Erdbebenkatastrophe in Haiti:Regierungschef: Mehr als 100.000 Tote

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Der haitianische Regierungschef rechnet mit mehr als 100.000 Toten durch das schwere Erdbeben. Das Rote Kreuz geht davon aus, dass rund drei Millionen Menschen durch die Katastrophe schwer getroffen wurden - jeder dritte Bewohner.

Der haitianische Regierungschef Jean-Max Bellerive rechnet mit mehr als 100.000 Toten durch das schwere Erdbeben. Dies sagte Bellerive am Mittwoch dem US-Nachrichtensender CNN.

Das Beben ließ den riesigen Präsidentenpalast in Port-au-Prince zusammensacken. (Foto: Foto: Reuters)

Das Erdbeben der Stärke 7,0 ereignete sich am Dienstag um 16.53 Uhr Ortszeit (22.53 MEZ), die Lage war am Mittwoch in weiten Teilen des Landes noch vollkommmen unübersichtlich. International lief ein massiver Hilfseinsatz an.

Die Schäden seien gewaltig, betonte die Nachrichtenagentur Haiti Press Network. Das Beben ließ den riesigen Präsidentenpalast in Port-au-Prince zusammensacken. Hotels, Schulen und Einkaufszentren stürzten ein, ebenso Krankenhäuser und Ministerien.

Nach Einschätzung des Roten Kreuzes sind rund drei Millionen Menschen in Haiti schwer getroffen. Das bestätigte Peter Conneally von der Internationalen Föderation vom Roten Kreuz und Roten Halbmond (ICRC) in Genf.

Im Video: Nach dem schweren Erdbeben auf der Karibikinsel haben zahlreiche Länder Hilfe angekündigt, darunter auch Deutschland. Es wird befürchtet, dass Tausende Menschen bei dem Beben der Stärke 7,0 ums Leben gekommen sind. Weitere Videos finden Sie hier

"Die Grundversorgung, wie Telefonverbindungen, Wasser und medizinische Versorgung, existiert nicht mehr", sagte Simon Schorno vom Internationalen Komitee des Roten Kreuzes.

Mehrstöckige Häuser stürzten ein und begruben Menschen unter sich. Autos wurden verschüttet, Straßen aufgerissen, Strom- und Telefonmasten knickten ein. In stockdunkler Nacht gruben Menschen verzweifelt mit den Händen in den Trümmern, um Verschüttete zu befreien. In Port-au-Prince leben rund 1,2 Millionen Menschen. Haiti ist das ärmste Land des gesamten Kontinents.

"Das ist das Ende der Welt", sagte eine völlig geschockte junge Frau, die das Erdbeben von einem Hügel aus sah. Es gab stundenlang kein Durchkommen, Informationen waren nur schwer zu bekommen. Vielen Haitianern gelang es aber dennoch, im Internet die Welt um Hilfe zu bitten.

"Es fühlte sich an, als ob ein großer Lastwagen durch die Hauswand gekracht wäre. Dann hat es etwa 35 Sekunden lang gewackelt", beschrieb Frank Williams, Landesdirektor der Hilfsorganisation World Vision Haiti, das Beben.

Wegen der zahlreichen Nachbeben brach Panik unter den Menschen aus, blutüberströmte und staubbedeckte Verletzte rannten schreiend durch die Straßen, in denen zahlreiche Tote lagen.

"Die Mauern sind überall zusammengestürzt. Ich bin um mein Leben gelaufen. Menschen schrien: Jesus! Jesus! Es war völlig irreal", erzählte Fotograf Ivanoh Demers dem kanadischen Online-Magazin cyberpresse.ca. Er war gerade rechtzeitig aus dem Hotel Villa Créole in Port-au-Prince geflohen. "Ich bin aus meinen Hotelzimmer gelaufen, und die Mauer ist direkt neben mir zusammengebrochen."

Dem französischen Minister für Entwicklungshilfe, Alain Joyandet, zufolge stürzte auch das bei Ausländern beliebte Luxushotel Montana ein. "Wir gehen davon aus, dass es dort etwa 200 Tote gibt", sagte Joyandet dem Sender France 2. Nur etwa 100 Menschen hätten das Gebäude rechtzeitig verlassen können.

Betroffen waren auch die Vereinten Nationen. Der Chef der UN-Friedensmission in Haiti (Minsutah), der Tunesier Hedi Annabi, ist offenbar ums Leben gekommen. Er sei beim Einsturz des UN-Gebäudes getötet worden, teilte der haitianische Präsident mit. Er übermittle den Vereinten Nationen und allen Opfern des Erdbebens in Haiti sein Beileid, hieß es in der von seiner Pressestelle verbreiteten Erklärung. Mehrere Überlebende seien inzwischen aus dem eingestürzten UN-Hauptquartier gerettet worden, sagte ein UN- Sprecher in New York. Allerdings lägen noch Dutzende, vermutlich noch mehr als 100 Menschen unter den Trümmern des "Hotel Christopher".

