundin. Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben Gewalt durch einen Partner, Vater, Bruder und manchmal sogar Sohn. Wenn das nun wie jedes Jahr am 25. November, dem Internationalen Tag zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen, zur Sprache kommt, muss man sagen: Gut, dass darüber geredet wird. Gut ist auch, dass das Bundesfrauenministerium für 2020 ein größeres Finanzierungspaket für Gewaltschutzeinrichtungen wie Frauenhäuser bereitstellt.

Schlecht ist jedoch, dass an solchen Tagen Folgendes selten erwähnt wird: Irgendwo reibt sich auch ein Mann die Knöchel, mit denen er der Frau, die ihn liebt, einen Bluterguss verpasst hat. Vielleicht ist es der Nachbar, der Vater der Schülerin, der Freund. Oft kommt Ratlosigkeit darüber auf, wie Frauen in Situationen geraten, in denen sie zu Opfern werden. Viel zu selten wird danach gefragt, wie eigentlich Männer in Situationen geraten, in denen sie zu Tätern werden - und was man dafür tun kann, dass das nicht passiert.

Leserdiskussion
:Wie verbannen wir Gewalt gegen Frauen aus unserer Gesellschaft?

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal im Leben Gewalt in der Familie. Man muss vor allem die Ursachen bekämpfen, kommentiert SZ-Autorin Meredith Haaf.

Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Gewaltverhältnisse entstehen nicht im luftleeren Raum. Sondern da, wo die einen sich im Recht fühlen, die anderen zu dominieren. Es ist richtig und wichtig, die konkrete Hilfe für gefährdete Frauen auszubauen. Zu einer nachhaltigen Bekämpfung der Gewalt würde aber auch gehören, ihre Wurzel zu benennen. Und die liegt in einer Gesellschaft, die zwar die offensichtlichsten Formen weiblicher Unterdrückung abgeschafft hat, in der aber weiter fundamentale Diskriminierung recht ungestört vor sich hin gedeiht.

Das Risiko zu verarmen, ist für Frauen besonders hoch, speziell wenn sie Kinder bekommen, erst recht, wenn sie diese allein erziehen. Die Chance auf ein politisches Mandat, auf öffentliche Anerkennung und dasselbe Gehalt wie ein Mann ist dafür geringer. Dafür werden sie als öffentliche Personen überaus oft zur Zielscheibe von Vergewaltigungsdrohungen und anderer Form der Hassrede. Manch eine Frau erlebt etwa unter der Geburt - dieser doch sehr geschlechtsspezifischen Situation - in der Klinik Erniedrigung, Drohungen, medizinisch unnötige Intimuntersuchungen. Natürlich sind solche Beschränkungen nicht dasselbe wie ein prügelnder Ehemann. Aber sie sind Formen der Abwertung, deren strukturell logische Folge der Übergriff ist.

Wenn die Gesellschaft wirklich etwas ändern will, muss sie für mehr Gleichberechtigung sorgen

Vor zwei Jahren hat Deutschland die "Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt" ratifiziert. Damit hat sich die Bundesregierung verpflichtet, durch Gleichstellung der Diskriminierung und Gewalt vorzubeugen, Aufklärung und Bildung zu leisten. Konkret wäre das etwa: die Finanzierung der Geburtshilfe zu reformieren, Alleinerziehende fair zu besteuern, Gewaltprävention zu betreiben. Das Finanzierungspaket erfüllt das Abkommen längst nicht.

Es ist mittlerweile eine Plattitüde geworden, an Gedenktagen darauf hinzuweisen, dass eigentlich jeder Tag im Jahr "gegen Gewalt" sein sollte. Die Wahrheit ist: Solange sich eine Gesellschaft an so vielen Stellen damit zufriedengibt, dass Frauen die leichter verletzbare Hälfte bilden, so lange werden Frauen all die Verletzungen auch weiterhin erleben. Immerhin dessen können sie sich sicher sein.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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