Prozess um Amokfahrt in Berlin:"Ein schwer kranker Mann"

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(Foto: Michele Tantussi/Reuters)

Gor H. raste auf dem Kurfürstendamm in eine Schülergruppe, eine Lehrerin kam ums Leben. Jetzt ist das Urteil ergangen, aber für viele Opfer dürfte die Tat unbegreiflich bleiben.

Von Verena Mayer, Berlin

Bis zuletzt wirkt Gor H., als wisse er nicht, was rund um ihn passiert. Regungslos sitzt der Beschuldigte auf der Anklagebank, den Kopf kahl geschoren, das Gesicht blass und eingefallen. Auch als der 30-Jährige am Freitag erfährt, dass er möglicherweise den Rest seines Lebens in einem psychiatrischen Krankenhaus verbringen wird, zeigt er keine Reaktion. Schon gar nicht scheint er zu begreifen, was er getan hat. Im Juni 2022 ist er in den Kleinwagen seiner Schwester gestiegen, zum Berliner Kurfürstendamm gefahren und dort auf den Bürgersteig gerast. Eine Frau kam ums Leben, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt.

Als der Vorsitzende Richter das Urteil verliest, beginnt er mit dem "schönen, warmen, sonnigen Tag", den Berlinerinnen und Berlin-Besucher vor knapp einem Jahr in der City West verbrachten. Eine schwangere Frau, die Kaffee trank, drei junge Männer, die über den Ku'damm schlenderten, eine 14-Jährige aus Franken, die von ihren Großeltern einen Tag in der Hauptstadt geschenkt bekommen hatte. Und da war die Schulklasse aus Bad Arolsen, die nach der "bedrückenden Zeit der Pandemie" nun doch noch auf Klassenfahrt fahren durfte. "Sie alle einte: Sie wollten eine tolle Zeit verbringen."

Doch in dieses Szenario sei eine "albtraumhafte Tragödie" hereingebrochen, so der Richter. Gor H. steuerte das Auto zielgerichtet auf die Menschen. Er wich nicht aus, bremste nicht, juristisch sei das ein vollendeter Mord in Tateinheit mit versuchtem Mord. Doch Gor H. kann dafür nicht verurteilt werden, er war weder steuerungs- noch schuldfähig. Deswegen wird die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

Der Angeklagte leidet unter einer paranoiden Schizophrenie

Einige Jugendliche sind am Freitag ins Gericht gekommen, sie stehen schweigend ein wenig abseits auf dem Flur. Ein Vertreter der Nebenklage sagt, sie wollten "einen Abschluss finden". Viele von ihnen leiden bis heute an ihren schweren Verletzungen oder den seelischen Folgen der Tat. Einige mussten die Schule abbrechen, andere haben noch immer Angst, auf die Straße zu gehen.

Vor allem aber werden sie vermutlich nie wissen, warum die Tat geschah, warum ihre Lehrerin getötet und ein anderer Lehrer schwer verletzt wurde. Gor H. hat nie etwas dazu gesagt und weiß es wohl selbst nicht. Dennoch habe der Prozess den Betroffenen vieles klarer gemacht, sagt der Anwalt der Nebenkläger. So leidet Gor H. seit seiner Jugend an einer paranoiden Schizophrenie. Sie begann damit, dass er Geräusche hörte und Dinge sah, die nicht da waren. Er musste das Abitur abbrechen, wurde psychiatrisch behandelt, nahm Medikamente. Doch "der Zerfall seiner Persönlichkeit schritt immer weiter voran", so der Richter in seiner Urteilsbegründung.

Als Gor H. einmal einige Tage lang seine Medikamente nicht nahm, habe das eine akute Psychose ausgelöst. Die Tat sei nicht vorhersehbar gewesen, sagt der Richter, weder für die Ärzte und Betreuer noch für H.s Familie, die sich "aufopferungsvoll" um ihn gekümmert habe. Ein Gutachter sagte, Gor H. sei "ein schwer kranker Mann". Deswegen ist nach Ansicht des Richters auch nicht abzusehen, ob er die Psychiatrie jemals wieder verlassen kann.

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