Wie unübersichtlich die Lage derzeit in Haiti ist, zeigt die sehr vorsichtige Einschätzung von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Er sprach von "Hunderten Menschen", die ums Leben gekommen sind. "Genaue Angaben haben wir nicht, weil die Kommunikation praktisch völlig zusammengebrochen ist", sagte Ban in New York. "Wir haben nur einige wenige Satellitenkanäle, mehr nicht." Die Infrastruktur in und um die Hauptstadt Port au Prince sei schwer zerstört. "Wir haben es mit einer großen humanitären Notsituation zu tun, die einen umfassenden Hilfseinsatz erfordert", sagte Ban.

Die UN hat derzeit etwa 7000 Soldaten und 2000 Polizisten vor allem aus südamerikanischen Ländern in Haiti im Einsatz. Brasiliens Armeeführung berichtete, dass vier brasilianische Blauhelm-Soldaten ums Leben gekommen seien. Mindestens weitere fünf seien verletzt worden. Es würden noch mehrere Militärangehörige vermisst.

Auch aus anderen lateinamerikanischen Ländern gab es Berichte über getötete oder vermisste UN-Mitarbeiter.

Deutschland ist an der Friedensmission nicht beteiligt. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hielt dennoch auch deutsche Opfer für möglich. "Wir hoffen es nicht, ich kann es leider auch nicht ausschließen", sagte er.

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Das schwere Erdbeben in Haiti hat vor allem die Hauptstadt Port-au-Prince getroffen. In den Straßen der Millionenmetropole herrscht Chaos, Staub liegt in der Luft, die Menschen sind verzweifelt. Eine Bildstrecke

Deutsche Urlauber sind dem Deutschen Reiseverband (DRV) zufolge nicht betroffen. Da es seit Jahren eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Haiti gibt, biete kein Veranstalter Reisen in den Karibikstaat an, sagte DRV-Sprecher Torsten Schäfer. Aus der benachbarten Dominikanischen Republik, einem beliebten Ziel auch bei deutschen Urlaubern, seien bisher keine Erdbebenschäden bekannt.

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Haiti, das ärmste Land Amerikas ist von einem Erdbeben der Stärke 7,0 und zahlreichen Nachbeben erschüttert worden. Auf den Straßen liegen Tote.

In Haiti seien vor allem die Elendsviertel an den Berghängen von Port-au-Prince betroffen, berichtete die deutsche Diakonie Katastrophenhilfe. Die Hänge seien großflächig abgerutscht, über der Stadt liege eine gewaltige Staubwolke. Aus Angst vor Nachbeben verbrachten etliche Menschen die Nacht im Freien.

Auf Hilfe der eigenen Behörden können die Menschen nach Angaben einer Sprecherin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) nicht hoffen. "Es gibt keine medizinische Versorgung für die Bevölkerung und die wird es jetzt natürlich auch nicht geben", sagte Svenja Koch. Rasch liefen dagegen die Hilfsmaßnahmen aus dem Ausland an. Die deutsche Bundesregierung stellte umgehend 1,5 Millionen Euro Nothilfe zur Verfügung. Die EU-Kommission sagte eine Nothilfe von drei Millionen Euro zu. Frankreich, Großbritannien, Italien und weitere Länder kündigten an, Rettungsteams und Hilfsgüter nach Haiti zu schicken. Auch US-Präsident Barack Obama bot Hilfe an.

Zum Katastropheneinsatz setzten die US-Streitkräfte Schiffe und Flugzeuge in Richtung Haiti in Bewegung. Der Flugzeugträger "USS Carl Vinson" werde mit einigen kleineren Schiffen am Donnerstag die haitianische Küste erreichen, teilte das zuständige US-Südkommando am Mittwoch mit. Auch Flugzeuge und Helikopter seien im Einsatz.

Die Vereinten Nationen mobilisierten 30 internationale Hilfeteams. Schnell aktiv wurden zudem die Hilfsorganisationen. Mobile Krankenhäuser, tonnenweise Lebensmittel und Trinkwasser, medizinisches Personal, Bergungstrupps und Suchhunde - die Liste angekündigter Hilfen war lang. Eine Welle der Solidarität löste das Erdbeben auch im Internet aus. In sozialen Netzwerken wie Facebook bildeten sich Gruppen, in denen Menschen das Geschehen diskutierten und zu Spenden aufriefen. Auch beim Kurznachrichtendienst Twitter war Haiti das Top-Thema.

Das Land liegt im kleineren westlichen Teil der zu den Großen Antillen gehörenden Karibik-Insel Hispaniola. Im Osten liegt die Dominikanische Republik. In dem rund neun Millionen Einwohner zählenden Land sind seit 2004 UN-Friedenstruppen in Einsatz.

Ein so schweres Beben wie am Dienstag gab es in Haiti seit 200 Jahren nicht mehr. Die Ränder der tektonischen Platten in dem Bereich hätten sich auf einen Schlag rund ein bis zwei Meter verschoben, sagte Jochen Zschau vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. "Da hat sich über sehr lange Zeit Spannung aufgebaut."

Das Beben habe zudem in geringer Tiefe stattgefunden. "Bei so einem flachen Beben gehen die Risse bis an die Oberfläche durch." Die Intensität der Bodenerschütterungen, gemessen auf einer Skala von eins bis zwölf, habe im Zentrum bei neun bis zehn gelegen - also extrem hoch.

© dpa/APD/Reuters/AFP/segi - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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