Erster Prozesstag gegen Joaquín Guzmán:"Er ist noch nicht mal der größte Drogendealer Mexikos"

  • Der Prozess gegen den mexikanischen Kartellchef Joaquín Guzmán beginnt unter enormen Medieninteresse mit großer Verzögerung.
  • Die Staatsanwaltschaft zeichnet das Bild eines Mannes, der nur ein einziges Gesetz kennt: sein eigenes.
  • Für seine Verteidiger ist "El Chapo" dagegen der Sündenbock eines durch und durch korrupten mexikanischen Staats.
  • Guzmáns Anwalt erhebt in seinem Eröffnungsplädoyer den Vorwurf, dass auch der amtierende mexikanische Präsident Peña Nieto Schmiergeld in Millionenhöhe vom Sinaloa-Kartell entgegengenommen hätte.

Von Johanna Bruckner, New York

Dass der Prozess gegen Joaquín Guzmán etwas Besonderes werden würde, damit war zu rechnen. Am Ende des ersten Verhandlungstages ist klar: Dieser Prozess gegen Amerikas zeitweiligen "Staatsfeind Nummer 1" ist eine Diva. Unberechenbar, launisch, aber nicht ohne Unterhaltungswert. Ein bisschen wie der Angeklagte selbst, den sie in seiner mexikanischen Heimat durchaus ehrfurchtsvoll "El Chapo" nennen, den Kurzen. Ein Mann - irgendwo zwischen Gefahr und Groteske.

Die ersten Journalisten stehen bereits um fünf Uhr morgens vor dem Eastern District Court in Brooklyn. Und das, obwohl es in Strömen regnet. Viele von ihnen sind aus Zentralamerika angereist, Mexiko, Kolumbien, Venezuela. Nicht alle werden es in den Gerichtssaal schaffen, auch ein Ersatz­raum mit Livestream ist irgendwann voll. Zwischenzeitlich macht das Gerücht die Runde, es gebe eine Liste, nach der der Gerichtssaal besetzt werde.

Frustrierte Journalisten sind nicht das einzige Problem des New Yorker Bundes­gerichts. Es muss im Verfahren gegen den mexikanischen Drogenboss die Sicherheit aller Beteiligten gewährleisten und dafür sorgen, dass der Prozess um "El Chapo" nicht bloß zum Spekatel verkommt, sondern zeigt, das der Rechtsstaat sich mit seinen Mitteln gegen das Organisierte Verbrechen behaupten kann. Wie schwierig das werden würde, hatte sich bereits in der vergangenen Woche bei der Auswahl der Jurymitglieder angedeutet. Ein potenzieller Laienrichter fiel durch, weil er versucht hatte, an ein Autogramm des Angeklagten zu kommen. Ein anderer gab in seinem Fragebogen an, gerne ein Sandwich namens "El Chapo" zu bestellen.

"Nur zur Erinnerung, ich bin immer noch Richter"

Manchem Richter würde diese Aufgabe wohl Magenschmerzen bereiten. Richter Brian Cogan geht sie am Dienstag mit einer Mischung aus Strenge und Sarkasmus an. "Nur zur Erinnerung, ich bin immer noch Richter Cogan", sagt er am frühen Nachmittag. Direkt nach dem Prozessauftakt am Morgen musste Cogan eine mehrstündige Unterbrechung anordnen, weil ein Jurymitglied darum gebeten hatte, von der Aufgabe entbunden zu werden. Die Frau, die zu ihrer eigenen Sicherheit nur als Juror Number One firmiert, gibt an, dass ihr der Prozess unerträgliche Ängste bereite. Guzmáns Hauptverteidiger Eduardo Balareza versucht, abzuwiegeln: In ihrem Brief an den Richter schildere die Frau nichts, was nicht jeder schon mal erlebt habe. Cogan grätscht rein: "Sprechen Sie bitte nur für sich selbst!"

Cogan, Mitte 60, weißer Bart, ist seit 2006 Bundesrichter. Wäre seine Robe rot und nicht schwarz - er könnte als Weihnachtsmann durchgehen. Das ist keineswegs despektierlich gemeint. Wenn der Richter "Good Morning, Mr. Guzmán!" sagt, klingt das wie eine Ermahnung in Richtung des Angeklagten, doch bitteschön brav zu sein.

Und tatsächlich wirkt "El Chapo" am ersten Prozesstag mehr wie ein jugendlicher Delinquent denn wie der gefürchtete Drogenbaron, als den ihn die Staatsanwaltschaft in ihrem Eröffnungsplädoyer charakterisieren wird. Als ihn die US Marshals um kurz vor zehn in den Gerichtssaal führen, begrüßt er sein dreiköpfiges Verteidigerteam mit Handschlag und winkt überschwänglich in Richtung seiner Frau Emma Coronel Aispuro, die im Zuschauerbereich sitzt. Eine Umarmung hatte Richter Cogan in der vergangenen Woche aus Sicherheitsgründen untersagt.

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