Eine Kette von Beamten durchkämmt systematisch ein Waldgebiet: Die Szene kennt man aus Filmen, und meist gilt es dann, eine Leiche zu finden oder den flüchtigen Mörder zu fangen. Auch hier im Val di Sole im Trentino wird gerade eine Täterin gesucht, aber ihre Festnahme steht nicht zur Debatte: Der Trentiner Regionalpräsident Maurizio Fugatti hat den Todesschuss bereits angeordnet, und auch die Umweltbehörde Ispra hat zugestimmt. Für die Braunbärin JJ4, genannt "Gaia", soll es keine Gnade geben. Sie hat, wie DNA-Analysen ergeben haben, vor zehn Tagen hier im Tal den Jogger Andrea Papi, 26, angefallen und zu Tode gebissen.
Rund 40 Personen sind in die Suche eingebunden, aber an vorderster Front sind fünf Jäger im Einsatz, die jenen Teil des Tales durchkämmen, in dem die Bären sich üblicherweise aufhalten, berichtet Giovanni Giovannini, Direktor des Amtes für Forstwirtschaft in Trento. Im Gebiet sind drei Bärenfallen aufgebaut, große Käfige, in die sich ein Bär auf der Suche nach Futter hineinbegeben kann, ehe die Tür zufällt. Aber das Ganze kann dauern, das Gelände ist schwierig zu begehen.
In Deutschland findet der Vorfall eine besondere Aufmerksamkeit, weil JJ4 die Schwester von JJ1 ist, jenem "Bruno", der im Jahr 2006 als erster Bär seit 170 Jahren nach Bayern gewandert war und unter anderem Schafe riss. Die Jagd auf den vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber sogenannten "Problembären" war sogar international ein großes Thema, ehe er gestellt und erschossen wurde.
Damit ist schon eine Spezialität des Falles benannt: In der Großfamilie von JJ1 und JJ4 häufen sich die Probleme, auch Mutter "Jurka" ist schon auffällig geworden. Sie gehörte zu den zehn Bären aus Slowenien, die im Rahmen eines EU-Projekts "Life Urus" aus dem an Bären reichen Slowenien nach Südtirol gebracht und ausgewildert worden sind. Bruder JJ3 wurde 2008 erlegt, weil er wiederholt in Wohngebiete vordrang und Müllcontainer plünderte. "Das ist eine gefährliche Familie", so Förster Giovannini, der sich deshalb eindeutig für den Abschuss von JJ4 ausspricht.
In diesem Zusammenhang spielt es eine Rolle, dass Gaia bereits im Sommer 2020 im Val di Sole einen Jäger und seinen Sohn angegriffen und verletzt hat, womöglich weil sie gerade Nachwuchs zu versorgen hatte, in dieser Phase sind weibliche Bären besonders nervös. Schon damals wurde sie von der Regionalregierung zum Abschuss freigegeben, wogegen Tierschützer im Interesse der Jungen opponierten; am Ende hob ein Gericht den Schießbefehl auf. Gaia wurde gefangen und mit einem Peilsender ausgestattet, der heute allerdings nicht mehr funktioniert. Auch zwei andere Bären sind jetzt im Visier der Jäger, Brunos Halbbruder JJ5 und ein Bär namens M62. Sie sollen mindestens gefangen werden, über einen Abschussbefehl wird noch verhandelt.
Auch wenn Zwischenfälle mit Bären immer noch eine große Ausnahme sind, schlägt das Thema in diesen nachösterlichen Tagen Wellen. Am Mittwoch ist der junge Mann in seiner Heimatgemeinde Caldes unter großer Anteilnahme von Menschen aus dem ganzen Tal beerdigt worden. Zu klären ist die Frage, ob die Behörden ihre Vorsorgepflicht vernachlässigt haben - oder ob in dem Tal mittlerweile einfach zu viele Bären leben.
100 Tiere sind es inzwischen - zu viele?
Die Population im Trentino, das war die Idee beim Start des Aussiedlungsprojekts, sollte auf 50 Tiere wachsen und sich dann auch über benachbarte Regionen verteilen. Tatsächlich vermehrten sich die Bären vergleichsweise eifrig, die Rede ist von 100 Tieren nach 20 Jahren - und sie sind ungewöhnlich sesshaft. Heißt: Sie bleiben im angestammten Revier. Wenn überhaupt, begeben sich Männchen auf die Wanderung, und auch sie kehren häufig wieder in die Heimat zurück.
Regionalpräsident Fugatti hat sich schon festgelegt: 50 Bären seien genug, sagte er, und plädierte für Massenverlegungen in andere Provinzen. Das ist deutlich zurückhaltender als erste Forderungen nach massenhaften Abschüssen, die wiederum die Tierschützer auf den Plan rufen. Für Förster Giovannini geht es jetzt vor allem darum, die gefährlichen Tiere zu erwischen, damit Bewohner und Gäste des Tals wieder angstfrei dort leben und wandern können.