"Costa Concordia" rutscht weiter ab:Helfer müssen Rettungsmission abermals unterbrechen

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Weil sich das Wrack bewegt, ruhen die Bergungsarbeiten an der havarierten "Costa Concordia" zur Stunde. Unterdessen werden Details aus den Verhören von Kapitän Schettino öffentlich: Der 52-Jährige behauptet, das Schiff nicht freiwillig verlassen zu haben - vielmehr sei er in ein Rettungsboot gestolpert. Italienische Medien spekulieren mittlerweile, der Kommandant habe zum Zeitpunkt des Unglücks unter dem Einfluss von Rauschmitteln gestanden.

Das Wasser im Inneren des Schiffs ist eiskalt, zudem sind möglicherweise Eingeschlossene seit knapp fünf Tagen ohne Trinkwasser und Nahrung: Die Retter haben nach der Havarie des italienischen Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Am Mittwochmorgen dann ein erneuter Rückschlag für die Helfer: Weil das auf einem Felsen aufsitzende Wrack weiter abrutscht, müssen die Bergungsarbeiten abermals unterbrochen werden.

Die Sicherheitsbedingungen für die Rettungsmannschaften seien aktuell nicht gegeben, sagte der Sprecher der Rettungseinheiten, Luca Cari. In der Nacht hatte die Feuerwehr noch ihre Arbeiten an dem havarierten Schiff fortgesetzt. Die Helfer stehen auch deshalb unter Zeitdruck, weil sich das Wetter am Donnerstag verschlechtern soll: Ein Sturm ist für die Region Grosseto vorhergesagt.

Kapitän rechtfertigt sich

Die Costa Concordia war am Freitagabend vor der Mittelmeerinsel Giglio auf einen Felsen aufgelaufen und havariert. Dabei kamen mindestens elf Menschen ums Leben. Mehr als 20 Personen gelten zur Stunde noch als vermisst, darunter mindestens zwölf Deutsche. Zuletzt waren am Dienstagnachmittag in dem Wrack weitere fünf Leichen entdeckt worden, zur Nationalität der Todesopfer gibt es noch keine Informationen.

Die Ermittler und die Reederei machen den Kapitän des Schiffes, Francesco Schettino, für das Unglück verantwortlich, weil er zu nah an Giglio herangefahren sei. Untersuchungsrichterin Valeria Montesarchio sieht "ernste Indizien" für eine Schuld des Kapitäns, der bereits von Bord gegangen war, während die Rettungsarbeiten noch liefen.

Die Tatsache, dass andere Offiziere und Besatzungsmitglieder an Bord blieben und sich um die Evakuierung der Passagiere kümmerten, widerlege die Behauptung Francesco Schettinos, er habe die Rettungsarbeiten an Bord nicht leiten können, befand die Richterin italienischen Medienberichten zufolge. Sie kritisierte, der Kapitän habe "keinerlei ernsthaften Versuch" unternommen, wieder an Bord oder zumindest in die Nähe des Schiffs zurückzukehren. Stattdessen habe Schettino von einem Felsen aus gemeinsam mit weiteren Besatzungsmitgliedern stundenlang die Rettungsarbeiten beobachtet.

Bereits am Samstag hatte die zuständige Staatsanwaltschaft den Kapitän wegen Fluchtgefahr festnehmen lassen. Nach einem Haftprüfungstermin am Dienstag wurde er dann unter Hausarrest gestellt - möglicherweise jedoch nicht für lange: Die Staatsanwaltschaft hat Einspruch gegen die Entscheidung von Richterin Valeria Montesarchio eingelegt, sie will Schettino wieder in U-Haft nehmen lassen.

Bei dem Haftprüfungstermin wurde der Kommandant mehr als drei lang Stunden verhört, wie italienische Medien berichten. Dabei soll sich Schettino - dem mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und Verlassen des Schiffes während der laufenden Evakuierung zur Last gelegt werden - gegen die Vorwürfe verteidigt haben.

Unter dem Einfluss von Rauschmitteln?

