SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":"Für Kinder ist es erst einmal ein ganz normaler Geruch"

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Rauchschwaden vor dem Brandenburger Tor: Seit dem 1. April darf in der Öffentlichkeit legal Cannabis konsumiert werden. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Süßlich oder erdig und faulig: Der Duft von Cannabis polarisiert, sagt Geruchsforscher Hanns Hatt. Das legale Kiffen könnte jetzt das olfaktorische Erleben ganzer Stadtviertel verändern.

Von Martin Zips

Nach der Teillegalisierung von Cannabis: Was macht eigentlich der Geruch von angekokeltem Hanf mit uns Menschen? Wird man ihm als Nichtkonsument künftig entkommen können? Ein Gespräch mit dem vielfach ausgezeichneten Geruchsforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum.

SZ: Herr Professor Hatt, hat der Geruch von Joints das Potenzial, unsere Gesellschaft dauerhaft zu spalten?

Hanns Hatt: Nun, Cannabis-Geruch polarisiert schon stark.

Aber warum ist das so?

Cannabis verfügt über chemisch sehr stabile Duftkomponenten aus der Gruppe der Terpene, welche zum Beispiel in Textilien haften können. Hinzu kommt etwas, das mich an Urin erinnert. Aber da hat jeder seine eigenen Assoziationen. Manche finden den Geruch eher süßlich und angenehm, andere erdig und faulig. Entweder man mag ihn oder man hasst ihn, dazwischen scheint es nicht viel zu geben.

Wie kommt es zu solchen Unterschieden in der Bewertung?

Das hängt mit den persönlichen Erfahrungen zusammen. Waren die gut, so mag man den Geruch. Das ist alles erworben und anerzogen, nicht genetisch festgelegt. Eigene Erlebnisse spielen da ebenso eine Rolle wie der Kulturkreis, in dem man aufgewachsen ist.

Hanns Hatt hat Biologie, Chemie und Humanmedizin studiert, seit 1992 ist er Professor an der Fakultät für Biologie und Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie der Ruhr-Universität Bochum. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Elektrophysiologie und Geruchsforschung. (Foto: privat)

Heißt das etwa: Auch gegen den Geruch von Schweiß und Fäkalien haben wir Menschen keine grundsätzlich angeborene Abneigung?

So ist es, alles anerzogen!

Wie interessant! Woran dachten Sie zuerst, als Sie die Fotos vom Osterwochenende mit den Hanf-Rauchschwaden vor dem Brandenburger Tor sahen?

Ich sah ein Gartenhäuschen im Münchner Stadtteil Nymphenburg vor mir.

Ein Gartenhäuschen? In Nymphenburg?

Dort wohnte ich Anfang der Siebzigerjahre, als ich noch Medizinstudent war. Ich bekam häufig Besuch von einem Kommilitonen, der seine Doktorarbeit über LSD und andere Drogen schrieb. Deshalb besaß er - ganz legal - auch Cannabis, welches er bei mir rauchte.

Warum ausgerechnet bei Ihnen?

Im Gartenhäuschen wohnte ich ebenerdig. Deshalb kam er zu mir, da er fürchtete, dass er im Rausch aus dem Fenster springen könnte. Er selbst wohnte in einem anderen Gebäude, weiter oben. Letztlich ist er aber dann gar nicht aus dem Fenster gesprungen, sondern - nach dem Konsum - nur mal mit dem Auto in den Straßengraben gefahren.

Herr Professor Hatt, befürchten Sie, dass es zu Streit kommen könnte, wenn es nun überall nach Hanf riecht?

Könnte schon sein! Es geht ja nicht nur ums Riechen, sondern vor allem ums Einatmen und um das, was diese Stoffe mit uns machen, wenn sie über unsere Blutbahn ins Gehirn gelangen. Was den Geruch betrifft: Der hat auch immer eine starke soziale Funktion. Er kann als Erkennungszeichen dienen und Gebiete markieren.

Kiffer erkennen sich am Geruch?

Richtig! Und nicht nur die. Nehmen Sie den Weihrauch in der Osternacht. Der duftet noch tagelang aus den Kleidern der Kirchenbesucher.

Befürchten Sie, dass sich der Geruch ganzer Stadtviertel verändern könnte?

Ja, das könnte sein. Denn man muss davon ausgehen, dass sich Menschen, welche früher heimlich daheim konsumierten, nun häufiger mit ihren Joints heraustrauen.

Muss man seine Kinder davor schützen?

Ach, für Kinder ist es erst einmal ein ganz normaler Geruch. Die werden auch nicht high davon oder so. Erst, wenn die Eltern oder Freunde ihnen sagen "Das riecht doch wunderbar" oder "Das riecht ja schrecklich", dürfte das Folgen haben.

Wie löst man das Problem, damit es nicht zu Streitigkeiten kommt?

Rücksicht aufeinander nehmen! Sich bewusst sein, dass solche Substanzen auf sehr unterschiedliche Reaktionen stoßen könnten. Sonst wird es vielleicht bald so sein, dass von 22 Uhr an nicht nur Lärm, sondern auch bestimmte Gerüche verboten werden. Aber ich denke: Als Gesellschaft bekommen wir das schon hin.

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