Die Szenerie vor dem Gerichtsgebäude gleicht einem Rummelplatz. Dicht an dicht haben die Fernsehsender ihre Zelte aufgebaut, wie Buden auf einem Straßenfest. Für die Weltmedien geht es an diesem Montagmorgen in New York um die besten Plätze im Prozess des Jahres. Dominique Strauss-Kahn, der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds und gefallene Hoffnungsträger der französischen Sozialisten, muss sich vor dem Strafgericht in Lower Manhattan den Vergewaltigungsvorwürfen stellen, die eine junge afrikanische Einwanderin gegen ihn erhebt.
Nachdem Strauss-Kahn vor zweieinhalb Wochen gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, mussten die Fernsehteams die Sendezeit mit Nichtigkeiten füllen. Auf jede Einkaufstüte, die in das kleine Stadthaus geschleppt wurde, in dem der Angeklagte für die Dauer der Verhandlung untergekommen ist, richteten sie ihre Objektive. Jetzt endlich beginnt das Verfahren. Um halb neun Uhr morgens tritt Strauss-Kahn vor die Tür. Er trägt einen Anzug mit dunkler Krawatte und blauem Hemd. An seiner Seite seine Frau Anne Sinclair. Gemeinsam steigen sie in einen schwarzen Geländewagen, der sie hinüberfährt zum Gericht.
Derweil werden die Besucher und Journalisten vor dem Justizbunker in der Center Street von Demonstranten empfangen. Hundert, vielleicht 150 "Zimmermädchen", die Bediensteten aus der untersten Hierarchiestufe der New Yorker Hotels, nutzen die Publizität des Prozesses, um mehr Sicherheit zu fordern. Es sind Einwanderer aus allen Winkeln der Erde, auch ein paar Männer sind darunter. "Was wir wollen, ist Gerechtigkeit", sagt eine junge Schwarze in der feinen, schwarz-weißen Uniform des Plaza Hotels. "Übergriffe wie der, um den es hier geht, gehören bei uns zum Alltag", fügt sie hinzu, ohne weiter ins Detail zu gehen.
Viele Einzelheiten aus dem Strauss-Kahn-Prozess hingegen sind schon vor Verhandlungsbeginn durchgesickert. Der 62-jährige Franzose soll am Samstag, den 14. Mai, ein 32-jähriges Zimmermädchen in seinem Hotelzimmer angefallen haben. Nackt habe er sich auf die gläubige Muslimin gestürzt, heißt es, und sie zum Oralsex gezwungen.
Staatsanwaltschaft und Verteidigung bezichtigen sich gegenseitig, Informationen zu streuen und damit die Wahrheitsfindung zu erschweren. Dieses Verfahren, das steht bereits fest, ist auch ein Kampf um die öffentliche Meinung. Vor allem die Berichterstattung der Boulevard-Postille New York Post hat die Stimmung angeheizt. Immer franzosenfeindlicher wurden die Schlagzeilen. "Der Frosch vergoldet sein Seerosenblatt", titelte das Blatt, als es davon erfuhr, dass Strauss-Kahn Kunst, Einrichtungsgegenstände "und seine Lieblingspuschen" aus seinem Haus in Washington nach New York bringen ließ.
Als der Angeklagte um kurz vor neun am Gerichtsgebäude eintrifft, bricht Unruhe aus. "Schande über dich", rufen die Hotelangestellten, während Strauss-Kahn die flachen Stufen zum Haupteingang hinaufgeht. Seine Frau weicht keinen Schritt von seiner Seite. Kurz darauf wird im Verhandlungssaal die Anklageschrift verlesen. Der Beschuldigte plädiert auf nicht schuldig. Dann ist die Anhörung auch schon wieder vorbei. Unter den Rufen der Demonstranten braust Strauss-Kahns Geländewagen davon.
Die Verteidigung hatte sich schon vor Prozessbeginn sicher gezeigt, dass sie die Vorwürfe gegen den Angeklagten entkräften würde. Sollte es tatsächlich zu einem sexuellen Kontakt zwischen Strauss-Kahn und der Hotelangestellten gekommen sein, sei dieser freiwillig geschehen, suggerierten die Anwälte bei der Kautionsentscheidung vor zweieinhalb Wochen.
Allerdings scheint sich auch die Staatsanwaltschaft ihrer Sache sicher zu sein. "Die Beweislast ist substanziell. Und sie wächst mit jedem Tag", sagte Staatsanwalt John McConnell. Medienberichten zufolge haben die Ermittler DNS-Spuren auf der Uniform der Hotelangestellten gefunden, womöglich von einem Spermafleck. Dass Strauss-Kahn die Frau vergewaltigt hat, wäre damit allerdings noch lange nicht bewiesen.
Keiner in New York rechnet mit einem schnellen Ende des Verfahrens. Es steht Aussage gegen Aussage, und offenbar gibt es keine Zeugen. Letztlich wird es ein Kampf um Glaubwürdigkeit werden. Auf der einen Seite die Glaubwürdigkeit eines weltweit respektierten Politikers, der bis zu kurzem beste Chancen hatte, der nächste französische Präsident zu werden. Auf der anderen Seite die Glaubwürdigkeit einer unbekannten jungen Frau, deren Leben durch den Vorfall in der Hotelsuite und das spektakuläre Verfahren aus den Fugen geraten ist.
Strauss-Kahns Anwälte werden alles daran setzen, die Belastungszeugin im Kreuzverhör als Lügnerin zu entlarven. Die Anklage hingegen will offenbar versuchen, Strauss-Kahn als notorischen Schwerenöter und gierigen Machtmenschen darzustellen, der sich schon mehrfach an Frauen vergriffen habe. Sein Büro gehe Hinweisen nach, dass "der Angeklagte in mindestens einem weiteren Fall ein ähnliches Verhalten gezeigt" habe, hat Staatsanwalt McConnell gesagt. Sollten die Geschworenen ihm Glauben schenken, drohen Strauss-Kahn zwischen fünf und 25 Jahre Haft.