Bolivien:Die Koka-Connection

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Bei Boliviens oberstem Schamanen wurden mindestens 240 Kilo Kokain gefunden. Peinlich: Er hatte Präsident Morales rituell ins Amt eingeführt. Der sieht sich als Förderer der Koka-Bauern - mit der Droge will er jedoch nichts zu tun haben.

Peter Burghardt

Der Mann, der Evo Morales zum ersten indianischen Präsidenten Boliviens weihte, sprach gerne von Koka. Die Blätter werden in den Anden seit Jahrtausenden gekaut und gekocht, als Naturmittel gegen Hunger, Durst, Höhenkrankheit oder Anstrengung. Sie gehören zum Ritus. Valentín Mejillones konnte viel davon erzählen, wenn man ihn in El Alto besuchte, auf 4200 Metern, hoch über La Paz. Er ist ein Amauta, das geistige Oberhaupt der Aymara-Ureinwohner. Er übergab den symbolischen Stab des Anführers an Morales, als der 2006 vor der Vereidigung als Staatschef in den Ruinen von Tiwanaku nahe des Titicacasees gefeiert wurde. "In Bolivien spürt man den Geruch nach Koka, nach Evo", sagte er in der dünnen Luft; das war damals anders gemeint, als es heute klingt. Mejillones las aus Koka die Zukunft, "Koka lügt nicht". Doch jetzt hat er mit dieser Heilpflanze entweder einen schweren Fehler gemacht oder er ist in eine Falle getappt.

Bilder wie dieses dürften Boliviens Präsident Evo Morales heute eher unangenehm sein: Valentin Mejillones segnet Morales beid dessen Amtseinführung. (Foto: REUTERS)

Schamae und Rauschgifthändler

Am vergangenen Dienstag wurde nach langen Recherchen ein Spezialkommando der bolivianischen Drogenfahndung bei ihm vorstellig. Die Fahnder entdeckten in seiner offenbar gemieteten Unterkunft in der Trabantenstadt El Alto mindestens 240 Kilogramm Kokainpaste, andere Meldungen sprechen sogar von 350 Kilo, Marktwert in diesem Zustand zwischen 240.000 und 300.000 Dollar. Dazu fanden die Ermittler chemische Substanzen, Töpfe und andere Utensilien. Nach Ansicht des Einsatzleiters Félix Molina handelte es sich um ein kleines Labor zur Gewinnung des weißen Pulvers, das in Reinform noch sehr viel teurer verkauft werden kann. In Europa kostet ein Gramm Kokain ungefähr 60 Euro, in den USA etwa 70 Dollar. Außer Hausherr Mejillones, 55 Jahre alt, und seinem Sohn wurden auch zwei Kolumbianer festgenommen, möglicherweise die Rädelsführer. Danach herrschte einige Aufregung. Der Schamane von Evo Morales ein Narco, ein Rauschgifthändler?

Er sei reingelegt worden, behauptet Valentín Mejillones. "Ich wurde betrogen, ich habe nichts damit zu tun." Einen "Gefallen" habe er den zwei Kolumbianern tun wollen, indem er ihnen seine Räumlichkeiten überließ, "sie haben mir gesagt, dass sie Kräuterpastillen und Pomade herstellen wollten." Seine Verteidiger glauben, das geistige Oberhaupt der Aymara sei ausgenützt worden wie so viele Leute, die schnelles Geld verdienen wollten. "Er wusste nicht, dass die sich illegalen Tätigkeiten widmeten", sagen sie. Aber das klingt nach Meinung der Ermittler bisher wenig überzeugend. "In flagranti" habe man die Täter erwischt, erläuterte der Coronel Félix Molina. Señor Mejillones sei ein gewöhnlicher Verhafteter und eines Drogendelikts angeklagt. Auch er sitzt nun vorerst im berüchtigten Gefängnis San Pedro von La Paz, in dem viele Dealer untergebracht sind und Geld ausgeben müssen, wenn sie die besseren Zellen belegen wollen.

Für Staatschef Evo Morales ist das unangenehm; selbst wenn da natürlich kein direkter Zusammenhang besteht. Kritiker halten seiner Verwaltung seit langem vor, beim Thema Koka zu lax zu sein. "Die Regierung zerstört das Image des Landes", schimpfte der Soziologe Fernando Untoja in der Zeitung El Diario. Sie drücke beim Drogenhandel beide Augen zu. Auch die Vereinten Nationen stellten kürzlich fest, dass die Kokainproduktion in Bolivien zunehme. Der populäre Aymara Morales ist Ehrenvorsitzender der Kokabauern, das Anbaugebiet Chapare im Tiefland gehört zu den Hochburgen seiner Wählerschaft. Von dort aus schaffte es der vormalige Gewerkschafter als erster indigener Politiker an die Spitze der Republik, die Jahrhunderte lang von Weißen geknechtet wurde. Morales wirbt für die Verwendung von Koka zu medizinischen und spirituellen Zwecken und wollte das Gewächs sogar in der Nationalfahne unterbringen. Doch sein Motto lautet: Koka ja, Kokain nein. Und als seinen ständigen Begleiter konnte man den verhafteten Mejillones zudem nicht bezeichnen.

Festnahme in Jahr 5519

Er hatte bloß das Pech, dass der Verdächtige vor allem deshalb bekannt wurde, weil er als oberster Weiser der einführenden Zeremonie von Morales vor vier Jahren vorstand. Die halbe Welt sah damals nach Tiwanaku, das für Valentín Mejillones "der Nabel Amerikas" ist. Und manchmal leitete er am 21. Juni das vielbesuchte Neujahrsfest an einem meist eisigen Morgen dieser mythischen Kultstädte, die einst schon die Inka verlassen vorgefunden hatten. Man schreibt nach der dortigen Zeitrechnung das Jahr 5519 und huldigt Pachamama, der Mutter Erde.

Der frühere Bergarbeiter Mejillones gehörte zu den Vorsitzenden der Nachbarschaftsvereinigung von El Alto, mit deren Hilfe ein korrupter Vorgänger von Evo Morales gestürzt wurde. Er erzählte Gästen von Kondor und Adler, Sonne und Mondphasen. Er kniff die dunklen Augen zusammen, wetterte in schwarzer Kleidung gegen rechte Opposition, neoliberale Ausbeuter und katholische Kirche, wobei er bei seinen vielen Reisen auch Rom und Jerusalem besucht habe. Er schwärmte von der Harmonie der Seele, von Energie und Urvölkern. "Der Wandel schreitet voran", prophezeite der geistige Führer. "Jetzt sind die Aymara Protagonisten, wir wurden 500 Jahre lang unterdrückt." Kokain sei eine Erfindung der Yankees.

In La Paz wartet Valentín Mejillones nun auf seinen Prozess. Morales' Vizepräsident Álvaro García sagt, auch über den Amauta werde die Justiz entscheiden.

© SZ vom 04.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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