Der König ist jetzt nur noch ein ganz normaler Belgier, entsprechend muss er sich beleidigen lassen. Das belgische Verfassungsgericht hat am Donnerstag den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung gekippt, die Begründung: Er sei nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar, verstoße somit gegen die Verfassung und auch die Europäische Menschenrechtskonvention. Außerdem sei es nicht mehr zeitgemäß, einen König stärker zu schützen als gewöhnliche Leute. Mit einer wahrhaft respekteinflößenden Haftstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren drohte das Monarchenschutzgesetz aus dem Jahr 1847, zum Vergleich: Für gewöhnliche Beleidigung sieht das Strafrecht Haft zwischen acht Tagen und zwei Monaten vor. Damit muss nun auch rechnen, wer Philippe beleidigt. Falls sich jemand die Mühe machen sollte.
Es ist nicht so, dass es die Menschen in Belgien drängen würde, sich über ihren König aufzuregen. Das tun höchstens hartleibige flämische Separatisten, die das Königshaus als solches ablehnen. Ansonsten ist das Verhältnis der Belgier zu ihrer gänzlich unglamourösen Königsfamilie geprägt von Pragmatismus bis Desinteresse. Die wenigsten fühlen sich ja überhaupt "belgisch". Man ist Flame, Wallone oder Brüsseler. In der Theorie soll das Königshaus eine Klammer für das zerrissene Land bilden, in der Praxis gelingt das nur selten. Philippes Vorgänger Albert II., von 1993 bis 2013 im Amt, war eine Ausnahme - und auch ein Vorbild im Umgang mit Majestätsbeleidigungen.
Albert erwarb sich in den Turbulenzen rund um die monströsen Verbrechen des Mörders und Sexualstraftäters Marc Dutroux Respekt über alle Regionalgrenzen hinweg. Das Land stand unter Schock angesichts des Versagens von Polizei und Justiz, die Regierung wollte die Affäre aussitzen. Doch der König lud Hinterbliebene und Opfer ein, er zeigte öffentlich Mitgefühl. In einem im Jahr 2001 veröffentlichten Buch wurde dann behauptet, der König selbst sei in den Fall verwickelt. Er habe einem Pädophilenring im Umfeld von Marc Dutroux und dessen Frau angehört. Das wäre ein klassischer Fall der Majestätsbeleidung gewesen, doch Alberts Anwalt hielt das entsprechende Gesetz schon damals für fragwürdig. Er ging den zivilrechtlichen Weg. Der König erhielt eine finanzielle Entschädigung, das Buch musste aus dem Verkehr gezogen werden.
Die Gerichtsentscheidung ist ein Sieg für den spanischen Rapper Valtònyc
Belgische Juristen kennen aus der jüngeren Vergangenheit keinen Fall, in dem "Majestätsbeleidigung" verhandelt wurde. Anlass für den Spruch des Verfassungsgerichts ist vielmehr ein neuerliches spanisches Auslieferungsverfahren gegen den Rapper Valtònyc. Der hatte 2018 in Belgien Zuflucht gesucht, nachdem er in Spanien wegen Majestätsbeleidigung und Verherrlichung von Terrorismus zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden war. Das belgische Gericht, das nun über die Auslieferung Valtònycs zu entscheiden hat, wollte vorab klären lassen, ob die Majestätsbeleidigung noch juristisch relevant ist. Der Spruch vom Donnerstag ist also ein Sieg für den Rapper. Ausgeliefert werden könnte Valtònyc nur, wenn der spanische Straftatbestand auch in Belgien gelten würde.
Kein anderes westeuropäisches Land geht so hartnäckig gegen "Majestätsbeleidigung" vor wie Spanien. Grundlage ist das "Gesetz zum Schutz der Sicherheit des Staates und der Bürger", auch "Maulkorbgesetz" genannt, das im Jahr 2015 unter dem konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy verabschiedet wurde und dazu genutzt wird, gesellschaftlichen Protest zu kriminalisieren. Für Aufsehen sorgte erst Anfang dieses Jahres die Inhaftierung des Rappers Pablo Hasél. Auch der katalanische Musiker war wegen der Verherrlichung von Terrorismus und der Beleidigung des Königshauses verurteilt worden.
In Deutschland wurde nach dem Streit um Jan Böhmermanns Schmähgedicht auf den türkischen Staatschef Erdoğan der sogenannte Majestätsbeleidigungsparagraf 103 gestrichen. Er stellte das Verunglimpfen von Vertretern ausländischer Organe unter Strafe. Im deutschen Strafgesetzbuch gibt es jedoch nach wie vor noch den Paragrafen 90, Verunglimpfung des Bundespräsidenten, zu ahnden mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Auch er wirkt, betrachtet man die aktuelle europäische Rechtsprechung, wie aus der Zeit gefallen.