"Ich hatte das Kommando", sagte der 52-Jährige der Nachrichtenagentur Ansa zufolge. Er habe das Schiff aber nicht aufgegeben, sondern vielmehr mit dem Kurs nach der Kollision Hunderte oder Tausende Menschenleben gerettet. Auch habe er die Costa Concordia nicht absichtlich vorzeitig verlassen: "Ich wollte nicht abhauen, sondern habe Passagieren geholfen, ein Rettungsboot ins Wasser zu lassen." Als der Absenkmechanismus kurzzeitig blockierte und plötzlich wieder ansprang, "bin ich gestrauchelt und lag plötzlich zusammen mit den Passagieren im Boot". Daraufhin habe er nicht mehr auf das Schiff zurückkehren können, weil sich dieses schon zu sehr in Schräglage befunden habe.

Italienische Medien hatten zuletzt Mitschnitte des Funkkontakts zwischen Schettino und der Hafenaufsicht in Livorno veröffentlicht. Die Gespräche datieren zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach der Havarie - und werfen ein denkbar schlechtes Licht auf das Krisenmanagement des Kapitäns. So forderte die Hafenaufsicht Schettino mehrmals mit scharfen Worten auf, er solle auf das Schiff zurückkehren. Unter anderem heißt es: "Höflichkeit beiseite, gehen Sie jetzt an Bord! (...) Kapitän, das ist ein Befehl, ich befehle das jetzt!"

Die Tonbandaufnahmen - zum Anhören klicken Sie hier - stehen in eklatantem Widerspruch zu den späteren Aussagen Schettinos. In italienischen Medien wird deshalb bereits darüber spekuliert, ob der Kapitän am Abend des Unglücks unter dem Einfluss von Rauschmitteln stand. Demnach wurde ebenfalls am Dienstag ein Bluttest bei Schettino durchgeführt. Der 52-Jährige habe die Prozedur ohne Murren über sich ergehen lassen und betont, er habe weder Alkohol getrunken, noch nehme er Drogen.

Die Costa Concordia liegt derzeit in starker Schräglage vor der Insel Giglio und droht zu versinken. Naturschützer fürchten, dass austretender Treibstoff das fragile Ökosystem weit über die toskanische Insel hinaus verschmutzen könnte. Italiens Umweltminister Corrado Clini sagte, zur Bewältigung des Unfalls werde der Notstand erklärt. Es gehe darum, den Treibstoff so schnell wie möglich aus den Tanks des Schiffes zu holen. Die Reederei Costa Crociere müsse zum heutigen Mittwoch einen Plan für das Abpumpen vorlegen und innerhalb von zehn Tagen angeben, wie sie das gekenterte Schiff abtransportieren wolle.

Havariertes Kreuzfahrtschiff "Costa Concordia"
:Tödliches Chaos

Fast waagerecht liegt die "Costa Concordia" mittlerweile auf dem Wasser, die Steuerbordseite ist komplett versunken. Im Inneren des Wracks herrschen Chaos und Zerstörung - nur mühsam kämpfen sich die Rettungskräfte ins Innere des Wracks vor. Die Bilder der Schiffskatastrophe.

Nach Aussage eines Mitarbeiters der beauftragten niederländischen Bergungsfirma Smit Salvage wird es zwei bis fünf Wochen dauern, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff aus den 21 vollen Tanks des Schiffs zu pumpen.

Auch der materielle Schaden durch die Havarie ist gewaltig. Möglicherweise müssen die Versicherer der Costa Concordia einen Schaden von mehr als einer halben Milliarde Euro einkalkulieren. Die Summe von 500 Millionen Euro könne leicht überschritten werden, berichtete die Financial Times Deutschland unter Berufung auf Versicherungskreise.

Nach dem Schiffsunglück erwägt nun die EU-Kommission strengere Regeln für die Sicherheit auf Schiffen in der EU. Eine bereits laufende Überprüfung der Gesetzgebung für Passagierschiffe soll nun schneller abgeschlossen werden, sagte die Sprecherin von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas in Brüssel.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/AFP/Reuters/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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