Prozess:Leben und sterben lassen

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Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe (Foto: dpa)
  • Der Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt am Mittwoch über zwei Fälle, in denen Ärzte Patienten tödliche Medikamente zur Verfügung gestellt haben, damit diese Suizid begehen können.
  • Dabei geht es um die Frage, ob man sich als Mediziner in so einem Fall wegen Tötung durch Unterlassen strafbar machen kann.
  • Sollte der BGH dem widersprechen, würde dies auch das Selbstbestimmungsrecht von Patienten stärken.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Sie war eine lebenslustige Frau, ging gern tanzen und mochte ihre Arbeit als Arzthelferin. Doch irgendwann war vom Leben nur noch Schmerz übrig. Seit der Pubertät litt sie an einem äußerst schmerzhaften Reizdarmsyndrom, hinzu kamen wiederkehrende Harnwegsinfektionen. Sie war beim Spezialisten in Berlin und zur Ayurveda-Kur in Indien, nichts half. Krämpfe, Schmerzen, das war ihr Leben. Den Job musste sie aufgeben, zwei Ehen scheiterten, am Ende hatte sie selbst zu ihrem Sohn kaum noch Kontakt. Sie wollte nicht mehr. "No more pain" ließ sie sich in den Nacken tätowieren.

Am 16. Februar 2013 nahm die 44-Jährige ein tödliches Medikament, "in dem vollen Bewusstsein, was sie tat", notierte später das Landgericht Berlin. "Danke dir. Alles geschluckt", simste sie ihrem Hausarzt. Er hatte das Rezept ausgestellt, er wollte nicht, dass sie sich vom Hochhaus stürzt. Er fuhr zu ihr, da lag sie im Koma. Er ließ sie sterben, wie sie es gewollt hatte.

Diesen Mittwoch verhandelt der Bundesgerichtshof (BGH) im Revisionsverfahren gegen den Arzt und über einen weiteren ähnlichen Fall. Es geht um eine jahrzehntealte und noch immer nicht restlos geklärte Frage. Der Arzt, der dem suizidwilligen Patienten die Hand reicht: Ist er Helfer oder Täter? Der Mediziner war wegen Tötung auf Verlangen angeklagt, aber vom Landgericht Berlin freigesprochen worden. Auch der zweite Fall - zwei über 80-jährige Frauen hatten sich das Leben genommen - endete mit Freispruch. Aber erst am Ende eines Totschlag-Prozesses.

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Kommentar von Wolfgang Janisch

Allen Lebensmut verloren

Fast auf den Tag genau vor 35 Jahren hat der BGH selbst das Problem in die Welt gesetzt, mit einer merkwürdig krummen Grundsatzentscheidung, die fortan als "Peterle-Urteil" an den Jurafakultäten gelehrt wurde. Eine 76-jährige Witwe hatte nach dem Tod ihres Mannes allen Lebensmut verloren. Eines Tages nahm sie eine Überdosis Morphium. Als ihr Arzt zum verabredeten Hausbesuch kam, lag sie bewusstlos auf der Couch, in den Händen einen Zettel: "An meinen Arzt - Bitte kein Krankenhaus - Erlösung!" Auf ein weiteres Papier hatte sie geschrieben: "Ich will zu meinem Peterle." Der Arzt wachte bei ihr, bis sie starb.

Kann sich ein Mediziner wegen Tötung durch Unterlassen strafbar machen, wenn er den Patienten nach einem Suizidversuch sterben lässt? Der BGH hat dies seinerzeit mit Ja beantwortet. Der Arzt habe eine besondere Hilfspflicht, er sei "Garant" für die Gesundheit seines Patienten, seine Untätigkeit könne deshalb strafbar sein. Der Arzt wurde trotzdem freigesprochen, die Frau wäre wohl nur mit einer schweren Schädigung wiederzubeleben gewesen.

Aber das Prinzip war in der Welt und wirkt bis heute nach. Zwar darf der Arzt die tödliche Medikamentendosis besorgen, Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar. Sobald der Suizidwillige aber das Bewusstsein verloren hat, muss der Arzt ihn retten. Dabei ist die Rechtsgeschichte längst über das Urteil hinweggegangen. Der Siegeszug des Selbstbestimmungsrechts, wonach der Patient über den eigenen Tod verfügt und nicht die Klinik oder das Gericht, begann 1987. Damals widersetzte sich das Oberlandesgericht München dem BGH, und zwar im Verfahren gegen Julius Hackethal. Der schillernde Klinikchef vom Chiemsee hatte einer Frau, die durch ein Krebsgeschwür entstellt war, Zyankali verschafft. Sie nahm sich das Leben, er wurde angeklagt. Das OLG aber lehnte die Eröffnung des Prozesses ab. "Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten schließt auch die Selbstbestimmung zum Tode ein", schrieb es.

Anspruch auf ein todbringendes Medikament?

In den vergangenen Jahren nahm der Wandel Fahrt auf, weg vom Lebensschutz um jeden Preis. 2009 wurde die Patientenverfügung gesetzlich geregelt, 2010 machte der BGH den Patientenwillen zum Behandlungsabbruch verbindlich, 2017 brachte das Bundesverwaltungsgericht gar einen Anspruch auf eine staatliche Erlaubnis zum Erwerb eines todbringenden Medikaments ins Spiel.

Könnte sein, dass der BGH nach 35 Jahren einen Strich unter die Geschichte macht. Aber die Widerstände gegen Ärzte, die beim Sterben helfen, sind hartnäckig. Das Bundesverfassungsgericht arbeitet sich gerade am Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ab, das seit 2015 gilt. Hauptproblem: Seither stehen Ärzte mit einem Bein im Gefängnis, wenn sie Patienten todbringende Medikamente verschreiben.

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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